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2011-09-18 Schauspielkritik:

„Die Räuber“ marodieren
im feinen Zwirn
 

Schillers Klassiker in Frankfurt radikal reduziert und fast im Stil einer schicksalhaften Antiken-Tragödie inszeniert


 
ape. Frankfurt. Junge Leute rotten sich zu wilden Horden zusammen, ziehen randalierend durch die Städte, plündern, legen Feuer, schlagen sich mit der Staatsmacht. London im Sommer 2011? Nein, Friedrich Schillers Schauspiel „Die Räuber“. Wer immer den Klassiker neu inszeniert (demnächst auch in Mainz), könnte versucht sein, dies im Lichte aktueller Jugendrevolten zu tun. Das wäre durchaus legitim, wurde seit der Mannheimer Uraufführung 1782 vielfach gemacht. Regisseur Enrico Lübbe indes mochte diesen Weg für den Spielzeitstart jetzt am großen Frankfurter Schauspielhaus nicht gehen.

 
Brachiales E-Gitarrengetöse aus dem Off eröffnet den radikal auf knapp 100 Minuten verkürzten Abend. Dies ist das überlaute aggressive Heute, meint der nachher alle Szenen verbindende, schmerzhafte Sound. Auf der zum Anfang kulissenlosen schwarzen Bühne (Henrik Ahr) treten in breiter Reihe die Männer des Stückes an: Karl Moor nebst Kumpanen, sein Bruder Franz und beider Vater. Im Stillstand mimend und sprechend, skizzieren sie die Ausgangslage: Dem in jugendlichem Überschwang aus dem Ruder gelaufenen Karl verwehrt eine miese Ranküne des jüngeren Bruders die Rückkehr zum ordentlichen Leben im Vaterhaus und zu seiner geliebten Amalie dort.

Vom Vater (Felix von Manteuffel) vermeintlich auf immer aus familiärer Wärme und Gesellschaft verstoßen, erklärt der nun völlig entwurzelte Karl aller Welt den Krieg. Unter seiner Führung fallen „die Räuber“ über Land und Leute her – derweil Brüderchen Franz daheim den Vater ins Grab quält, Karls herrschaftliches Erbe an sich reißt und Amalien auf die Pelle rückt. Sandra Gerling behauptet als einzige Frau im Spiel mit der stoischen Selbstverständlichkeit einer Antigone ihre Liebe zu Karl als schier unverbrüchliches Naturgesetz. Wie überhaupt diese Inszenierung viele Züge antiker Tragödie aufweist, unterstrichen etwa durch einen baldigen Wechsel des Bühnenbildes: Ins Zentrum des Raumes schiebt sich ein großer metallischer Quader mit zwei schmalen seitlichen Durchgängen. Man denkt an eine antike Kultstätte.

Dorthin passt die Reduzierung der breit angelegten Handlung auf eine Folge von Kernszenen, die wesentlich sind für die hier nachgerade schicksalhafte Entwicklung des Brüderpaares. Die gruppendynamischen Prozesse innerhalb der Räuberbande bleiben außen vor. Ihre Gewaltzüge tauchen nur als Echo in Karls Seele auf, im Spiel von Marc Oliver Schulze mit Verve getrimmt auf eine unaufhaltsam in Ausweglosigkeit treibende Zerrissenheit zwischen Gram und Wut. Der Franz ist in Frankfurt, als hätten‘s ungute Götter vorbestimmt, von vornherein auf einen verbiesterten, boshaften, nach absoluter Macht gierenden Charakter festgelegt. So fragwürdig das sein mag, so bemerkenswert ist, wie Sascha Nathan die Figur vom kleinen Intriganten zum großen Wahnsinnigen treibt.

Sparsame Kulisse, fast keine Requisiten, kaum Action: Der Abend gründet ganz und gar auf nackte Schauspielerei. Da wird reihum sehr gutes Handwerk geboten, das ohne modernistische Sperenzien versiert die Klaviatur tragischer Eskalation bedient. Dass die Räuberbande diesmal im fein-hellen Freizeitleinen (Kostüme: Sabine Blickensdorfer) betuchter Yuppies zum Marodieren auszieht, irritiert etwas. Aber vielleicht ist genau das dann doch ein Beitrag Lübbes zur derzeitigen Gesellschaftsdiskussion: Die eigentlichen Räuber und Anarchisten heute kommen von oben, nicht von unten.                Andreas Pecht


Infos: www.schauspielfrankfurt.de


(Erstabdruck 19. September 2011)

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