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2011-07-25a Feature:

Anthony Taylor nach 29 Jahren verabschiedet - Jetzt ist Steffen Fuchs für die Tanzsparte verantwortlich


Chefwechsel beim Ballett
des Theaters Koblenz


ape. Koblenz. Das Ballett ist unter den Künsten gewiss nicht diejenige mit den höchsten Einschaltquoten. Aber der Tanz gehört als unmittelbarer Ausdruck von Empfinden zum menschlichen Leben seit Anbeginn aller Kultur. Die Altvorderen tanzten, lange bevor sie die ersten Sätze sprachen. Insofern ist es weder erstaunlich noch Luxus, dass bis heute auch kleine „Vollversorgungs“-Theater mit drei Sparten aufwarten. Den Tanz dort herauszubrechen, käme einer gewaltsamen Verstümmelung des abendländischen Kunstkanons gleich. Urbanität ist ohne Ballett so wenig zu haben wie ohne Orchester. Weshalb etwa die Theater Kaiserslautern, Mainz, Trier und Koblenz seit Jahrzehnten mit Fug und Recht eigene Ballettcompagnien unterhalten.

In Koblenz für den Erhalt eines Gerichts zu Felde ziehen, aber zugleich die Tanzsparte des Theaters zur Spardisposition stellen: Das würde nicht zusammenpassen, wäre ein Ausdruck deformierter Bürgerlichkeit. Auch wenn dieser Fall im Augenblick nicht virulent ist, sei die Mahnung jenen Stadtpolitikern ins Stammbuch geschrieben, die seit Jahr und Tag immer wieder mal die Abwicklung des Balletts ins Gespräch bringen. Was hat das alles mit Anthony Taylor zu tun? Viel. Seit 1982 hat er das Tanzgeschehen am Koblenzer Theater nicht nur geprägt, sondern mit der Kontinuität seiner Arbeit auch dafür gesorgt, die Ballettkunst als selbstverständlichen Bestandteil der Koblenzer Gegenwartskultur im allgemeinen Bewusstsein zu verankern.

Beständigkeit ist kein Wert an sich, und gerade die Künste leben nicht zuletzt von Entwicklung, von neuen Sichtweisen, sich verändernden Formen und Formaten. Taylor wusste das immer; wie er auch wusste, dass brachiale Brüche, mutwillige Provokationen seine Sache nicht sind. So waren denn seine 29 Jahre als Ballettchef in Koblenz einerseits gefärbt von der festen Verwurzelung in Stil und Repertoire des klassisch-romantischen Balletts, andererseits vom steten Suchen, Erproben Experimentieren unter der Fragestellung: Wie lassen sich jüngere Ausdrucksformen mit der balletösen Tradition verbinden zu etwas, das auch zur künstlerischen Moderne seinen Beitrag leistet?

Wenn am Koblenzer Ballett etwas bundesweit wirklich Einmaliges ist, dann die lange Spanne, über die das Publikum die Wandlungen einer künstlerischen Handschrift mitverfolgen konnten. Knapp drei Jahrzehnte hat Taylor hier gewirkt, vier Intendanten überstanden: Eine vergleichbare Konstellation muss man in Deutschland lange suchen, im heutigen Theatergetriebe ist eine Wiederholung schlechterdings undenkbar. Der Blick ins Archiv macht deutlich, dass die Geschichte der Taylor‘schen Choreografien eine wechselhafte war. Die Kritiken – meine vor allem – skizzieren ein fortwährendes Ringen zwischen Traditionsbeharren und Aufbruch zu neuen Ufern.

Mehr als 20 von Taylors 29 Koblenzer Jahren mäkelte der kritische Beobachter bei der einen Premiere an betulich altbackenem Manierismus herum, um schon bei der nächsten oder übernächsten wieder beglückt über Innigkeit, Raffinement und Innovationskraft zu jauchzen. Kunstschaffen nicht als geradlinige, wohlfeile Karriere, sondern als widersprüchlicher, Umwege gehender, mal in Sackgassen endender, mal auf Gipfeln ankommender Kreativprozess von Dauer – das durften hiesige Ballettfreunde mit Tony Taylor erleben. Ein großes Glück. Auch wenn in Koblenz „nur“ Regionalliga und nie Weltklasse getanzt wurde: Unter Taylor war die Compagnie stets eine interessante und geschmacksbildende Säule des hiesigen Kulturlebens; zugleich bildete sie einen verlässlichen Stein im breiten Fundament des bundesdeutschen Tanzgeschehens.

Wir durften in Taylors Zeit viele Tanztalente heranwachsen sehen. Nicht wenige erlangten in Koblenz die Reife, um nachher bei bedeutenderen Compagnien zu reüssieren. Beispielsweise gehörten zum ersten Kern von Martin Schläpfers berühmt gewordenem ballettmainz gleich drei   vormalige Eleven der Koblenzer Truppe. Andere Tänzer blieben viele Jahre bei Taylor, wuchsen und reiften unter seiner Ägide zu örtlichen Publikumslieblingen heran.  Bei den Männern sei etwa auf  Philipp Wilsdon, Aron Lengyel, Ross McDermott oder Rory Stead verwiesen.

Bei den Damen kommen einem als dominante Tänzerpersönlichkeiten Amanda Ball oder Etsuko Onishi in Erinnerung. Natürlich Michelle Branson, deren gesamte Entwicklung vom Tanzküken  zur Prima zur Ballettmeisterin wir begleiten durften. Zuletzt das Heranreifen der ebenso zarten wie starken Yolanda Bretones Borra. Und schließlich das überraschende Erblühen der Irina Golovatskaia zu einer wunderbaren Tänzerin, wie Koblenz noch nie eine hatte: Als Giselle tauchte sie 2004 unerwartet aus dem Schatten der Compagnie auf – Mädchenhaftigkeit wie Fraulichkeit im Ausdruck vereinend, der den Schritt über technische Versiertheit hinaus zum künstlerisch beseelten Tanz geschafft hat.

Glaubt man den Tänzern und dem eigenen Eindruck, dann war Tony Taylor nie ein kaltschnäuziger  Ausbeuter von Tanztalenten. Als Motivator engagierter Mitarbeit wird er beschrieben, als freundschaftlicher, aber entschlossener Forderer und Förderer. Gewiss gibt es auch am Koblenzer Theater die zunftüblichen Eifersüchteleien, die Ballettcompagnie indes wirkte – meistens – wie eine  Gemeinschaft von Freunden. Die jüngste dieser Gemeinschaften übernimmt nun vollständig Steffen Fuchs. Er tritt die Nachfolge von Taylor an, der mit 66 Jahren in den Ruhestand geht. Ruhestand? Glauben mag das keiner, der ihn kennt. Und dem Vernehmen nach hat Tony bereits einige Eisen im Feuer. Mag sein, wir sehen ihn bald wieder – als freien Choreografen, womöglich beim Jugendtheater Koblenz.

Nun also Ballett-Umbruch am Stadttheater. Der Brite Taylor geht, der 1974 in Halle geborene Fuchs kommt. Die hiesige Compagnie ist seine erste eigene. Ihn einen Neuling zu nennen, wäre dennoch verfehlt. Als Tänzer an der Staatlichen Ballettschule Berlin ausgebildet, gehörte er zehn Jahre dem Leipziger Ballett an. Choreografischen Schliff erhielt er an der Palucca-Schule Dresden, rund 30 eigene Choreografien hat er als freischaffender Künstler bislang für Bühnen zwischen Göteborg, Bonn und Würzburg kreiert. Welcher Ballettstil ist von Fuchs zu erwarten? Ehrliche Antwort: Keine Ahnung; ich habe noch nichts von ihm gesehen und mich auch nach keinem Ballettkundigen umgesehen, der Auskunft geben könnte. Man gönne sich einfach mal die Überraschung. Und sowieso hilft ja Vorweggerede nicht weiter, weil sich am Ende doch alles auf der Bühne entscheidet.

Klar ist allerdings: Eine Fortsetzung des Taylor-Stils kann und wird es nicht geben. Das liegt in der Natur der Sache – jede Kunst hat ihre Zeit, jeder Künstler schafft sein eigenes Werk. Und das ist gut so.                                                                           Andreas Pecht 


(Erstabdruck Woche 30 im Juli 2011)

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