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2011-05-16 Konzerteinführung:

4. Orchesterkonzert im Görreshaus 2010/2011. Mit Rheinischer Philharmonie unter Daniel Raiskin; Solist: Kari Kriikku. Werke: Mozart "Ein musikalischer Spaß", Strawinski "Pulcinella-Suite" und acht Stücke von Kriikkus CD "Bizarre Bazaar"

 


Der bizarre Musikbasar

 
(Unkorrigiertes Vortragsmanuskript. Mündliche Ausführung leicht abweichend)



ape. 
Meine sehr verehrten Damen und Herrn, liebe Musikfreunde,
seien Sie herzlich begrüßt zum vierten und damit letzten Orchesterkonzert im Görreshaus für diese Saison.

             
Ich könnte heute auch mal den Ausrufer spielen: Willkommen in unserem Basar! Schauen Sie, hören Sie, staunen Sie – über die bunte Vielfalt der Völkerschaften und Kulturen, die sich heute hier versammeln. Lieder, Klänge, Tänze, Bühnenspiel aus aller Herren Länder des Orients, des Okzidents und der neuen Welt werden Ihnen diesen Frühlingsnachmittag versüßen!

Wie jede andere Art von Werbung, so dürfen Sie natürlich auch meine Anpreisungen nicht wörtlich nehmen.  Es sind für heute hier im Görreshaus weder Gesangsensemble noch Tanz-Compagnien oder Theatergruppen engagiert. Wir werden uns bescheiden mit der Rheinischen Philharmonie unter dem Dirigat von Daniel Raiskin und mit dem Klarinettisten Kari Kriikku als Gastsolist. Dennoch bietet das heutige Programm – zumindest instrumentalmusikalisch – genau jene kulturell vielfarbige Mixture, die ich im Werbeblock versprochen habe.

Der Konzertnachmittag ist überschrieben mit dem etwas eigensinnigen Titel „Bizarre Bazaar“. Dieses Motto haben wir von Herrn Kriikku entliehen. Der aus Finnland stammende Musiker zählt zur international ersten Riege der zeitgenössischen Klarinettisten –  und er nannte eine 2009 von ihm eingespielte CD: Bizarre Bazaar. Die Scheibe versammelt Stücke für Klarinette und Streicher, von denen wir nachher im ersten Konzertteil acht  live zu hören bekommen.

Nun handelt es sich bei der CD nicht etwa um die X-te Einspielung von Werken des klassischen Repertoires für Klarinette. Vielmehr ist sie Ergebnis einer besonderen Leidenschaft und einer damit zusammenhängenden engagierten Sammelarbeit von Kari Kriikku. Er hat ein Ohr, ein Gespür und ein Herz für traditionelle Folkloremusik in aller Welt. Also sammelte er unter anderem auf seinen Konzertreisen als klassischer und zeitgenössischer Klarinettist viele der schönsten  Folklorestücke und/oder der interessantesten Bearbeitungen davon.

Sein besonderes Interesse galt naturgemäß solchen Titeln, in denen sein Instrument, die Klarinette, von vornherein ein zentrale Rolle spielt. Oder  in denen vom Charakter der Musik her der Klarinettenklang als besonders gut passend eingesetzt werden kann. Sie alle wissen zum Beispiel von der zentralen Bedeutung der Klarinette in der jiddischen Klezmer-Musik. Der ehrwürdig-verschmitzte Giora Feidmann hat das schließlich auch in der hiesigen Gegend in den vergangenen 25 Jahren mit etlichen Konzerten wunderbar demonstriert.

Ergebnis von Kriikkus Sammelei war, wie gesagt, 2009 die CD Bizarre Bazaar. Und die Stücke dieser Scheibe machen deutlich, oder erinnern   wieder einmal daran, wie weit sich die Klarinette doch über die verschiedensten Kulturen ausgebreitet hat. Nicht nur aus der Klezmer-Musik und aus dem Dixieland-Jazz ist sie kaum wegzudenken. In der Folklore des gesamten Balkan nimmt das Instrument eine dominante, quasi prägende Stellung ein. In der türkischen und arabischen Musik ist es ebenso beheimatet wie im portugiesischen Fado. Auch der argentinische Tango hat das wunderbare Spektrum des Klarinettenklangs schon sehr früh für sich entdeckt. Ein Ausdrucksspektrum, das von Schwermut über hocherotische Sinnlichkeit bis zu überschäumender, auch humoriger Ausgelassenheit reicht.

All diese Kulturen bringt Kari Kriikku zusammen – zu einem weltmusikalischen Bazar eben. Acht Stücke davon bekommen wir also gleich zu hören. Ich erspare es uns jetzt, jedes einzelne auseinander zu pflücken. Ich will Sie nur kurz darüber orientieren, aus welchem Kulturkreis die Titel jeweils stammen.

Der finnischer Konzertgast führt uns auf eine kleine Rundreise fast um die ganze Welt. Zuerst geht es nach Osteuropa:  Die „Tänze aus Korond“  sind ein Medley ungarischer, genauer: siebenbürger Folklore. Danach schlagen die beiden Klezmer-Stücke „Babsi‘s  Decision“ und „Deine Söhne seien gesegnet“ eine Brücke von Osteuropa in den Nahen Osten.  Es schließen sich zwei Titel aus dem verwandten arabischen Kulturkreis an: „Mashaal“ und „Longa“ –  beides übrigens traditionelle arabische Tanzmusiken. Danach überquert Kriikku den großen Teich, landet mit zwei Stücken in Argentinien und beim Tango, um abschließend mit einem Ausflug zum portugiesischen Fado tief im Südwesten wieder auf den alten Kontinent zurückzukehren.

Das wird, da bin ich sicher, eine spannende Reise, die uns die wunderbare Vielfalt menschlicher Kulturen vor Ohren führt. Aber achten sie unterwegs doch einmal auch auf klangliche Verwandtschaften. So genuin fremd, wie bisweilen angenommen wird, sind sich die Kulturen womöglich gar nicht.

Im zweiten Teil des heutigen Nachmittags geht es dann mit der Rheinischen Philharmonie und Werken von Wolfgang Amadeus Mozart sowie Igor Strawinsky ins klassische Repertoire. Allerdings bleibt das Konzertprogramm dem Titel Bizarre Bazaar verbunden. Denn was da aus der Feder Mozarts auf unserem Musikbasar geboten wird,  ist ein wahrlich bizarres Ding: 1787 entstanden, genannt „Ein musikalischer Spaß“, später auch  „Dorfmusikantensextett“ oder „Bauernsinfonie“.

Von Strawinsky gibt es die Pulcinella-Suite aus den frühen 1920er-Jahren.  Auch das ein Werk voller Augenzwinkern und gewidmet einer komischen Zentralfigur in der uralten volkstümlichen Theaterkunst der Comedia dell‘arte: dem ebenso bauernschlauen wie einfältigen und gefräßigen Diener Pulcinella. Die in Italien entstandene Figur des Pulcinella dürfte übrigens die Vorlage für unseren Hanswurst und wahrscheinlich auch des Kasperl gewesen sein.
  
Sie wissen, meine Damen und Herrn, Mozart war für einen guten Spaß immer zu haben; im Leben wie in der Musik. Da durfte es auch schon mal deftig oder frivol zugehen. Wer aufmerksam und ohne puristische Scheuklappen Opern wie „Entführung aus dem Serail“, „Cosi fan tutte“ oder den „Figaro“ durchstöbert, wird dort auch  musikalisch in kunstvoll gewirktem Gewand manche Anzüglichkeit oder satirische Anspielung finden. Beim viersätzigen Instrumentalwerk „Ein musikalischer Spaß“ bedient sich die Mozartsche Satire eine anderen Methode: Sie kommt nicht  meisterlich ausgefeilt daher, sondern demonstriert im Gegenteil, wie man Musik nicht machen soll. Kurzum: Wolfgang Amadee hat hier ganz bewusst sozusagen grottenschlechte Musik geschrieben.

Wobei die Bezeichnungen Dorfmusikantensextett und Bauernsinfonie für das Stück etwas irreführend ist. Denn der recht derbe Spaß, den sich der Komponist mit dem Werk KV 522 macht, gilt weder Dorfmusikanten noch Bauern. Mozart zielt vielmehr auf die Kollegenschaft seiner Zunft ab, auf Kompositeure, Musiker und den Musikbetrieb seiner Zeit – auch und gerade in Europas damaliger Musikhauptstadt Wien.

Das Stück ist eine frisch-freche Parodie auf komponierendes Stümpertum, eine genüsslich ausgebreitete Karikatur auf  die Wiener Kollegenschaft, ihr Unvermögen, ihr Mangel an Fantasie. Mozarts „musikalischer Spaß“ verstößt gegen fast alle damaligen Regeln ordentlichen Komponierens und anspruchsvollen Musizierens. Dem Werk fehlt jede innere Logik, jede sinnvolle Entwicklung. Dafür strotzt es von hohlem Pathos, falscher Harmonik und dick aufgetragener, aber teils völlig sinnlos platzierter und inhaltsleerer Effekthascherei. Als Musik grauslich, als Parodie meisterlich.

Eine interessante Frage war für mich bei der Vorbereitung:  Können Klassik-Laien heutzutage noch den parodistischen Charakter dieser Musik erfassen? Hören Menschen, die nur gelegentlich oder beiläufig mit Klassik zu tun haben, die von musikalischen Regeln und Strukturen nichts mehr verstehen, wie schräg diese Musik ist? Ich habe ein Experiment gemacht und Mozarts „musikalischen Spaß“ ohne Vorinformation einbigen Bekannten vorgespielt, die keine passionierten Klassikhörer sind.               

Ergebnis: Es fielen Generalurteile wie „nicht schön“ oder „seltsames Stück“, oder „das klingt so unbeholfen“, oder „ans Herz geht das aber nicht“. Es gab dann auch Urteile über einzelne Stellen. Etwa zum Anfang: „Lahmes Herumstapfen“. Oder beim zweiten Satz: „Die Bläser spielen doch einfach falsch“. Oder zur Solo-Violine im dritten Satz: „Der Geiger weiß ja nun gar nicht, was er will und soll.“ Oder zum Schlussakkord: „Jetzt sind sie aber alle völlig auseinander: was für ein Tohuwabohu.“

Dies alles sind zutreffende Urteile. Mozart hat natürlich noch viel mehr Fehler und Plattheiten in seinen „Spaß“ hineingeschrieben. Und Sie als Klassik-erfahrenes Publikum werden auch einige mehr davon wahrnehmen als meine Klassik-unerfahrenen Versuchskaninchen. Dennoch ist es eine beruhigende Erkenntnis, dass auch klassikmusikalische Abstinenzler den vielleicht natürlichen Unterscheidungssinn für gute und schlechte Musik noch nicht vollends verloren haben.

Kommen wir nun zu Igor Strawinsky und dem letzten Werk im heutigen Konzert: der Pulcinella-Suite. Das Stück hat elf Teile, die Strawinsky seiner Musik zum Pulcinella-Ballett entnommen und für den Konzertsaal zusammengestellt hat. Dieses Ballett wurde 1920 in Paris vom Ballett Russes uraufgeführt. Für die Produktion kam damals eine illustre Runde zusammen: die Musik schrieb Strawinsky; die Choreografie entwickelte Leonid Massine – erst Tänzer, dann einer der damals bedeutendsten Choreographen Europas; Bühnenbild und Kostüme stammten von Pablo Picasso.

Und diese drei eigensinnigen Künstler brachte Serge Diaghilew, der Chef des Ballet Russes, zusammen und versuchte sie auch zusammenzuhalten. Was kein einfaches Unterfangen war: Denn Strawinsky, Massine und Picasso lagen sich fortwährend in den Haaren. Es hatte nämlich jeder der drei seine eigene Vorstellung vom Pulcinella-Ballett, und keiner wollte auch nur eine Handbreit nachgeben. Dass das Ballett trotzdem zustande kam, ist der Beharrlichkeit Diaghilews zu verdanken.

Dieser Mann, der 1909 das Ballett Russes gründete, ist eine Legende. Er hat die Ballettgeschichte und teils auch die Musik- und Kunstgeschichte um die Jahrhundertwende erheblich beeinflusst. Und das, obwohl er weder Tänzer noch Choreograph noch Komponist, Maler oder Schriftsteller war. Diaghilew  war Kritiker, Herausgeber, Organisator – ein Ermöglicher, ein Förderer, ein Impressario von höchsten Graden und einem enormem Feingespür für künstlerische Strömungen, Potenziale und Talente.

Obwohl die Meinungen da etwas auseinandergehen, kann m.E. Diaghilews Bedeutung für die Entwicklung Strawinskys gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Er erkannte bei einem Konzert Strawinskys im Februar 1909 in St. Petersburg dessen große Begabung und gab dem jungen Musiker folgenden Auftrag: Orchestrier mir bitte zwei Klavierstücke von Chopin für ein großes Ballett in Paris. Herausgekommen ist die Ballettmusik zu „Les Sylphide“.

Gleich für die nächste Saison bestellte Diaghilew bei Strawinsky eine ganz eigene Ballettkomposition. Ergebnis: der berühmte „Feuervogel“. Dessen Pariser Premiere am 25. Juni 1910 brachte dem 28-jährigen Igor Strawinsky schlagartig den internationalen Durchbruch als Komponist. Es folgten in der Zusammenarbeit mit dem Ballett Russes Strawinskys große Ballettmusiken „Petruschka“ (1911) und 1913 „Le Sacre du Printemps“, das Frühlingsopfer.

Ausgangspunkt für das Ballett Pulcinella und die gleichnamige Orchester-Suite war eine Reise Strawinskys gemeinsam mit dem Ballet Russes 1917 nach in Italien. Der Komponist begegnete in Neapel der seinerzeit dort noch immer lebendigen Tradition der Commedia dell‘arte –  jener im 16. Jahrhundert entstandenen, deftig-heiteren italienischen Volks- und Straßenkomödie. Mit Diaghilew heckte er unter italienischer Sonne die Idee für ein Ballett auf Commedia dell‘arte-Grundlage aus.

Der Impressario trieb in diversen Bibliotheken Musikstücke des frühen 18. Jahrhunderts auf, vermeintlich aus der Feder des  neapolitanischen Komponisten Pergolesi. Viel später stellte sich heraus, dass nur ein Teil der Stücke von Pergolesi stammt, andere von anderen Italienern. Strawinsky jedenfalls dienten sie als Basismaterial für die Pulcinella-Komposition. Von einer bloßen Bearbeitung zu sprechen, wäre verfehlt. Denn die Eingriffe, Umformungen, Verfremdungen durch Strawinsky sind gravierend.

Sie werden es gleich hören: Die Wurzeln der alten Musik sind noch erkennbar – aber die Zuspitzungen der Harmonik, die rhythmische Verdichtung, das raffinierte Klangfarbenspiel und die streckenweise herrlich parodistische Instrumentnutzung, das alles hat mit dem 18. Jahrhundert wenig, mit Strawinsky aber sehr viel zu tun. Herausgekommen ist ein Werk, das bald als eine Art epochale Initiale der musikalischen Neoklassik gelten sollte.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf eines hinweisen: Die meisten der Strawinksy-Ballettmusiken haben als Orchesterfassungen einen festen Platz im Konzertsaal errungen.  Einige kommen dort mehr zum Einsatz als auf der Ballettbühne, „Petruschka“ etwa oder eben auch „Pulcinella“. So unterschiedlich die Kompositionen sein mögen, haben sie doch ein gemeinsames Grundprinzip: Das Entwickeln und Durcharbeiten musikalischer Themen oder der Aufbau sinfonischer Strukturen spielen darin keine oder kaum eine Rolle. Zentral ist vielmehr das klangliche Zusammenfügen unterschiedlicher Bewegungselemente. Die Ergebnisse können zwar im Konzertsaal als Musik für sich stehen, sie kommen durchaus ohne die Verbildlichung durch den Tanz aus. Aber, meine Damen und Herrn, Sie werden nachher dennoch unschwer erkennen, dass in der Vorstellung des Komponisten der Tanz, die Bewegung, der körperliche Ausdrucksgestus stets gegenwärtig war.

Das war‘s von mir für heute und für diese Saison. Wir sehen und hören uns, wenn Sie mögen, an gleicher Steller zur gleichen Zeit am 4. Dezember wieder. Und nun viel Freude auf dem bizarren Basar.                                                                              Andreas Pecht


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