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2011-03-27 Ballettkritik:

Anthony Taylors Ausstand am Theater Koblenz mit einem Ballett zum Gustav Mahlers 10. Sinfonie

"Alma, meine Seele" - ein Abschied


 
ape. Koblenz. 29 Jahre hat Anthony Taylor die Geschicke der Tanzsparte am Theater Koblenz gelenkt.  Den Schlusspunkt vor der Pensionierung setzte jetzt seine Choreographie „Alma, meine Seele“ zur 10. Sinfonie von Gustav Mahler. 75 Minuten, in denen der Tanz auf die Beziehung zwischen dem Komponisten und seiner jungen Frau Alma blickt. Auf eine Liebe, gefährdet durch den Gang des Lebens und schier unvereinbare Charakterzüge.

 
Das mediale Sensationsprinzip hat uns eine Erwartungshaltung eingeimpft: Künstler mögen eine Schaffensperiode, gar ihr Lebenswerk mit einem Superlativ krönen, der pünktlich zum Abschied alles Vorherige übertrifft. Eine abwegige, kaum je erfüllte Erwartung, denn Kreativität funktioniert selten auf Knopfdruck. Taylors Ausstandsballett hat am Anfang und am Ende grandiose Minuten. Dazwischen ist es eine interessante, sehr ordentliche Arbeit – nicht mehr, nicht weniger.

Die Glanzstücke seines späten Koblenzer Oeuvres hat der Ballettchef schon 2009 mit „Sind wir Helden?“ sowie 2010 mit „Stalin Dances“ abgeliefert. Beides Arbeiten von hinreißender Intensität. Und wie immer wieder in all seinen Koblenzer Jahren überraschte Taylor beide Male mit mutigen Vorstößen in bis dahin nie beschrittene Gefilde etwa der modernen Neoklassik.

„Alma, meine Seele“ gehört nicht in die Reihe seiner innovativen Überraschungscoups. Vielmehr schöpft diese Choreographie tanztechnisch den Fundus von Taylors bewährten Mitteln aus, um vielfältige Aspekte des Paares Gustav/Alma darzustellen. Da wird nicht die berühmte Geschichte durcherzählt – vom introvertierten, zurückgezogenen, kränklichen Komponisten, der die lebenslustige, Männer verschlingende Femme fatale der Wiener Salons zur Jahrhundertwende liebt und heiratet.

Kein Handlungsballett. Stattdessen zwischen Jugendstil- und Bauhaus-Symbolik (Bühne: Dirk Steffen Göpfert) eine tänzerische Sezierung individueller Charakteristika und Gemütszustände bei Gustav und Alma. Die Figuren werden nicht einem einzelnen Tanzpaar zugeordnet. Alle Tänzerinnen sind Alma, alle Tänzer Gustav: Und jeder Akteur vertritt andere Wesenszüge der beiden. Symbolmächtig wird dabei ein Bühnenelement, Mahlers Komponierhütte in den Bergen, von Satz zu Satz kleiner: Des Musikers Kraft schwindet dahin.

Die Choreographie folgt der mal flächig mäandernden, mal auf engstem Raum extrem kontrastierenden Emotionalität der 10. Sinfonie – die just zu der Zeit entstand, um die es im Ballett vor allem geht: Die Ehe scheint wegen der Hinwendung Almas zu Walter Gropius gefährdet. Die von Rudolf Barschai bearbeitete, unvollständige Mahler-Sinfonie wird von der im Bühnenhintergrund platzierten Rheinischen Philharmonie unter Jan Stulen mit feinem Gespür für ihre komplizierten Verflechtungen realisiert.

Indes: Die Sinfonie ist keine Ballettmusik. Taylor versteht es aber, daraus ein hochmusikalisches Ballett zu machen. Über manche Strecke löst sich der Tanz fast völlig vom szenischen Thema, wird purer, sich selbst genügender Musikausdruck.

Aus der Kompagnie ragen derzeit vier reife Tänzerpersönlichkeiten heraus. Bei den Männern: Michael Jeske, der hier als kraftvoll imponierendes Mannsbild auch in die Rolle des Gropius schlüpft, und Rory Stead, der Gustavs Tragik mit gemessenem, ernsten Gestus ertanzt. Bei den Frauen gibt Yolanda Bretones Borra in ausdrucksstarker Versiertheit den Aspekt der umschwärmten Lebedame Alma.

Von überragender Klasse sind einmal mehr die Beiträge der Irina Golovatskaia. Am Anfang, im großen Pas de deux mit Stead, formt sie mädchenhafte Liebelei und Träumerei, frauliche Hingabe und Forderung, lässt dabei zugleich Ahnungen von kommenden Schwierigkeiten aufscheinen. Im solistischen Finale tastet sie sich als trauernde Witwe, dann als alte verkrümmte Frau in die Träume des Anfangs zurück. Keine, auch nicht die kleinste ihrer Figuren ist bloße Technik. In jeder Bewegung stecken Seele, Zwiespältigkeit, Subtext mit Bedeutung. Das ist Ballettkunst von hohen Graden – und wohl der schönste Dank des Tanzes an den scheidenden Anthony Taylor.                                    Andreas Pecht         

Infos: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck 28. März 2011)

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