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2011-03-20 Schauspielkritik:

Philip Tiedemann inszenierte dem Staatstheater Mainz
eine sehr ordentliche "Antigone"

Mädchen-Traum wider
dumpfe Staatsräson


 
ape. Mainz. „Antigone“ ist die Geschichte einer 20-Jährigen, die zum Albtraum wird für die Mächtigen im Staate und eine in dumpfem Pragmatismus versunkene Gesellschaft. Gegen den Rigorismus, mit dem die junge Frau kompromisslos festhält an dem, was sie für ihre moralische Pflicht hält, helfen weder Zureden noch Todesdrohung. Philip Tiedemann hat das Stück jetzt am Staatstheater Mainz zu einem 90-minütigen Kompaktabend inszeniert. Diese hier nach „Die Perser“ und „Ödipus“ dritte Einrichtung eines Antiken-Klassikers durch den Regisseur darf als sehr ordentliche, runde Arbeit gelten. Sie wurde bei der Premiere auch mit angemessener Zustimmung beklatscht.

 
Basis der „Antigone“-Inszenierung ist die Vers-lose Version von Jean Anouilh aus dem Jahr 1942. Eingearbeitet sind Verse aus dem fast zweieinhalb Jahrtausende alten Original von Sophokles. Zu deren rhythmisierter Rezitation vereint sich das insgesamt gut eingestellte, achtköpfige Ensemble mehrfach hinter Masken im Halbdunkel zum Sprechchor. Diese Manier passt in Mainz ausgezeichnet, unterstreicht die überzeitliche Bedeutung der dramatischen Konfliktstellung und bringt eine fast Brechtsche Parabelhaftigkeit ein.

Dennoch geht das auf Kammerdimension reduzierte Spiel zu Herzen. Vor allem dank der Intensität der beiden zentralen Kontrahenten Antigone und ihres königlichen Onkels Kreon: die kleine Pascale Pfeuti gegen den großgewachsenen Stefan Walz. Die Frau sagt „Nein“ zur Staatsräson: Sie will ihren tot vor den Mauern Thebens liegenden Bruder begraben. Damit verstößt sie gegen den ausdrücklichen Königsbefehl, die Leiche des Aufrührers als abschreckendes Exempel vor aller Öffentlichkeit verfaulen zu lassen.

Der Text beschreibt Antigone als äußerlich dünnes, zartes, schwaches Mädchen; innerlich erfüllt allerdings von unnachgiebiger Kraft. Pfeuti transponiert das sinnfällig in eine Ambivalenz aus trotziger Göre und sensibler Träumerin. Getreu dem Ansatz des Stückes gibt sie nicht die Rebellin gegen die Obrigkeit, sondern das mit absoluter Konsequenz seinen moralischen Maximen folgende Individuum; koste es am Ende auch das eigene Leben.

Dagegen kann der König nicht an. Beim großen Dialog mit der Nichte zieht Walz, fein gewogen zwischen Mäßigung und Dringlichkeit, alle Register des Zuredens. Bis an Antigones Standhaftigkeit seine Argumente staatspolitischer wie lebenspraktischer Opportunität zerschellen – und Kreon dabei auch der eigenen, unentrinnbaren Verstrickung in Lebenslügen gewahr wird. Nicht, dass der jungen Frau solche Standhaftigkeit leicht fiele: Die Mainzer Antigone trägt stets auch Ängste und Zweifel bei sich. Aber sie kann und will nicht anders handeln. Will nicht, wie der König, landen in einem Ja-Sager-Leben, dessen Normen zur Aufgabe des eigenen Selbst zwingen.

So spielt sich vor einer unschuldig weißen Styroporwand, Thebens Mauern, mit schwarz sich öffnenden Tür- und Fensterklappen (Austattung: Stephan von Wedel) ein Konflikt ab, der bis heute und dieser Tage wieder, nicht ausgestanden ist: Der Mensch gefangen zwischen der Politik vermeintlicher Sachzwänge und seinem Traum vom selbstbestimmten Leben. Wehe, jemand macht den Traum entschlossen zum Leitfaden seines ganz persönlichen Handelns: Für Antigone endet der Versuch tödlich. Und doch wird er seit Menschengedenken immer wieder unternommen.


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck 21. März 2011)

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