Thema Politik
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2011-02-22 Analyse:

Zur Lage in Libyen

 

Hoffnung am Rande des Bürgerkrieges
 
ape. Nur selten in der Geschichte konnte despotische Herrschaft mittels friedlichem Massenprotest abgeschüttelt werden. Deutschland 1989 war so ein Glücksfall. Selbst die  ägyptische Revolution hat Opfer gekostet, mehr als 600 Ägypter sollen umgekommen sein. Es wären viel mehr geworden, hätten Teile der Armee sich von Mubarak gegen das Volk instrumentalisieren lassen. Diese Lage haben wir im Augenblick offenbar in Libyen. Der Gaddafi-Clan schlägt wild um sich, setzt ihm ergebene Armeeeinheiten und auch Söldner gegen die Bevölkerung ein.
                                    

Aus vielen Gerüchten und wenigen verlässlichen Nachrichten lässt sich schließen: Libyen steht am Rande einer Bürgerkriegs-Phase, weil das Gaddafi-Regime mit seiner Brutalität die Protestbewegung womöglich in den bewaffneten Aufstand treibt. Wie lange diese Phase dauert, kann  niemand sagen. Es mögen Wochen oder nur noch Stunden sein. Ob Gaddafi selbst geistesgestört ist oder nicht, spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie dereinst im Falle Hitler.

Entscheidend ist im Augenblick: Erstens, wie stark seine Söhne, Paladine, Gefolgsleute an der Macht kleben. Zweitens, wie schnell die Absetzbewegung vom Regime und damit seine Auflösung fortschreitet. Dass immer mehr libysche Diplomaten im Ausland den Dienst quittieren, daheim Soldaten vermehrt desertieren oder sich den Aufständischen anschließen –  das sind ebenso gute Zeichen wie der Umstand, dass der Machtapparat die uneingeschränkte Herrschaft über ganze Landstriche verloren hat.

Dritter entscheidender Faktor ist natürlich die Stärke der Volksbewegung. Neben deren Kraft zur Selbstorganisation, die uns schon in Tunesien und Ägypten so sehr erstaunte, spielen dabei  islamische Geistlichkeit und die in Libyen ansässigen Stämme von Beduinen, Berbern, Tuareg eine große Rolle. Hohe Geistliche haben nach den Blutbädern, die regimetreue Militärs anrichteten, eine Fatwa erlassen. Diese verpflichtet quasi alle Muslime in Libyen zum Kampf gegen den Despoten. Die wichtigsten Stämme schließlich haben dem „Bruder Muammar“ Brüderschaft und Freundschaft aufgekündigt.

Damit reduziert sich die Machtbasis Gaddafis auf den eigenen, bröckelnden Apparat. Ein paar Tausend Leute nur, die allerdings die Verfügungsgewalt über die meisten Waffen haben. Diese Leute können noch Furchtbares anrichten – bis sie in alle Winde zerstreut und Geschichte sind. Es gehört wohl zu den am meisten erschütternden Aspekten der arabischen Revolution: Man weiß, die Zeit der alten Mächte ist objektiv vorbei, doch in ihrem letzten Versuch des Machterhalts können sie noch einmal großes Leid verursachen.

Wenn aber das Volk sogar Gaddafis Regime stürzen kann, ist weit über den maghrebinisch-arabischen Raum hinaus nichts mehr undenkbar. Nach der Revolution in Tunesien war die Frage noch: Wird es einen Dominoeffekt geben? Die Frage hat sich erledigt. Ob die alten Regime wie in Tunesien, Ägypten und wahrscheinlich Libyen gänzlich fallen, oder ob sie andernorts für eine Weile noch im Amt bleiben, aber zu echten Reformen gezwungen werden: Die Epoche selbstherrlicher Potentaten und sich die Taschen vollstopfender Herrscher-Sippen geht zuende.

Das geschieht nicht irgendwo auf der andern Seite der Erdkugel, sondern in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas. Es wäre völlig abwegig, anzunehmen, ein Epochenumbruch solchen Ausmaßes gleich nebenan könne spurlos an uns vorübergehen. 250 Millionen Nachbarn betreten im Maghreb, in Arabien und der Levante selbstbewusst die Bühne des globalen Dorfes, kämpfend für Freiheit, Brot, ein besseres Leben. Die Hälfte davon ist jünger als 30 Jahre. Deren Sehnsucht nach einer menschenwürdigen Zukunftsperspektive ist die stärkste Triebfeder der gesamten Umbruchbewegung.

Jetzt machen Öl- und Rohstoffpreise aufgeregte Sprünge, verbreitet sich schon wegen ein paar Tausend Tunesiern auf Lampedusa in Europa Kopflosigkeit. Es wird dauern, bis der Rohstoff-Nachschub wieder seinen geregelten Gang geht. Und es werden mehr Auswanderer kommen: Ungeduldige, die nicht warten wollen oder können, bis die Revolution daheim Früchte trägt. Die Menschen dort nehmen sich mutig die Freiheiten, die wir seit Jahrzehnten genießen. Sollen sie ihre Revolution etwa abblasen, nur weil wir ein paar Probleme mit Benzinkosten und Einwanderern haben? Freiheit bleibt im globalen Dorf kein Privileg der Bessergestellten. Es wäre klug, Politik und Bürger Europas stellten sich auf einige Veränderungen ein.           Andreas Pecht    



(Erstabdruck 23. Februar 2011)

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