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2011-01-30 Schauspielkritik:

Horváth-Klassikers in Wiesbaden:
Tragische Größe, pittoresk überzogenes Umfeld

Geschichten aus dem
Wiener Wald anno dunnemals


 
ape. Wiesbaden. Die jetzt im Wiesbadener Staatstheater auf die Bühne gekommene Inszenierung von  „Geschichten aus dem Wiener Wald“ trägt unverkennbar die Handschrift eines Regisseurs alter Schule. Der 72-jährige Intendant des Hauses, Manfred Beilharz, hat Ödön von Horváths Volksstück aus dem Jahr 1931 selbst inszeniert. Und wie schon bei seinen früheren Einrichtungen der Horváth-Klassiker „Kasimir und Karoline“ und „GlaubeLiebeHoffnung“ enthält er sich auch diesmal jeden Versuchs, das Stück szenisch, in der Spielweise oder inhaltlich ins 21. Jahrhundert zu transferieren.  

 
Die Kostüme von Bernd Holzapfel symbolisieren Zeitkolorit der 20er/30er-Jahre. Seine  wechselnden Bühnenbilder folgen dem, trotz ihrer denaturalisierten Bauweise. Ob kleiner Platz in einem kleinbürgerlichen Wiener Bezirk mit Tabakkiosk, Fleischerei und Puppenladen des Zauberkönigs, ob trunkenes Heurigenfest an Holzbänken oder Nackedeien-Parade im Varieté: Die Bilder sagen „es war einmal“.  Der ganze gut zweieinhalb-stündige Abend sagt das. Die Schauspieler eingeschlossen.

Rainer Kühn als Zauberkönig,  Benjamin Krämer-Jenster als Rittmeister, Franz Nagler als reicher Wiener aus Amerika, Doreen Nixdorf als bäuerliche Mutter oder Susanne Bard als boshafte Großmutter von Alfred: Sämtliche Nebendarsteller agieren in antiquiert saftiger Grobschlächtigkeit, dass man fast meinen könnt‘, sie sollen ein Brettl im Wirtshaus geben. Samt und sonders verstehen die Mimen ihre Kunst durchaus besser, das hat man bei anderen Anlässen gesehen. Also muss diese Spielart Absicht sein. Was bezweckt Beilharz damit? Wir deuten: Er nimmt den Begriff „Volksstück“ nicht nur für Stoff, Thema und Kolorit, sondern auch für die Schauspielerei selbst in Anspruch – eine Art Theater im Theater, ähnlich dem Laienspiel der Handwerker in Shakespeares „Sommernachtstraum“.

Die pittoresk überzogene Manier irritiert. Wiederholt denkt sich der Zuseher: Ach je, was für ein Geholpere und hausbackenes Geziere. Und doch: Gerade in diesem Umfeld fallen fein differenzierte  Ausdrücke der tragischen Hauptfiguren sofort ins Auge, erhalten besonderes Gewicht. Michael Birnbaums schnarrstimmiger Alfred ist nicht einfach ein hoffnungsloser Tunichtgut, der Marianne schwängert und hernach mitsamt Kind wieder loswerden will. Er ist einer, den man prügeln und zugleich an der Hand nehmen möchte, so im Unreinen mit sich selbst stolpert er durch die Umstände des Lebens.

Die Valerie von Monika Kroll hält erst ihn und nachher den forschen Jungnazi Erich aus. Sie steht als Kioskinhaberin mit beiden Beinen fest im Leben, weiß genau, dass die Kerle sie ausnutzen.   Doch jedesmal, wenn sie einen der Burschen in den Senkel stellt, lässt Kroll ihre Figur   zusammenzucken, zurückschrecken weich, weinerlich oder wehmütig werden: Die ältliche Frau will halt ein bisschen Zuwendung, Liebe und auch Lust.

Eine Klasse für sich ist in den Wiesbadener „Geschichten aus dem Wiener Wald“ schließlich Verena Güntner als Marianne. Schon in „GlaubeLiebeHoffnung“ bestach sie 2009 in der Rolle der Elisabeth mit einer trefflichen Ambivalenz aus Courage und Empfindsamkeit. Dem vorbestimmten Schicksal als Metzgersgattin will Marianne entfliehen. Doch mit Alfred gerät sie vom Regen in die Traufe, schließlich zwischen die Mühlsteine bigotter Gesellschaftsnormen. Eine starke Frau aus dem einfachen Volk, die systematisch gebrochen wird. Darauf vor allem hebt Beilharz‘ ab. Bleibt für jeden Besucher die Frage, ob bemüht schnurrige Volkstümelei dem Verständnis dieser großen Menschentragödie im Kleinen heute eher dienlich oder eher abträglich ist. 
                                                                                        Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 31. Januar 2011)

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