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2011-01-23 Schauspielkritik:

Sophokles-Klassiker am Theater Koblenz:
Klar inszeniert, stark gespielt  


„Oedipus“ macht eine Therapie
 

 
ape. Koblenz. Die griechischen Urklassiker sind unverzichtbar im Repertoire, aber der Umgang mit ihnen ist fürs Theater nicht einfach. Inhalte und Formen der Bühnendarstellung vor zweieinhalb Jahrtausenden befremden heute. Weshalb Regisseure oft dazu neigen, den alten Stücken entweder ihre Herkunft ganz auszutreiben oder theaterhistorische Hauptseminare daraus zu machen. Christina Gassen hat bei ihrer Inszenierung der „Oedipus“-Tragödie des Sophokles am Theater Koblenz klug beides vermieden.
 

Vergessen wir mal Freuds Ödipus-Komplex, auch wenn der Begriff von diesem Stück hergeleitet ist. Der Titelheld erschlug zwar – wie von den Göttern vorgesehen und in Delphi orakelt –  den Vater und heiratet die Mutter. Aber er weiß gar nicht, dass der Ermordete sein Erzeuger ist und die Bettgefährtin ihn geboren hat. Oedipus weiß nur: Er hat mal irgendeinen Mann getötet; er ist Herrscher von Theben geworden, weil er mittels Rätselraten die Sphinx besiegte; er hat sich mit Königin Iokaste vermählt, nachdem irgendjemand seinen Thronvorgänger ermordete. Jetzt ist Oedipus König einer pestverseuchten Stadt, deren Rettung nach göttlicher Maßgabe davon abhängt, dass er den Mörder des alten Königs überführt.

An dieser Stelle beginnt die Stückhandlung: eine Mordermittlung, in deren Verlauf der Ermittler sich selbst als Täter entdeckt – und offenbar wird, dass Menschen das ihnen von Göttern zugedachte Schicksal nicht abwenden können. Die Tragödie endet mit der Selbstentleibung Iokastes und der Selbstblendung des Oedipus. In Koblenz vergehen bis dahin 80 dichte Minuten, die auf die innere Entwicklung der Titelfigur abheben.

Klinisch weiß der Spielraum (Ausstattung: Hans Richter). Von hinten oben blickt der Chor aufs Geschehen. Wippend auf weißen Sitzbällen summen die Herren meditativ,  sprechen rhythmisch oder singen traurig. Eine Reminiszenz auf den Chor, der im antiken Theater als kollektiver Kommentator fungierte. In Koblenz ist sein Sprecheinsatz reduziert, das Kollektiv schafft vor allem Atmosphäre für die Tragödie des Individuums unten im Therapiesaal. Dort sind schwarze Sitzbälle dem handelnden Personal vorbehalten, das sich zum gruppendynamischen Kreis versammelt – dem sich Oedipus entzieht. Am Rande stehen Papptüten voller Glückskekse mit Orakelsprüchen, an denen die Protagonisten zu knabbern haben.

Es ist riskant, wie Marcel Hoffmann seinen Oedipus spielt: Als infantilen König führt er ihn ein; knäbisch bis in die Sprechstimme, erinnert er an einen Mix aus lachhaftem Austin Powers und tragikomischem Woody Allen. Stets jedoch fängt er die Figur kurz vor dem Abrutschen ins Klaumaukige ab: Ein gekonnter Grenzgang, der die zerbrechliche Seelenlage des Oedipus in jedem Moment neu auslotet. Je näher er der Wahrheit seines Daseins kommt, umso mehr verflüchtigt sich das Infantile, umso tiefer wird auch Hoffmanns Stimme.

Christina Gassen greift geschickt die Eigenarten der Schauspieler auf. Etwa das Talent von Jona Mues (Priester), auch mit lauthalsem Pathos glaubhaft zu bleiben. Oder Reinhard Rieckes sonore Deklamatorik klassischen Stils, die dem Kreon zugeordnet wird und damit einen Pol von Bedächtigkeit im Spiel hält. Oder bei der einzigen Frau im Stück, Iokaste, Tatjana Hölbings Vermögen für ahnungsvolle bis niederschmetternde Tragik.

Schauspielerisch ist „Oedipus“ in Koblenz eine runde, fein austarierte Sache. Die Inszenierung der einstigen Koblenzer Jugendtheater-Elevin, inzwischen gestandene Regisseurin auf überregionalem Parkett, besticht durch Konzentration und Klarheit. Die wunderbar verständliche Textübertragung Peter Krummes stützt das. Bleibt die Frage: Was kann das uralte Stück uns noch sagen? Da lässt der Abend viel Interpretationsspielraum. Vielleicht etwas zu viel.                                               Andreas Pecht


Infos: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck 24. Januar 2011)

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