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Artikeldienst von Andreas Pecht • freiberuflicher Publizist/Journalist
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Geschrieben im  Juli/August 2010:
Guten Tag allerseits,
 
29.8.

Lasst nun die Spielzeit 2010/2011 beginnen! Das Koblenzer Stadttheater gab in seinen kleinen Kammerspielen einen zeitgenössischen Prolog – bevor in den nächsten Wochen die Theater in der Großregion  zwischen Kaiserslautern und Köln allesamt mit einer ungewöhnlichen Flut von Klassikern loslegen. „Nach Arkadien!“ heißt das Stück, das die letztjährige Hausautorin des Stadttheaters, Sibylle Dudek, mit Regisseur Julius Jensen und vier Schauspielern am Wochenende zur Uraufführung brachte.  (Zur Kritik hier)


28.8.

Hut ab vor dem Schwabenvolk!
Das geht einem als gebürtiger Badenser nicht leicht über die Lippen. Aber wie die Weibsleut' und Kerls aus allen Schichten und Altersklassen diesem "Stuttgart 21"-Irrsinn couragiert und beharrlich Paroli bieten, hat gehörigen Respekt verdient.

Es täuschen sich all jene, die in den Protesten bloß  fundamentale Fortschrittsfeindlichkeit und/oder pittoreske Nostalgik sehen wollen. Es geht da vielmehr um falschen und richtigen Fortschritt. Und diese Differenzierung wird künftig allüberall wachsende gesellschaftliche Sprengkraft entfalten. Das neuzeitliche Misstrauen der Öffentlichkeit gegen Gigantomanismus (im Geiste des alten, die Welt sich brachial untertan machenden Industrialismus) führt zu jeweils genauerer Betrachtung und Bewertung der vorgesehenen "Fortschritts"-Maßnahmen. Und wehe, es erweist sich dann, dass eine Maßnahme bloß sündhaft teure Großmannssucht, Traumtänzerei, Schieberei, Geschäftemacherei ohne Sinn und Verstand ist. Wehe, es erweist sich bei näherem Hinsehen, dass da bewährte Strukturen und mühsam erarbeitete Ressourcen blindwütig für einen Futurismus geopfert werden sollen, der - wenn's gut geht - nur einen einzigen  Nutznießer kennt: die Ökonomie. Der ansonsten aber auf nichts Rücksichts nimmt, was den Menschen als lieb, wert, nötig, vernünftig und wirklich zukunftsträchtig gilt.

In diesem Sinne ist "Stuttgart 21" ein Vertreter des falschen Fortschritts - wie die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, der neue Nürburgringzirkus, die geplante Loreley-Brücke, der Ausbau von Autobahnen, Börsengang der Bundesbahn...  "Stuttgart 21" ist unvertretbar teuer und verkehrstechnisch überflüssig bis kontraproduktiv. Obendrein ist das Projekt, wie der "Stern" in dieser Woche endlich auch überregional publik macht, wegen geologischer Risiken gefährlich (> Netzzusammenfassung hier).

Wie reagieren Politik und Bahn auf die Proteste? Sie sind  hochgradig nervös, hoffen aber, über die mit polizeilicher Gewalt durchgesetzte Schaffung vollendeter Tatsachen die Protestierer zu frustrieren, nach Hause und in baldiges Vergessen zu treiben. Ein zynisches Kalkül, das vielleicht wieder mal funktioniert - freilich im langfristigen Effekt zu bezahlen ist mit weiterer Erosion des Ansehens sämtlicher "Altparteien". (> Politstimmen hier)                    

27.8.

Ein Kollege von "Telepolis" hat auf die Seite "regierenkapieren" der Bundesregierung hingewiesen, wo u.a. der Auslandeinsatz der Bundswehr in Afghanistan Kindern und Jugendlichen erläutert wird. Reinlesen und staunen (>weblink zur Seite hier).  Bloß eine niedlich-naive Märchenseite oder doch handfest propagandistische Indoktrination? Jedenfalls eine hanebüchene Schwarz-Weiß-Malerei vom edlen Kampf Gut (Deutsche) gegen Böse (Taliban). Mit der Wirklichkeit hat das herzlich wenig zu tun, was die regierungsamtlichen Schreiberlinge der Jugend da weißzumachen versuchen. 

26.8.

Dieser Herr Sarrazin darf in Deutschland schreiben und sagen, was er will, solange er die Grenze zur justitiablen Volksverhetzung nicht überschreitet.  Alle Einlassungen, der Mann würde im Sinne irgendeiner  political correctness "untergebuttert", "eingemacht",  "kriminalisiert" etc. sind ebenso abwegig wie das Statement, in Deutschland gebe es eine allgemeine Übereinkunft, über "die tatsächlichen Probleme" mit Migraten und Unterschichtlern die Wahrheit nicht sagen zu dürfen. (Diese Argumentationslinie erinnert nicht zufällig an den unausrottbaren Unsinn, man dürfe in Deutschland die Politik Israels nicht kritisieren.)

Das ändert freilich nichts daran, dass Sarrazin (im eigenen wohlfeilen Interesse) eine üble Meinungsmache betreibt, mit falschen Zahlen/Fakten operiert oder richtige Zahlen/Fakten derart verdreht, überspitzt, böswillig missinterpretiert bis sie in sein krude-arrogantes Zerrbild von Gesellschaft und Mitmenschen passen. Dass er sich dabei auch einiger realer Probleme und weit verbreiteter latenter Ängsten bedient, gehört zum Einmaleins für zündende Agitation und Polemik. 

Wie gesagt: Das alles darf Herr Sarrazin. Die SPD kann/darf/sollte ihn dennoch rausschmeißen. Nicht, weil sie ihn zum Schweigen bringen wollte. Sondern weil sie selbst eine gewissen Grundsätzen verpflichtete Partei ist - und eben niemand in ihren Reihen zu dulden braucht, der ständig das Gegenteil davon in die Welt posaunt. Die CDU müsste ja auch keinen Provokateur behalten, der eine Kampagne nach der andern inszeniert etwa unter den Parolen "Gott ist mausetot und Privateigentum ein Verbrechen". Und die Grünen müssten kein Mitglied aushalten, das Windenergie als Schwachsinn abtut und Kernkraft zur einzig wahren Zukunftsenergie erklärt. Die allgemeine wie der Betroffenen Meinungs- und Redefreiheit wird doch nicht beschnitten, wenn Parteien dem einen oder anderen Mitglied den Stuhl vor die Tür setzen mit dem Hinweis: "Bei uns bist du völlig falsch; such dir einen Verein, der zu dir passt".

25.8.

Die Sommerpause der Theater geht dem Ende entgegen. Drinnen wird schon eine Weile kräftig an den zahlreichen Stücken geprobt, mit denen die meisten Häuser im September in die neue Spielzeit 2010/2011 gehen wollen. Auffällig: Es kommt zum Auftakt eine Flut von Klassikern auf die Bühnen (der Großregion zwischen Kaiserlautern und Köln), wie man sie zum Saisonauftakt schon lange nicht mehr erlebt hat. Und auch im weiteren Verlauf  nehmen Klassiker einen bemerkenswert breiten Raum ein - nachdem es in der vergangenen Spielzeit an diversen Häusern (etwa in Mainz und Koblenz) einen deutlichen Überhang von Uraufführungen oder Werken der Moderne gegeben hatte.

Damit wird es auch auf dieser Website Zeit, den allmonatlichen regionalen Premierenkalender wieder zu reaktivieren.
Zur Premierenübersicht September 2010 hier


24.8.

Die Diskussion um Guttenbergs forsche Wehrreform hat eine Schwachstelle: Sie kümmert sich zu wenig um den eigentlichen Zweck der Reform, um die politisch-strategische Zielsetzung für die angepeilte "neue" Bundeswehr. Es geht da nicht primär um Sparen, sondern darum, die Armee im Sinne einer global einsetzbaren Streitkraft effektiver, kriegstauglicher zu machen. Der Minister selbst drückt das zwar anders aus, macht aber aus dieser grundsätzlichen Absicht gar keinen Hehl. Von Landesverteidigung ist dabei längst keine Rede mehr, bloß noch von "deutscher Sicherheit" oder "deutschen Sicherheitsinteressen" - was immer das in wechselnden Fällen heißen mag.

Guttenberg will nun endlich auch wehrstrukturell vollziehen, was die Regierung Schröder/Fischer an der Verfassung vorbei politisch als neue Wehrdoktrin ausgegeben hatte: Die Abkehr Deutschlands vom Prinzip der Landesverteidigung und die Hinwendung zum Prinzip globaler Offensivstrategie. Dafür braucht's in der Tat keine großen Panzerarmeen mehr und sind Wehrpflichtige eher hinderlich. Mal davon abgesehen, ob man den Doktrinwechsel für richtig oder für ein Unglück hält: Dass die neuen globalen Einsatzkräfte am Ende weniger kosten werden als  die alte Bundeswehr, kann ernstlich niemand annehmen.
 

23.8.

Mit Verlaub: Jetzt dreht das Leitungsteam des Stadttheaters Koblenz am Rad oder hat eines ab. Die Lokalzeitung machte  eben auf einen Satz aufmerksam, den man vor zwei, drei Wochen schon im ersten Monats-Leporello des Theaters für die neue Spielzeit hätte lesen können. Den hat der passionierte Theatergänger aber überlesen, weil mit einem solchen Unfug schon seit 20 Jahren niemand mehr in einer Programmvorschau  irgendeines Öffentlichen Theaters weit und breit rechnet. Der Satz heißt: "Zur Premiere ist Abendgarderobe erbeten."
∇ Dazu eine geharnischte Gegenrede hier

22.8.

Manchmal kann man nur noch den Kopf schütteln und die Hände ringen. Etwa über diesen Umstand: Der Westen, vorweg die Amerikaner, macht sich Sorgen, die Taliban-Organisationen in Pakistan könnten sich bei der jetzigen Flut als die effektiveren Helfer profilieren und darüber ihr Ansehen und ihre Verankerung vor Ort massiv stärken. Also versucht der Westen, die Amerikaner vorweg, mit allerhand importierter Fluthilfe dagegenzuhalten. Sinnigerweise fliegt aber gleichzeitig die US-Luftwaffe  Bombenangriffe (mit Drohnen) im Norden Pakistans. Sind die Amis von allen guten Geistern verlassen?  Mal davon abgesehen, dass in dieser Situation, wo alle Ressourcen für die Fluthilfe gebraucht würden, derartige Angriffe ein Schlag ins Gesichts jeden Humanitätsgedankens sind: Eine wirksamere (propagandistische) Unterstützung der Taliban lässt sich kaum denken. Ausgerechnet diejenigen anzugreifen, die in den ersten drei Wochen in manchen Gebieten als fast einzig noch funktionierende ortsansässige Organisationen den Flutopfern Ersthilfe geleistet haben, das ist an Dummheit nicht mehr zu überbieten.

Was hätte der Westen tun sollen? Angesichts der allumfassenden zivilen Not bis auf Weiteres einen Burgfrieden schließen; Waffenstilland verkünden; alle Kräfte konzentrieren auf die Fluthilfe; mit sämtlichen örtlichen Organisationen zusammenarbeiten, die helfen können, und sei es, dass Taliban-Hilfskomitees in den Dörfern mit Lebensmitteln und Zelten beliefert werden. Stattdessen gebiert die Arroganz der Macht neue Märtyrer, zeugt neuen Hass und schafft eine Erzählung, die unter den Menschen am Indus noch in Jahrzehnten künden wird: Inmitten der allergrößten Not erwiesen sich die Amerikaner als janusköpfige Schurken.   


20.8.

Aufpassen! Da will der Martliberalismus den nächsten Damm einreißen. Diesmal machen zwei Unternehmerverbände der mittelständischen Wirtschaft gegen die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer mobil. Zwei Wochen weniger Urlaub ist zwar ein absurd radikales, zurzeit auf keinen Fall durchsetzbares Ansinnen. Aber mit solchem Geschrei ist eine neue Front des Angriffes auf die Sozialstandards eröffnet. "Gemäßigtere" Vorstöße werden folgen - um Schritt für Schritt an der Aushölung des Urlaubsniveaus zu arbeiten. Wie beim Kündigungsschutz oder der Samstags-/Sonntagsarbeit, oder den Schichtzulagen, oder der Wochenarbeitszeit, oder dem Rentenalter .....
Dazu ein Kommentar hier  

18.8.

"Schuster bleib bei deinem Leisten", das ist oft ein guter Rat. Bisweilen aber soll, muss, kann, darf man durchaus der Neigung nachgeben, die altbekannten Pfade verlassen, über die Stränge schlagen, Neues probieren und in fremden Gärten wildern zu wollen. Kurzum: Der Autor hat sich für seine jetzt wieder fällig werdende Monatskolumne "Quergedanken" zur Abfassung eines Gedichtes hinreißen lassen. Genauer gesagt: Inspiriert von der  Auseinandersetzung um den Bau einer Loreley-Brücke im Unesco-Welterbe Mittelrhein (und anderen neuzeitlichen Bau-Giganten in Rheinland-Pfalz), habe ich mir erlaubt, die Loreley-Verse von Heinrich Heine neu zu bedichten. Der alte Düsseldorf-Franzose möge mir die dichterische Luderei nachsehen; gegen den guten Zweck der Operation hätte er vermutlich eher wenig einzuwenden. (Zum Gedicht hier)     

17.8.

Es wäre schon ein famoser Treppenwitz der Geschichte, würden die deutschen Kernkraftwerke infolge von Maßnahmen ausgerechnet der schwarz-gelben Merkel-Regierung abgeschaltet. Aber keine Bange: Die Energiekonzerne werden ihre Drohung nicht wahrmachen, die Atommeiler vom Netz zu nehmen, sollte die in Berlin angedachte Brennelementesteuer kommen. Sie rudern bereits zurück, hätten nie gedroht und würden das auch nie tun, sondern seien um konstruktive Gespräche mit der Regierung bemüht. Alles Theaterdonner, Begleitmusik zur Verhandlungstaktik? Das auch. Aber ein Fünkchen Wahrheit steckt drin: Müssten die AKW-Betreiber sämtliche mit ihrem Geschäft verbundene Kosten (von der Wissenschaftsbeteiligung  über  Infrastruktur und staatlichen Schutz bis zur Müllentsorgung und eben auch den Steuerpflichten) aus eigener Tasche bestreiten, die Atomkraft wäre für sie in der Tat völlig unrentabel.

                                                 ***

Was ist da los in der Leserschaft dieser website?  Nunmehr in der vierten Woche rangieren bei den Zuschaltquoten die Postleitzahlbereiche München und Freiburg mit jeweils 15 bis 20 Prozent gleich hinter dem ewigen Spitzenreiter Koblenz mit seinen gewohnten rund 25 + X Prozent. Nach hinten gedrängt finden sich Mainz, Bonn, Trier, Siegen.  Sind das etwa dutzendweise Stammleser aus diesen Städten, die in Süddeutschland Urlaub machen und dabei nichts besseres zu tun haben, als von Intercafes oder Hotelnetzen aus ihre gewohnte Lektüre zu pflegen? Sollte dem so sein: Liebe Freunde, Eure Treue ehrt den Autor. Aber trotzdem: Schaltet doch einfach mal ab und macht richtig Urlaub! Das Weltgeschehen läuft Euch schon nicht davon und das Geschreibe auf dieser Seite sowieso nicht. Sollten im Süden allerdings neue Leserschichten den Weg zu www.pecht.info gefunden haben, dann heißt's: Herzlich willkommen und dranbleiben!      

  

14.8.

Es ist ja kein Geheimnis, dass "Die Zeit" gegen den allgemeinen Trend in der Zeitungsbranche seit Jahr und Tag wachsende Verkaufsauflagen erzielen kann. Das freut einen und beruhigt auch etwas, kommt darin doch zum Ausdruck, dass das Interesse an nachdenklich-analytischem Qualitätsjournalismus nicht im Aussterben begriffen ist, sondern zulegt. Auch und gerade dort, wo die Schreiber sich Zeit und reichlich Platz nehmen, ihre Erwägungen und Befunde in langen und sehr langen Artikeln auszubreiten.

Besagtes Interesse bleibt offenbar nicht auf den Printbereich beschränkt, wie aus einer Meldung der "Zeit" über den Reichweiten-Zuwachs ihrer Website hervorgeht. Danach lag die
Einschaltquote für "Zeit online" im Juli 2010 mit 16,7 Millionen Visits um 52 Prozent höher als im Juli 2009. An zweistellige Millionen-Klicks kommt www.pecht.info leider nicht heran, aber bei der Steigerungsrate kann die Site mehr als mithalten: 13869 Besucher in diesem Juli sind 107 Prozent mehr als im juli 2009. Und 106 026 Besucher in den ersten 7 Monaten 2010 bedeuten 98 Prozent Zuwachs gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Das ist natürlich eine schöne Anerkennung für die eigene Arbeit. Doch man sollte sich da auch nichts in Tasche lügen. Denn egal ob die Einschaltquote nun nach Visits oder echten Besuchern gezählt wird, die Zuwächse gehen doch in erheblichem Maße auf die Tag um Tag fetter werdenden Alt-Bestände der Websites zurück. Auch bei mir landen viele Besucher via Suchmaschine mehr oder minder zufällig eben auf Artikeln aus früheren Jahren. Kurzum: Die Zuwächse bei Zugriffen auf aktuelle Texte fallen (hier mit rund 10 Prozent) wesentlich geringer aus, als die summierten Gesamtzahlen vermuten lassen. Bei aller Freude: Soviel Realitätssinn muss schon sein.  


11.8.

"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin" mit dieser munteren Anrede ruft das AntiAtomNetzKoblenz für 18. September zur Teilnahme an der  Großdemonstration gegen Atomkraftwerke und von der Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung auf.  

Es wurde Zeit, dass die wiederauferstandene und unter Einbeziehung auch einer neuen Generation sich formierende Protestbewegung einen nationalen Kulminationspunkt bekommt. Der Termin ist gut gewählt: Die diversen Tricksereien der Bundesregierung zur Vorbereitung des Ausstiegs aus dem Atomausstieg dürften bis dahin die Reife regierungsamtlicher Beschlüsse oder Beschlussvorlagen erreicht haben. Der richtige Moment also, wuchtig auf den Tisch zu hauen und die 34-Prozent-Regierung einmal mehr das Fürchten zu lehren. Schön zu sehen, wie sich die Leit-Slogans des Protestes in den vergangenen Monaten geändert haben. Anfangs, als erahnbar wurde wohin die neue schwarz-gelbe Regierung will, das entnervte "Atomkraft - nicht schon wieder!" Jetzt ein resolutes, ultimatives Basta mit "Atomkraft: Schluss jetzt!"

Ausführliche Infos über die Demo am 18.9. und vor allem über kollektive  wie individuelle Fahrmöglichkeiten dorthin gibt es für AKW-Gegner aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz unter
>>http://antiatomnetzkoblenz.bund-rlp.de
für Leute aus allen anderen Teilen der Republik unter
>> http://www.ausgestrahlt.de


9./10.8.

Die Woche beginnt mit Kopfschütteln über die von der Süddeutschen Zeitung bekannt gemachten jüngsten Überlegungen der Bundesregierung in Sachen Atomkraftwerke. Ist's Naivität oder bodenlose Kaltschnäuzigkeit, mit der hier eine Ranküne zur Aushebelung des Bundesrates und milliardenschwere Geschenke an die Energiekonzerne als sicherheitstechnisches Verantwortungsbewusstsein ans Volk gebracht werden sollen?  Dazu ein Kurzkommentar hier

                                              ***

Noch immer schwitzt, brennt, keucht Russland und stöhnt Pakistan unter katastrophischen Monsunfluten. Beide Fälle machen auf unterschiedliche Weise deutlich: Wir sind in keiner Weise auf die ersten jetzt sprübar durchschlagenden Wirkungen des Klimawandels vorbereitet: weder politisch, wirtschaftlich oder infrastrukturell, noch beim Klimaschutz oder beim Katastrophenschutz.  Dazu eine Analyse hier

6.8.

Zum Wochenende mal weg von der hohen wie niederen Politik und hin zu den schönen, gleichwohl weder geist- noch sonst belanglosen Dingen des Lebens. Weil Sperrfristen gefallen sind, kann ich gleich mit vier neuen Artikeln aufwarten: zwei aus der Musikwelt und zwei aus dem weiten Feld Freizeitgestaltung.

Erstens:
Zum zweiten Mal schon führte mich in Sachen Wagners "Ring" der Weg nach Ludwigshafen zu Hansgünther Heyme. Das Augenmerk galt dabei nicht dem leidigen Gerangel um die Finanzierung des ehrgeizigen Gemeinschaftsprojektes zwischen Theater im Pfalzbau LU, Staatsphilharmonie LU sowie Orchester und Theater in Halle. Mich interessierte vor allem Heymes grundsätzlicher Blick auf Wagners opus magnum und seine Konzeption, das Werk durch eine Begleitkampagne für breitere Bevölkerungsschichten zu öffnen und als Instrument reflexiver Zeit- und Gesellschaftskritik zu nutzen. (Zum Artikel hier)

Zweitens:
Der Bachchor Mainz gehört zur kleinen Gruppe der Spitzenchöre in Rheinland-Pfalz, ist aber gerade im Norden des Landes nur wenig bekannt. Ein auch in überregionalen Fachkreisen gespannt verfolgtes Sonderprojekt bot nun einen geeigneten Aufhänger, dem Chor publizistisch etwas näher zu treten: Unter Leitung von Ralf Otto wurden in Mainz lange verschollene und überwiegend noch nie gehörte Kantaten von Wilhelm Friedemann Bach aufgeführt, fürs Fernsehen (arte) aufgezeichnet und als CD eingespielt. (Zum Artikel hier)

Drittens:
Hier geht es um die neuerdings wieder richtig in Mode gekommenen Freuden des Wanderns und die jüngste Etappe der rheinland-pfälzischen Wanderoffensive: den neuen Lahntalwanderweg, dessen vier Etappen eines späteren Dreiländerweges kurz vorgestellt werden. (Zum Artikel hier)

In RLP ist in jüngerer Zeit ein dichtes Netz neuer Wanderstrecken eingerichtet worden. Für Wanderlustige ein paar Hinweise zB zu Rhein-Steig, Saar-Hunsrück-Steig, Westerwald-Steig oder die an mehreren Stellen entstandenen Traumpfade.
Die neuen rheinland-pfälzischen Steige und Pfade sind allesamt keine Promenaden und Flaniermeilen, sondern das, was ihr Name sagt: Steige und Pfade. Allesamt sind sie zwar für ungeübte Normalos gut begehbar. Aber mit Kinderwagen oder Rollstuhl geht da nichts, und fußlahm, gehbehindert oder pathologisch kurzatmig sollte man auch nicht sein. Denn es gibt auf fast jeder Strecke kräftig an- und absteigende Abschnitte (wir sind halt in Mittelgebirgen) sowie Passagen, die die Bezeichnung Pfad oder Steig tatsächlich verdienen und allemal festes Schuhwerk und ein bisschen Aufmerksamkeit verlangen. Seil, Pickel und Steigeisen können sie allerdings getrost daheim lassen. Karte und Kompass sowieso: Die Ausschilderung ist auf all diesen Wegen narrensicher, manchmal doppelt und dreifach übertrieben. Um sich da zu verlaufen, muss ein er schon ziemlich blind durch die Gegend tappen.

Problematisch kann vor allem bei den Langstrecken-Steigen die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sein. Informieren Sie sich vorab genau und vertrauen Sie bloß nicht blindlings den Bus- oder Bahnsymbolen auf Wegschildern und in Wanderführern: Die Symbole sagen zwar, dass es hier und dort eine Bus- oder Bahnhaltestelle gibt, aber gerade auf den Höhen und im Hinterland kann es durchaus sein, dass die nur einmal pro (Werk)Tag angefahren wird. Auch wenn es Touristiker und Regionalpolitiker nicht gerne hören: Was den Öffentlichen Nahverkehr angeht, ist das rheinland-pfälzische Hinterland vielfach eben tiefe Diaspora.

Als fleißiger Nutzer der Steige und Pfade bin ich sehr gespannt, wie die nach ein paar Jahren aussehen werden. Vielerorts mit erheblichem Engagement, aber sichtlich in Eile mit schmalen Budget angelegt, dürfte so manche Passage kaum die nächsten Unwetter oder Winter überstehen, wenn nicht fleißige Hände permanent pflegen, sichern, nachrüsten. Und ob lokale Kräfte in der Lage und Willens sind, die oft durch Wiesen gemähte, Buschwerk geschnittene oder in Hänge gekratzte Abschnitte Monat für Monat, Jahr für Jahr freizuhalten, muss sich erst noch erweisen. Von den wesentlich massiveren Infrastrukturen, die der Wanderboom der 1960er/70er hervorgebracht hatte, war schon in den 80ern ein beträchtlicher Teil wieder verschwunden. 

Viertens:
Dann noch ein kurzer Blick auf ein kulturtouristisch interessantes, grenzübergreifenden Projekt im Moselland: die sogenannte "Straße der Römer" mit ihrer Antiken-Vernetzung im deutsch-luxemburgisch-französischen Großraum um die einstige  römische Kaisermetropole Trier. (Zum Artikel hier)       


5.8.

Weitere Argumente gegen den Bau einer Loreley-Brücke (gefunden/gehört jetzt in Leserbriefen und Diskussionen), auf die ich noch gar nicht gekommen war:

- Der Brückenbau wird den Rheinfähren so viele Kunden nehmen, dass zumindest die der Loreley nächstliegenden bankrott gehen. Ohne diese Fähren, wird ein Teil der Anlieger/Verkehrsteilnehmer wesentlich weitere Fahrwege (zur Brücke) zurücklegen müssen, um ans andere Ufer zu kommen.

- Eine Folge für die Mittelrheingemeinden: Der Verkehr, der  bisher auf drei bis vier Fährübergänge verteilt ist, wird dann komplett auf das Nadelöhr Brücke hin kanalsisiert. Je näher eine Gemeinde an der Brücke liegt, umso höher die Belastung durch neuen, zusätzlichen Durchgangsverkehr.

- Und das nun an die Touristiker: Ihr sucht doch immer händeringend nach Alleinstellungsmerkmalen für Eure Destinationen. Aber wohl niemand hat bislang die Idee verfolgt, die historisch gewachsene kulturelle Eigenart von 90 brückenlosen Stromkilometern als Alleinstellungsmerkmal von eigenem Wert und Reiz zu begreifen und zu bewerben. Der Rhein als die Uferkulturen prägendes Trennungs- und zugleich Verbindungselement. Das ist eine ganz simple Wahrheit - und was könnte man daraus nicht alles machen!
  
                                                      ***
 
Leseempfehlung:
Was dieser Tage in den Medien leider nur wenige tun, holt Frank Drieschner jetzt in der "Zeit" nach: Er stellt unter der Überschrift  "Es brennt lichterloh" die gedankliche Verbindung zwischen den beiden großen aktuellen Umweltkatastrophen (Brände in Russland + Flut in Pakistan) und der völligen Kapitulation von Obamas Klimapolitk vor der Lobbyherrschaft her. (> weblink hier) Der Autor ist hörbar frustriert über den "Realitätsverlust der Menschheit". Politisch kommt er zu dem Ergebnis: Für Europa macht es keinen Sinn mehr auf die USA und China zu warten - die alte Welt muss nun einfach im Alleingang tun, was Klimavernunft gebietet.  Besser es packen einige entschieden zu, als dass alle zusammen die Hände in den Schoß legen. Drieschners verzweifelte Hoffnung: Vielleicht macht das europäische Beispiel dann hier und dort Schule.

Leseempfehlung:
Die Wahrscheinlichkeit/Möglichkeit einer neuen rechtsbürgerlichen Partei neben CDU/CSU angesichts der Schwäche von Schwarz-Gelb erörtert Kollege Jens Berger in einem gescheiten Aufsatz auf telepolis (> weblink hier)


3.8.

Von der Leistungssteigerung zum Biodesign“. So der Titel eines Vortrages vor einigen Tagen auf Schloss Balmoral in Bad Ems. Der Abend gehörte zur interessanten, aber von der Öffentlichkeit leider zu wenig wahrgenommenen Veranstaltungsreihe "Mensch - Natur" des rheinland-pfälzischen Künstlerhauses an der Lahn. Schon der Vortragstitel löst Unbehagen aus. Er passt zur Sorge um die neue Volkskrankheit Burn-out und den inflationären Gebrauch stärkender Pillen selbst bei Kindern. Er nährt die Befürchtung, die Moderne könnte nun auf breiter Front gar ins Spiel mit dem Umbau der menschlichen Natur einsteigen? Dazu ein kleines Essay hier


1.8.

Am Wochenende in Sachen klassischer Musik am Rhein unterwegs gewesen. Zwei hochkarätig besetzte Konzerte, die mit Liedgesang aus ganz unterschiedlichen Epochen doch auf erstaunliche Weise miteinander korrespondierten: Martin Stadtfeld und Marcus Ullmann boten beim Mittelrhein Musikfestival Romantik (Schumann-Lieder), Dominique Visse und die Capella della Torre beim Festival RheinVokal Musik des Frühbarock.
(Doppelbesprechung beider Konzerte hier)

Übrigens: Am Rande beider Konzerte ein bisschen in Sachen "Loreley-Brücke" gelauscht und geplaudert. Von einhelliger oder wenigstens überwiegender Zustimmung zum Brückenbau auch hier wieder keine Spur. Mag sein, das kulturinteressierte Volk tickt hinsichtlich der Brücke etwas anders als andere Leut'. Dennoch wäre es vielleicht keine schlechte Idee, wenn die Brückengegner sich jetzt auf eine Kampagne mit dem Ziel einigten, dass endlich irgendeine Art regionaler Volksbefragung durchgeführt wird. Das Ergebnis einer solchen Befragung/Abstimmung ist, sofern sie ordentlich durchgeführt wird, aus jetziger Sicht völlig offen. Und egal wie sie ausgeht: Gegner und Befürworter wüssten nachher wenigstens, woran sie hinsichtlich betroffenen Volkes Meinung tatsächlich sind. Das jetzige Herumhantieren mit  Anliegermehrheiten für die Brücke, die auf allen Kanälen als quasi objektive Wahrheit ausgegeben werden, obwohl sie nur mutmaßlich sind und nie erhoben wurden, ist schlechterdings unerträglich.

Werte Genossen von der SPD, sehr geehrte Damen und Herrn von CDU und FDP, hallo Grüne: Wie wär's, mal wieder mehr Demokratie zu wagen. Die Loreley-Rheinquerung ist so ein Thema, bei dem nichts, aber auch gar nichts dagegen spricht, die Bevölkerung vor Ort selbst entscheiden zu lassen!!!

Zumal der Unesco-Bescheid von Brasilia regionale Entscheidungsfreiheit in die eine wie in die andere Richtung lässt. Also gebt dem Volk die Chance, ein eigenes Votum für oder gegen die neue Rheinquerung abzugeben.  
    

30.7.

Ums gleich klar zu sagen: Ich bedauere die zustimmenden Signale der Unesco für den Brückenbau nahe der Loreley im Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal. Zwar wird - sobald der Beschlusstext des Welterbekomitees aus Brasilien im Wortlaut vorliegt - noch zu prüfen sein, ob die euphorische Deutung der RLP-Landesregierung auch zutrifft. Denn dass die Unesco ohne Wenn und Aber, ohne Einschränkungen und Bedingungen grünes Licht für die neue Rheinbrücke gegeben hat, ist nach allen bisherigen Erfahrungen eher unwahrscheinlich. Dennoch gibt es aufseiten der Unesco offenbar keine grundsätzlich ablehnende Haltung mehr gegenüber dieser Brücke. Weshalb man davon ausgehen muss, dass der Brückenbau nun forciert in Angriff genommen wird.  Dazu einige Anmerkungen hier


29.7.

Hinweis in eigener Sache.
Gerade macht ein tatsächlicher Freund mich darauf aufmerksam, dass es in Facebook einen Andreas Pecht gibt.
DAS BIN NICHT ICH!
Keines der "sozialen Netzwerke" im Internet kann mich zu seinen Mitgliedern zählen; ich habe mich nirgendwo angemeldet. Und schon gar nicht liebe ich Red Bull, Porsche oder Mercedes.

                                             ***    

Umfragen
sind keine Wahlen, selbstredend. Und so mancher Wahlabend ließ von der Demoskopie verursachte Blütenträume platzen. Dennoch geben Umfragen - sofern einigermaßen ordentlich repräsentativ durchgeführt - in der Regel recht brauchbare Auskünfte über Stimmungs-/Meinungstendenzen und Veränderungsdimensionen. Beim aktuellen Forsa-Wahltrend für "Stern" und RTL schneiden die Union mit 29 % noch etwas schlechter, die Grünen mit 19 % etwas besser ab als bei der letzten Erhebung von Allensbach für FAZ. Die Unterschiede zwischen den Instituten liegen im Zwei-Prozent-Bereich: Das könnte zwar bei Wahlen entscheidend sein, für die Beurteilung politischer Stimmungslagen im Land spielt es allerdings kaum eine Rolle.

Neben dem bereits näher betrachteten Umfragedebakel von Union und schwarz-gelber Bundesregierung (siehe Analyse von gestern), ist der anhaltende Höhenflug der Grünen eine besonders interessante Komponente in den jüngsten Erhebungen. Dazu ein gesonderter Artikel hier


28.7.

Völlig unerwartet kommt das nicht, ein Hammer ist es dennoch: CDU/CSU laut Forsa-Umfrage auf einen Zustimmungswert von 29 Prozent abgesackt, die Regierungskoaltition bei 34 Prozent im Keller, gegenüber 58 Prozent für die Oppositionesparteien. Das Chaosbild der Schwarz-Gelben seit Regierungsantritt forciert die Mitte der 90er einsetzende Demontage der Union ungemein. Die Konservativen vollziehen mit Furor die Identitätskrise nach,  die die Sozialdemokratie schon zehn Jahre länger beutelt. (Dazu eine Analyse hier)

                                          ***

Seit Sommer 2008 munkelt sie sich vom Westerwald her durch die Kulturszene: Die Kunde von einem spannenden Kunstprojekt jwd auf dem Land, versteckt inmitten quadratkilometerweise Waldesgrün. Während des Urlaubs fand ich jetzt endlich Gelegenheit, das "b-05/Kunst- und Kulturzentrum" im Westerwald nahe Montabaur/Horressen einmal selbst in Augenschein zu nehmen. Zeitgenössische bildende Kunst von Rang, ausgestellt in renovierten und ausstellungstechnisch aufgerüsteten Bunkern eines ehemaligen Nato-Lagers; drumrum die Lebensphäre von Fuchs und Hase - Wald, nichts sonst. Das Areal und seine Nutzung ein Faszinosum, die Geschichte dazu ein schönes Beispiel für Träumereien, die ein Kunstbesessener hat Wirklichkeit werden lassen. (Artikel hier)
    

26.7.

Da wären wir also wieder - gleiche Stelle, gleiche Welle. Regelmäßige Besucher dieser website werden bemerkt haben, dass sich hier die zurückliegenden vier bis fünf Wochen recht wenig bewegt hat. Genau, der Autor hat ein bisschen Urlaub gemacht, zwischendurch noch zwei Recherchefahrten unternommen und obendrein wieder mal ein paar Tage workshop  bei einer Seminar-Woche von Jugendlichen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) gehalten.

Zum Einstieg in die zweite Jahreshälfte als Lektüre eine Würdigung des Lahnsteiner Bluesfestivals zum 30. Geburtstag (hier) sowie die Monatskolumne "Quergedanken" (hier) mit einer sehr speziellen Sommer-Reminiszenz: dem Sauna-Service der Deutschen Bahn.

                                              ***

Erschütterung beim Wiedereinschalten in den aktuellen Nachrichtenfluss am Wochenende: Die Loveparade-Katastrophe. Ernüchternd die (gar nicht neue) Erkenntnis, dass auch die Moderne kreatürliche Reflexe nicht überwindet. Eine Massenpanik bliebt eine Massenpanik, und bricht sie erst los, setzt sie blindwütigen Überlebensinstinkt anstelle von Vernunft und Überblick. Die panische Masse gleicht einer bewusstlos tobenden Flut. Den in Panik geratenen Menschen lässt sich kein Vorwurf machen, den dahinter drückenden wohl auch nicht. Erstere können kaum anders als ums nackte Leben strampeln, Letztere ahnen nicht, welche entsetzlichen Auswirkungen ihr Geschiebe 40 Meter weiter vorne hat. Im Übrigen ist es absurd, wegen der Gleichzeitigkeit von Katastrophe und Feierei, den Feiernden Gleichgültigkeit, Instinkt- oder Pietätlosigkeit vorzuhalten: Bei einer Veranstaltung mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern liegen Welten zwischen den Wahrnehmungen der Teilnehmer in den diversen Arealen.

Weil eine losgebrochene Massenpanik von nichts und niemandem wirklich zu "managen" ist, muss alle Aufmerksamkeit im Vorfeld darauf gerichtet sein, ein Ausbrechen zu verhindern. Nach vielen, vielen Katastrophen in Stadien, Arenen, bei Bränden und anderen Ereignissen weiß man (sollte man wissen): In erster Linie kommt es darauf an, nicht zu viele Menschen auf zu kleinen Raum zu quetschen, der Masse keinen Stau-Engpass in den Weg zu stellen und Luft zu lassen, dass sie im Notfall in den freien Raum abfließen kann. Gegen diese grundlegenden Faktoren wurde in Duisburg offensichtlich verstoßen. Auf ein für 250 000 Leute zugelassenes Gelände die drei- oder vierfache Zahl zu locken, das ist ein Unding. Der Eingangs-/Ausgangstunnel: ein Unding. Ein nach allen Seiten durch Zäune geschlossenes Areal: ein Unding. Wer auch immer sich das ausgedacht und/oder genehmigt hat, es müssen von allen guten Geistern verlassene Veranstaltungsdilettanten gewesen sein. 

    

10.7.

Im buchstäblichen Schweiße des Angesichts und anderer Körperteile dem Hirn abgerungen eine Analyse, die zu dem Ergebnis kommt: Jogi Löws WM-Mannschaft unterstreicht, dass die gesellschaftliche Zukunft unausweichlich multikulturell sein wird. (Zum Artikel hier)


7.7.

Thema des Tages allüberall: das Ausscheiden der deutschen Mannschaft aus der Fußball-WM. Durchgängiger, nur in Nuancen differierender Tenor in heimischen wie ausländischen Medien: Die bessere und reifere Mannschaft Spaniens hat gewonnen, das junge Multikulti-Team aus Deutschland dennoch ein großes Turnier gespielt - mit leichtfüßiger, kluger, schöner und zugleich effektiver Kickerei im geschlossenen Team.  Dem ist schwerlich zu widersprechen. 

Neben der fußballerischen Seite fasziniert an der deutschen Mannschaft und am deutschen Fußballvolk: Die schiere Selbstverständlichkeit, mit der hier Migrantensprösslinge zahlreich in den Kader integriert sind und die Unaufgeregtheit, mit der dieser Umstand von den teutonischen Massen akzeptiert wird. Selbstredend sähe das wohl etwas anders aus, wäre die Mannschaft in der Vorrunde rausgeflogen. Dennoch: Dass der Anteil von zehn Spielern mit Migrationshintergrund im WM-Aufgebot keinen heftigen Nationaldisput auslöste, ist per se schon fast ein Sommermärchen und signalisiert: Manches ist im Fluss.

So stehen wir im Augenblick vor dem eigentümlichen Phänomen einer gewaltigen Welle schwarz-rot-goldener Nationalbegeisterung, die scheinbar problemlos konveniert mit der Tatsache, dass ihr Gegenstand, die Nationalmannschaft,  Ausdruck des multikulturellen Wandels der Gesellschaft ist.  Und die Frage stellt sich: Erleben wir nicht gerade eine subkutane, weithin noch unbewusste und gefühlsorientierte, aber doch De-Facto-Umdeutung des Nationalbegriffs? Darüber wird gesondert nochmal genauer nachzudenken sein.

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Es ist heute einfach zu heiß, um schreiberisch weiters solche und andere kniffelige Gedanken zu wälzen. Weshalb ich es jetzt bei einer dringlichen Lektüreempfehlung belassen will: Besorgen Sie sich die neueste Printausgabe der "Zeit", allein schon ihres Feuilletons wegen. Zwei große Artikel darin MUSS man gelesen haben (und beide sind auf Zeit-online leider nicht frei greifbar). Unter der Schlagzeile "Kriegsgötterdämmerung" schrieb Roger Willemsen, warum es höchste Eisenbahn ist, in Afghanistan mit einem Krieg aufzuhören, den man nicht mehr gewinnen kann. Kenntnisreicheres und Schlüssigeres zum Thema hat lange keiner, wenn überhaupt je, zu Papier gebracht.

Der zweite Aufsatz (von Peter Kümmel) setzt sich unter der Überschrift "Es war einmal? Schluss damit. Es ist!" grundsätzlich mit der jüngeren Tendenz am Theater auseinander, dass Schauspieler immer weniger im Moment handelnde Figuren verkörpern, sondern zu Erzählern vergangener Geschichten mutieren. Kümmel diskutiert etwa auf interessante Weise die seit einigen Jahren an den Theatern um sich greifende Mode der Romandramatisierung. Er kritisiert, dass dabei der Unterschied zwischen Epik und Dramatik auf der Strecke bleibe und das Theater ein wesentliches seiner Urmerkmale aufgebe: Mit den Bühnenfiguren Wesen zu erfinden, die nur in Platons Augenblick leben.

Was Zeit-online allerdings aus dem Printfeuilleton freigibt ist ein wunderherrlich pointierte kleine Einlassung "zur Psychologie der Anti-Raucher-Lobby" im Nachklapp zur bayerischen Volksabstimmung. (weblink hier
            

6.7.

Während das übrige Rheinland-Pfalz sich gerade in die Ferien begeben hat oder sich darauf vorbereitet, es alsbald zu tun, sind meine freien Sommertage fürs erste leider schon wieder vorbei. Knapp zwei Wochen aus der Welt gewesen - und siehe, sie dreht sich noch immer. Knapp zwei Wochen bewusst aus dem Nachrichtenfluss ausgeklinkt (von Fußball mal abgesehen) - und siehe, nichts geschehen, was man nicht trotzdem sofort begreifen würde: G20-Gipfel gescheitert, die Banken obsiegen; das BP-Öl blubbert noch immer vom Meeresgrund; NRW kriegt seine rot-grüne Minderheitsregierung; die schwarz-gelbe Chaoskoalition zu Berlin rumpelt weiter die Kellertreppe hinunter ihrem Ende entgegen (nur der Zeitpunkt des Aufschlags bleibt unklar). Oder  anders formuliert: Das Weltgeschehen hält derzeit wenig Unvorhersehbares bereit - das Gefühl, wegen 14-tägiger Nachrichtenabstinenz nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, ist bloß ein subjektives Trugbild.

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Zum Ende der Theatersaison sind Bilanzen fällig. Mir fiel die Aufgabe zu, das erste Jahr des neuen ballettmainz unter Pascal Touzeau zu resümieren. Kurz gesagt: Entschieden ist da noch nichts. Die Kompagnie ist klasse, der Choreograph auf der Suche nach einer eigenen Handschrift aber während der ersten Saison nicht wirklich weit vorangekommen beziehungsweise in Gefahr, sich auf einen Holzweg zu begeben. (Artikel hier)  


 
Wünsche Erhellung und Anregung bei der Lektüre
nebenstehender neuer Texte (s. linke Spalte)
Andreas Pecht


2010-06-30 "Guten Tag allerseits"
im Monat Juni 2010


2010-06-31c "Guten Tag allerseits"                                             im Monat Mai 2010



 

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