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2010-12-27 Feature:

Freie Bühne Neuwied macht aus dem ehemaligem Scala-Kino der Deichstadt das „Scala Theater“


Statt Spielhölle oder Bordell:
ein Off-Theater


ape. Neuwied. „Viele Jahre wurden wir bloß älter und auch weniger, jetzt wagen junge Kollegen vermehrt den Sprung in die freie Tätigkeit.“ So beschrieb Astrid Sacher, Vorsitzende des Landesverbandes freier professioneller Theater (LaProfth) Rheinland-Pfalz, in der Oktober-Ausgabe dieses Magazins ihre aktuelle Sicht auf die freie Szene. Einer dieser „jungen Kollegen“ zieht derzeit in Neuwied einige Aufmerksamkeit auf sich: Schauspieler, Regisseur, Theaterinitiator Boris Weber. 2003 gründete er die Freie Bühne Neuwied, die jetzt das ehemalige Scala-Kino angemietet hat, um es als eigenes Theater in der Deichstadt zu etablieren.

Das Unternehmen „Scala Theater“ ist ein Wagnis, ein Experiment mit offenem Ausgang, wie Weber weiß: „Wir  müssen sehen, ob es funktioniert.“ Am 4. Dezember war die erste Premiere. Vor vollem Haus kam das Kinderstück „Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel“ nach Cornelia Funke vors Publikum,  gespielt von Profischauspielern zusammen mit dem neu eingerichteten  Kinderensemble der Freien Bühne Neuwied. Zehn Vorstellungen waren davon bis Jahresende 2010 angesetzt. Der Januar bringt im neuen „Scala Theater“ auch mehrere Vorstellungen aus dem Repertoire der Weber-Truppe. So der Schlagerabend „Nichtverlängert –  wir schlage(r)n uns durch“  mit und über zwei Schauspieler, die nach dem Auslaufen ihrer festen Theaterengagements sehen müssen, wo sie bleiben. Boris Weber und Markus Angenvorth, beide ehemals im Ensemble des Koblenzer Stadttheaters, spielen die sangesfreudigen Rollen.

Ebenfalls im Januar-Programm: die Theater-Comedy „Titanic“; ein Zwei-Frauen-Abend, in dessen Verlauf Verena Brakonier und Cynthia Thurat das gesamte Personal des Kinoschmalzlers aufmarschieren lassen. Auch die beiden Schauspielerinnen sind für passionierte Theaterfreunde alte Bekannte aus der Koblenzer Szene; wie André Wittlich, Frank Marker, Nina Langer und andere, die immer wieder mal bei den Neuwiedern mitspielen. Sieben bis neun professionelle, regionalbekannte Mimen bilden sozusagen den „standorttreuen“ Stamm, aus dem das Freie Theater Neuwied unterschiedliche Besetzungen rekrutiert.

Von diesen Profis sind immer welche dabei, wenn die Amateure vom 2005 aus der Taufe gehobenen  Jugendensemble der Neuwieder mit ernstem Theater in Aktion treten. Im Januar zeigen sie  „Die Welle“ über das bekannte Faschismus-Schulexperiment, das Morthon Rhue in seinem gleichnamigen Roman thematisierte. Wie diese Inszenierung, so wurde auch „Ich knall euch ab“ über einen Schüler-Amokläufer in den Vorjahren an vielen Schulen der Umgebung aufgeführt. Beide Arbeiten kommen nun erstmals im Scala auf die „eigene Bühne“. Profis und Amateure gemeinsam spielen zu lassen, das ist ein Prinzip von Boris Weber in der Kinder- und Jugendarbeit. Er hat damit gute Erfahrungen gemacht: „Die Proben werden effektiver, das Spiel bekommt mehr Sicherheit, vor allem aber sind die Jugendlichen enorm motiviert, denn sie wollen mit den alten Hasen ordentlich mithalten.“        

Zu den allerjüngsten der von Astrid Sacher angesprochenen „jungen Kollegen“ zählt Boris Weber aber nun doch nicht. 1976 in Neuwied geboren hat er schon etliche Jahre Bühnenerfahrung auf dem Buckel: Schauspielschule in Wiesbaden, hernach Engagement am dortigen Staatstheater, anschließend von 2001 bis 2009 am Stadttheater Koblenz im Einsatz. Parallel seit 2003 Aufbau und Betrieb der Freien Bühne Neuwied. Diese ist nicht nur ein kultureller Gewinn für die Deichstadt nebst Umgebung geworden. Weber und einige seiner Kollegen hatten hier auch ein künstlerisches Betätigungsfeld sicher, als 2009 mit dem Intendanzwechsel am Stadttheater Koblenz das Schauspielpersonal weitgehend durchgewechselt wurde.

Die Freie Bühne Neuwied ist demnach kein Neuling. Aufmerksam machten wechselnde Besetzungen um Weber und die Dramaturgin Alexandra Freund etwa mit Inszenierungen an sehr ungewöhnlichen Spielorten: Das Stück „Auf hoher See“ wurde im Schwimmbad gegeben, „Novecento“ auf einem Schiff. Zu den Rommersdorfer Festspielen steuerte die Truppe   „Frühlingserwachen“, „Amadeus“ oder  „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ bei. Die Weber-Freunde stämmen obendrein das alljährlich 10-tägige „Sommertheater auf Burg Altwied“. 2010 wurden dort unter anderem „Biene Maja“, „Dirty Dancing“ und „Baby Talk“ aufgeführt. Von den Auftritten in Schulen war bereits die Rede: „Klamms Krieg“ wurde/wird häufig gespielt, „Die Welle“ erlebte zwischen Puderbach und Bingen bislang mehr als 50 Aufführungen. „Ich knall euch ab“ gibt es seit der letztjährigen Einladung der Neuwieder zum Theaterfestival „ReAct“ in Valencia/Spanien als deutsch- und als englischsprachige Version.

Eine quietschlebendige, vielseitige, kreative Theaterzelle ist diese Freie Bühne Neuwied also.  Gefehlt hat ihr aber stets ein Stammhaus, ein künstlerischer und logistischer Konzentrationspunkt. Das ist nun, zumindest für den Augenblick, das ehemalige Scala-Kino geworden. An der Heddesdorfer Straße in Neuwied gelegen, hat es seine hohe Zeit als Filmpalast schon eine Weile hinter sich. Zwischendurch war es eine Disco. Später tauchten Kaufinteressenten auf, die aus dem Gebäude einen Spielsalon machen wollten; man munkelte gar „Bordell“. Dem schob die Stadt einen Riegel vor, da direkt gegenüber das Amt für Jugend und Soziales liegt.

Nun hat die Freie Bühne zugegriffen. Ihre Absicht, aus dem Scala ein Theater zu machen, trifft reihum auf Wohlwollen. Kinobesitzerin Sabine Weiler sei, so Weber, angetan von der Vorstellung, dass sich auf halbem Weg zwischen ihren beiden Neuwieder Filmspielstätten Metropol und Schauburg eine Kultureinrichtung ansiedelt – und kommt ihm mit der Miete fürs Scala großzügig entgegen. Der Betrag bleibt für ein kleines Off-Theater dennoch ein rechter Batzen. Stadtwerke, Sparkasse, Provinzial Versicherung und einige andere helfen, um ihn für die ersten drei, vier Monate zu sichern. Alle übrigen Kosten müssen die Theatermacher über Eintrittsgeld selbst einspielen.
           
Kann das gutgehen? Boris Weber zuckt die Achseln, ist aber optimistisch. Er hofft: auf regen Publikumszuspruch; auf viele Teilnehmer an den im Januar neu angebotenen Theaterworkshops für Kinder und Jugendliche; auf offenherzige Sponsoren; auf ein bisschen Hilfe von der Öffentlichen Hand; und womöglich auf Nutzung der Scala zudem für diverse Kulturveranstaltungen mit Kooperationspartnern. „Es bewegt sich im Augenblick einiges“, meint er. Ein mutiges Experiment, aber wie gesagt eines mit offenem Ausgang. Der Spielplan bis Ende Februar steht, dann wird bilanziert und entschieden, ob der Vorhang im Scala weiter aufgeht oder nicht. Sei es nun so oder so: „Für Mai haben wir die Option, im Scala Neuwieder Schultheatertage stattfinden zu lassen. Und die wollen wir unbedingt hinkriegen.“ Da wünschen wir „Glück auf!“.                                                            Andreas Pecht

Info/Kontakt: www.freiebuehneneuwied.de


(Erstabdruck 52. Woche im Dezember 2010)


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