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2010-11-06 Zum Gedenken:


Erinnerung an Wolfgang Kroener
 
 
ape. Die Grablegung meines Freundes, Dorfnachbarn und langjährigen Kollegen im Kulturressort der Rhein-Zeitung, Wolfgang Kroener, auf dem Hauptfriedhof Trier liegt nun schon einige Wochen zurück. Ich habe eine Weile mit mir gerungen, ob es statthaft sei, meine dortige kleine Gedenkrede ins Netz zu stellen und so öffentlich zu machen. Eine zweischneidige Sache. Aber ich denke: Wolfgang war über etliche Jahre auf seine ganz eigene Weise auch eine Art öffentliche Person, viele kannten ihn, schätzten ihn. Und es scheint mir nun nach einiger Zeit der nur privaten Trauer nicht anstößig, eine auf persönliche Weise an ihn erinnernde Präsenz im Netz zu schaffen.


Liebe Freunde,

als Mary Kroener fragte, ob ich hier ein paar Sätze sprechen wolle, schoss mir durch den Kopf: Was würde Wolfgang dazu sagen? Gewiss nicht, das sei wichtig. Wie so oft in all den Jahren, die wir miteinander zu tun hatten, würde er mich vielmehr fragen: Hast du Bock drauf??

Antwort: Ja, Alter, hab ich.
Darauf er: Dann sprich halt. Aber mach keinen Staatsakt draus. Und sei kein Trauerkloß, rede über die schönen Seiten und Zeiten, die wir erlebt haben. Und: Schreib auf, was du sagen willst, sonst vergisst du unterwegs wieder die Hälfte und musst dir ständig mit unser beider so oft gebrauchtem Ersatzwort „Dingens“ behelfen.

Könnte Wolfgang jetzt einen Blick auf dieses Manuskript werfen, er würde schmunzeln – über die 18 Punkt große Schrift, die ich benutze, weil ich es anders ohne Brille nicht mehr lesen kann. „Siehste, so geht's“ würde er sich augenzwinkernd revanchieren für all meine Spötteleien über seine Art, gedruckten Text zu lesen. Ich sah es Vieltausende Mal in unserer Redaktionsstube, Ihr werdet es auch erlebt haben, wenn er daheim auf dem Sofa saß: Da nahm er seine Normalbrille ab und kroch kurzsichtig schier ins Papier hinein. Manchmal konnte ihn erst der Zuruf „Jetzt siehst du aus wie ein staubig-alter Bücherwurm“ bewegen, zur Lesebrille zu greifen.

Ja, uns Wolfgang war eigen. Viele, die ihn in den 70ern, 80ern und 90ern kennenlernten, hielten ihn für einen Sonderling, einen Eigenbrötler, einen Kauz. Womit sie Recht hatten. Allerdings: Die meisten mochten in trotzdem, oder genauer: Sie mochten ihn gerade deswegen. Das hat zu tun mit einem seiner wichtigsten Wesenszüge, wie er in der unscheinbaren Frage zum Ausdruck kam: Hast Du Bock drauf?

Wenn man ihm sagte: „Nö, Wolfgang, mag ich nicht, liegt mir nicht, hätt ich keine Freude dran“, dann bedurfte das keiner weiteren Begründung. Sobald er spürte, dass es da eine persönliche Abneigung gegen diese oder jene Anforderung, Aufgabenstellung, vermeintliche  Pflicht gab, akzeptierte er das umstandslos. Rationale Gründe für oder gegen etwas spielten allenfalls eine nachgeordnete Rolle; das individuelle Gefühl, der Mensch an sich, war ihm immer das Wichtigste.

Wolfgang war in einem Ausmaß Gefühlsmensch, wie ich selten einen getroffen habe. Und er war es nicht nur für sich selbst, er gestand das auch jedem anderen zu. Mehr noch: Er hoffte bei seinen Mitmenschen geradezu auf Hinwendung zum Gefühl, zum Menschlichen. Und er freute sich über kaum etwas mehr, als wenn Freunde oder Kollegen sich mal - und sei's nur für einen Augenblick - von den schnöden Normen des gewöhnlichen Lebens befreiten. Eine derart hohe  Emotionalität hat ihre Kehrseite: Sie machte Wolfgang über alle Maßen empfindlich, dünnhäutig, verletzlich auch gegenüber den Zumutungen, die die Welt ihm und anderen auflud. Aber davon will ich hier nicht weiter sprechen. 

Ich erinnere meine Erstbegegnung mit ihm. Es liegt bald drei Jahrzehnte zurück, wir wohnten noch nicht lange in Wittgert (Dorf im Westerwald, wo auch kroners lebten), kannten dort quasi niemanden, mein Sohn Marco war erst einige Monate alt: Da klingelte es eines Abends an der Haustür, davor stand eine seltsame Type. So eine Mischung aus Tramp und Penner. Nen alten Schlapphut auf dem Kopf, in der Hand einen abgewetzten Koffer und im Gesicht den Schalk.  Der erste Satz des Kerls ging so: „Ich bin der Wolfgang Kroener und habe gehört, hier sind interessante Leute eingezogen; die will ich jetzt mal kennenlernen.“

Da macht sich einer auf, um wildfremde Menschen in ihrem Haus aufzusuchen, nur weil er um drei Ecken rum gehört hatte, die Leute könnten vielleicht irgendwie Geistesverwandte zu ihm sein. Für die Begegnung legt er eine Art Kostüm an: den Schlapphut setzt er daheim auf, den Koffer greift er sich unterwegs vom gerade stattfindenden Sperrmüll. Hat man sowas schon erlebt?
 
Wolfgang suchte immer die Begegnung mit Menschen. Allerdings durften sie ihm nicht in Massen, hierarchischen Kollektiven oder in amtlicher Funktion kommen. Da kriegte er hektische Flecken ins Gesicht, verdrückte sich oder nahm regelrecht Reißaus. Was er suchte, war die Nähe zu Individuen, immer wieder vor allem auch zu solchen, von denen er erhoffte, dass sie sich irgendwie vom grauen Durchschnitt unterscheiden. Daher früher seine Vorliebe für Künstler. Und mit nicht wenigen, die er berufsbedingt aufgesucht hatte, verband ihn nachher eine eigensinnige Freundschaft.

Wolfgang und ich konnten während der 14 Jahre, die wir fast jeden Arbeitstag stundenlang im Kulturstübchen der Zeitung Nase an Nase beisammenhockten, uns in einer Sache nie einig werden: Mich interessierten an der Kunst in erster Linie die Werke, weniger ihre Macher. Ihn interessierten vor allem die Menschen hinter der Kunst, die Künstler. Seine Artikel über Kunst sind fast alle auch persönliche Porträts der Künstler, meine Artikel sind zumeist Werkkritiken.

In jeder anderen Konstellation hätte diese grundlegend verschiedene Herangehensweise alsbald zum Zerwürfnis geführt. Nicht so mit Wolfgang, der ja formal mein Vorgesetzter war: Er ließ mich meinen Stiefel machen und machte ungerührt seinen eigenen weiter. Manchmal schlossen Kollegen oder Leser im Nachhinein Wetten ab, wer von uns beiden denn diese oder jene Kulturseite produziert habe. Man konnte die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bisweilen deutlich erkennen.

Keine auf Einheitlichkeit gebürstete Linie, sondern Freiheit für  Unterschiedlichkeit, das war nur mit Wolfgang möglich.      
Es gab Leute, die hielten das für so abwegig wie Wolfgangs Neigung zu ungewöhnlichem Benehmen und ausgefallenen Ästhetiken für närrisch. Erinnert Euch an die Tabakspfeifen, die er viele Jahre lang zu qualmen und zu zerbeißen pflegte: die hatten oft die skurrilsten Formen und Farben. Denkt an die schrillbunten Brillen, mit denen er eines Tages auftauchte. Oder: Die alten Kollegen und ich wir wissen vom Schmunzeln wie vom missbilligenden Kopfschütteln im Verlag, wenn Wolfgang an sonnig-warmen Tagen barfüßig in Hawai-Hemd und Sarazenenhose zur Arbeit kam.  

Oder lasst vor Eurem geistigen Auge mal die Kroenerschen  Autos vorbeiparadieren: Zum Zeitpunkt ihrer Anschaffung waren es allesamt Sonderlinge in der deutschen Autowelt – der Alfa; der türkisfarbene Van; dann der japanische Kleinwagen mit seinen weiblichen Rundungen; hernach der Fiat-Kasten in Lila, später der Farbflickerl-Renault.

An dem Wort närrisch ist schon was dran, denn Wolfgang machte sich bisweilen wissentlich und mit Freude zum Clown, zum absonderlich widerspenstigen Narren, also im besten Shakespeare-Sinn zum eigentlich Weisen. Er tanzte aus der Reihe, stieß übliche Verhaltensregeln um, benahm sich anders als man sich gemeinhin zu benehmen pflegt. Das fiel ihm nicht schwer, weil er sich dazu nicht verstellen musste.

Marco brachte das als vier- oder fünfjähriger Pimpf mal auf den Punkt. Nach dem damals unter uns Wittgertern gepflegten samstäglichen Familienschwimmen im Nauorter Hallenbad sagte er: „Der Wolfgang schwimmt immer Zickzack, weil es ihm langweilig ist, hinter den anderen her die gleiche Bahn rauf- und runterzuschwimmen.“

Wolfgang tat, was er tat, nicht per se um aufzufallen. Vielmehr war Nonkonformismus wohl ein Teil seines Naturells, aus der Reihe zu tanzen eines seiner elementaren Lebensbedürfnisse.
 
Er hatte gern Freunde im Dutzend um sich. Am liebsten bei sich daheim, denn dieses Heim war mitsamt Familie sein eigentlicher Lebensraum. Die Welt draußen war unberechenbar und sie wurde ihm mit den Jahren immer fremder, abweisender, feindlicher. Wenn aber daheim Freunde fröhlich um den nach südländischer Manier gedeckten Tisch herumsaßen, dann war er zufrieden.

Dennoch zog er sich oft nach einer Weile von der großen lauten Runde zurück, beobachtete lächelnd oder sinnend vom Diwan im Halbdunkel aus das Treiben – und wartete darauf, dass sich einer für intimeren Plausch zu ihm geselle. Diese plötzlichen Rückzüge waren manchmal irritierend. Aber sie gehörten nunmal zu ihm,  wie der in niedrigste Stellung herabgelassene Bürostuhl (sodass er die PC-Tastatur fast in Kinnhöhe vor sich hatte) oder die kategorische Weigerung, als Ressortleiter Kultur an irgendwelchen offiziellen Veranstaltungen teilzunehmen. 

Bei einer dieser Plaudereien im dunklen Eck am Kamin kamen wir mal auf Schiller zu sprechen und dessen These, dass der Mensch nur wahrhaft Mensch sein könne beim Spielen. Ich erinnere noch gut, wie Wolfgang bei diesem Gedanken erst aufblühte, dann aber traurig bemerkte:  Die große Welt lasse heute leider immer weniger Spiel-Räume. Weshalb einem nichts übrig bleibe, als sich möglichst viele Reste davon im kleinen privaten Bereich und in den Tagträumen zu erhalten.

Einer dieser Träume war bei Wolfgang, seit ich ihn kenne, ein Umzug  in den Süden, in die Sonne, ans Meer. Wegziehen aus dem winterkalten, herzenskalten, streng organisierten und geschäftswütigen Deutschland. Umsiedeln  ins Land, wo die Zitronen blühn, es warm ist, das Leben einfacher und gemächlicher verläuft. Deshalb sage ich trotz der tragischen Umstände seines Todes: Für alle –  die Wolfgang geschätzt, gemocht, geliebt haben – mag es ein Trost sein, dass sein Leben schließlich doch dort endete, wohin es ihn zeitlebens gezogen hatte: in Arkadien, im Sehnsuchtsland unter der Sonne am südlichen Meer.

Heh Alter, steck dir wieder die Tabakspfeife zwischen die Zähne, schenk den Retsina ein und lass es dir gut gehen. Ciao.    

                                                                                       Andreas Pecht


 
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