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2010-09-12 Schauspielkritik:

Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“
am Theater Koblenz (Regie: Andrea Udl)

Antigone fällt unter die Rittersleut' 


 
ape.  Mit der Uraufführung von „Nach Arkadien!“ war ein spannender moderner Prolog in den  Kammerspielen vorausgegangen. Nun folgte auf der Hauptbühne des Theaters Koblenz am Wochenende der offizielle Spielzeitauftakt. Zur Premiere kam der Klassiker „Das Käthchen von Heilbronn“,  dereinst durch Autor Heinrich von Kleist selbst als „großes historisches Ritterspiel“ bezeichnet. Ein Stück also aus dem 19. Jahrhundert, das dem damaligen Publikum ein Märchenspektakel übers Mittelalter bieten wollte. Kann solches uns Heutigen noch gefallen?

 
Für eilige Leser eine Kurzbewertung des knapp zweieinhalbstündigen Abends im Twitter-Format: Interessante Gesamtanlage, grundsolide Umsetzung, einige große Spielmomente, hinreißende Titeldarstellerin, ein paar Schwächen; insgesamt sehenswert.

Zum Substanziellen. Was auch immer Regisseure aus diesem Werk heraus- oder in es  hineinlesen möchten: Alles steht und fällt mit der Titelfigur, dem Käthchen. Ob die Maid es mit Recken in blecherner Rüstung oder Polityuppies in Nadelstreifen zu tun hat, ist sekundär. Es kommt allein auf die Rolle an, die sie sich selbst in den Männerwelten gibt. Mit der Traumweissagung eines Engels gibt Kleist dem Käthchen die Freiheit, sich außerhalb jeder gewöhnlich für Frauen geltenden Norm zu stellen.

Sie kann ihrem Graf vom Strahl wie eine dem Traumprinzen naiv ergebene Jungfer oder ein nach dem Popidol schmachtender Groupie hinterherlaufen. Das sind dann so Inszenierungen, wo nicht nur aufgeklärte Frauen mit den Zähnen knirschen. Käthe kann aber auch, wie Ulrike Krumbiegel in Thomas Langhoffs Berliner Inszenierung 1991, selbstbewusste Tatfrau sein und ihre Mitspieler als dümmlich an Konventionen gefesselte Bagage vorführen. Oder sie kann, wie die jetzt wunderbare Jana Gwosdek in Koblenz, in stoischer Gewissheit ihren selbstgewählten Weg beschreiten – egal, welch Turbulenz das Personal drumherum veranstaltet.

Das Koblenzer Käthchen ist ein eigentümliches Wesen. Klein, zart, fast zerbrechlich von Statur, und doch unbeugsam der Welt trotzend. Mimik und Gestik extrem reduziert, schier starr, und doch ebenso voller Anmut wie auf geheimnisvoll stille Weise beredt die Profanität der Welt konterkarierend. Gwosdek spielt antik: Eine Sophokles'sche Antigone, versetzt ins romantisch überhöhte Mittelalterspiel  – das sie so für heutiges Publikum zum Wert jenseits pittoresken Spektakulums macht.

Nur in einem einzigen Moment verlässt sie diese Warte, erstrahlt schlafwandelnd in winzigen Gesten und zärtlicher Rede zur sanft und gelöst lächelnden, unschuldig knospenden Frau: In der vielleicht schönsten Liebesszene der Theatergeschichte (Shakespeare möge verzeihen!) unterm Holunderbusch, die per se in Koblenz schon den Theaterbesuch rechtfertigen würde. Dort legt dann auch Jona Mues als Graf vom Strahl erst sein Hemd ab, um die  Anhänglichkeit der Maid in fleischliche Münze zu verwandeln. Doch er kann die Zahlung nicht einfordern, weil die eigene uneingestandene Liebe zum geheimnisvollen Wesen dem Krieger und Herrn die standesübliche Rücksichtslosigkeit kastriert.

Die Spielkunst von Gwosdek und Mues ist die tragende Säule von Andrea Udls Inszenierung. Das Übrige dient dem, meist sinnfällig und sehr ordentlich. Die als eine Art labyrinthische Baustelle mit zentraler Schiefebene angelegte Bühne von Anja Hertkorn gibt Raum für in durchdachtem Rhythmus schnell geschnittene Orts- und Zeitwechsel. Zugleich weist sie die Menschenwelt als verwirrende Rohform des Daseins aus. An den rückwärtigen Rundhorizont projezierte Geistbilder verweisen auf die Wirkmacht des Unterbewussten.

Pausierende Protagonisten sitzen offen am Spielfeldrand; zu Käthchens Feuerprobe geht ein kleines Schlossmodell in Flammen auf. Will sagen: Nichts ist wirklich, dies Theater nur ein Spiel. Ein Märchen, das in Koblenz seine historische Herkunft nicht leugnet: Die Kostüme von Bernhard Hülfenhaus lassen  Rüstungsteile scheppern, die Regie lässt Schwerter aufeinander schlagen und Schlachtengetümmel dröhnen. Beides braucht man nicht wirklich, aber schaden tut's auch nicht, ausgenommen bisweilen der Textverständlichkeit. Deshalb und wegen etwas unglücklicher Striche am Stück sei jenen Besuchern der Griff zum Lexikon empfohlen, denen der Inhalt nicht oder nicht mehr gewärtig ist.

Aus dem gut eingestellten, handwerklich versiert aufspielenden Ensemble sei noch Olaf Schaeffer hervorgehoben. Gleich einem Shakespearschen Narren schleicht, stapft, stolziert oder fliegt er gar in mehreren kleinen Rollen durch die Inszenierung. Mit Kabinettstückchen doppelbödiger Süffisanz holt er die im hohen Kleist-Ton erzählte Geschichte vom Fräulein und den Rittersleut' immer mal wieder zurück auf den Teppich des Allzumenschlichen.
                                                                                        Andreas Pecht

Infos: www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck 13. September 2010)

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Kleist, Käthchen von Heilbronn, Theater Koblenz, Premierenkritik

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