Thema Politik
Thema Gesellschaft / Zeitgeist
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2010-09-10 Analyse (aktualisierte Neufassung):

Sarrazin, Steinbach und Co.: Dürfen demokratische Parteien unliebsame Mitglieder rauswerfen? 

 

Der Feind in den eigenen Reihen

 
ape. Christian Wulff ist fein raus: Thilo Sarrazin enthob ihn mit seinem „freiwilligen“ Austritt aus dem Bundesbankvorstand der Last, eine staatspolitisch so oder so problematische Entscheidung treffen zu müssen. Der SPD hingegen bleibt Sarrazin als parteipolitisches Dilemma erhalten. Dass auch andere vor solchen Problemen nicht gefeit sind, zeigt jetzt auf Seiten der CDU der Fall Steinbach. Was die Frage aufwirft: Wo liegen die Grenzen innerparteilicher Meinungsvielfalt? 

Geht man davon aus, dass zumindest die biologistisch begründeten Teile von Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ den Grundwerten der SPD zuwider laufen, spricht formal wenig gegen einen Parteiausschluss des Verfassers. Parteien sind freie Vereinigungen auf Basis eines ihnen eigenen Grundwertekanons. Auch Volksparteien sind somit ihrem Wesen nach Richtungsorganisationen. Dass sie in Deutschland alle auch innerparteilich auf demokratische Spielregeln verpflichtet sind, ändert daran nichts.

Warum sollte eine Partei sich ein Mitglied zumuten, zumal ein prominentes, das ständig ihren grundlegenden Überzeugungen widerspricht? Thilo Sarrazins Thesen vom Juden-Gen, von den dummen Muslimen, von der Gebärfreude im falschen Bevölkerungssegment stehen in diametralem Gegensatz zum Menschenbild der Sozialdemokratie. Keine Partei muss ein quasi „gegnerisches“ Mitglied in ihren Reihen dulden. Das sieht weder die Verfassung noch das Parteiengesetz vor. Kein Mensch würde von der CSU verlangen, jemanden zu behalten, der in jedes Mikrofon ruft „Gott ist tot und die Kleinfamilie ein Irrweg“. Niemand würde von den Grünen erwarten, dass sie ein Mitglied ertragen, das allweil den Abriss sämtlicher Windkraftanlagen und den Ausbau der Atomenergie fordert.

Jürgen Möllemann wäre wegen antisemitischer Agitation aus der FDP ausgeschlossen worden, hätte er nicht vorher seinen Abschied genommen. Die CDU hat aus ähnlichen Gründen vor ein paar Jahren den Abgeordneten Martin Hohmann rausgeworfen. Und seit diesem Donnerstag steht die Union vor der Frage, ob sie mit Erika Steinbach ebenso verfahren sollte. Mit ihren die deutsche Kriegsschuld zumindest relativierenden Äußerungen hat sich die CDU-Präsidiale in Gegensatz zur offiziellen Position ihrer Partei gesetzt –  und damit in die Nähe der Untragbarkeit gebracht.

Wenn die SPD-Gremien zu der Ansicht gelangen, dass wesentliche Teile von Sarrazins Einlassungen dem Selbstverständnis der Sozialdemokratie fundamental widersprechen, dann darf  sie dem Mann den Stuhl vor die Parteitür setzen. Bürger Sarrazins Recht auf freie Meinungsäußerung würde dadurch nicht im geringsten eingeschränkt. Er kann weiter reden und publizieren, was immer er will –  solange er sich nicht in juristischem Sinne der Volksverhetzung schuldig macht. Gleiches gilt für Frau Steinbach, sollte die CDU ihr die Tür weisen.

Warum tun sich die Parteien dennoch so schwer, sich von den Zweien zu trennen? Ein zentraler Grund ist: Beide genießen bei Teilen der jeweiligen Parteimitgliedschaft und /oder der Öffentlichkeit gewissen Rückhalt. Während die CDU es sich vor allem mit den Vertriebenenverbänden nicht verderben will, liegt der Fall Sarrazin/SPD etwas komplizierter. Warum? Weil Sarrazin in seinem Buch geschickt auch reale Sorgen und Ängste sowie damit einhergehende politische Versäumnisse anspricht. Zwar ist seit Jahren völlig unstrittig, dass Deutschland Probleme bei der Integration von Einwanderern hat. Wie jeder andere EU-Staat auch. Wie überhaupt sehr viele Länder auf Erden sich nicht leicht tun, größere Zahlen von Migranten zu verkraften. Aber Sarrazin macht glauben, diese Probleme würden in Deutschland von einer Front aus Politik und Medien ignoriert, totgeschwiegen oder mit Samthandschuhen angefasst.

Dabei stößt sein Buch in eine altbekannte Konfliktlinie des Migrationsdiskurses. Eine Konfliktlinie, die auch die SPD-Mitgliedschaft durchzieht. Auf der einen Seite diejenigen, die Deutschland seit jeher als Einwanderungsland begreifen und die damit verbundenen Integrationsprobleme mittels ordentlicher Bildungs- und Sozialpolitik für lösbar halten.  Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die Deutschland nicht als Einwanderungsland sehen möchten. Sei es, weil sie die mit vielen Zuwanderern verbundenen Probleme für unlösbar halten, sei es aus Abneigung gegen das Fremde.

Sarrazin spielt mit diesem Konflikt. Dabei bedient er sich der bewährten Agitationsmethode,  durchaus berechtigte Kritik an tatsächlichen Missständen zu vermischen mit xenophoben Ängsten und rassistischen Ressentiments sowie abstrusen Zukunftsprojektionen. Ob er das aus innerer Überzeugung tut oder weil er sich in der (lukrativen) Rolle des provokanten Volkstribuns gefällt, sei dahingestellt. Seine Art indes verfängt in einem Ausmaß, dass die SPD mit der eigenen Klientel Schwierigkeiten bekommt, wenn sie Sarrazin ausschließt. Diese Auseinandersetzung ist allerdings vorderhand eine innerparteiliche Angelegenheit der Sozialdemokraten, wie der Umgang mit Frau Steinbach eine der CDU ist.

Es ist Sache der Parteien, ihrer Gremien und Mitglieder, ob sie auch Leute in ihren Reihen dulden wollen, die gegen Grundwerte der jeweiligen Partei verstoßen. In beiden Fällen handelt es sich um keine staatspolitische Frage. Zu einer solchen wäre der Fall Sarrazin freilich geworden, hätte der Bundespräsident den Mann aus dem Bundesbank-Vorstand entlassen. Denn die private politische Meinungsäußerung des Bürgers Sarrazin – und nichts anderes ist sein Buch –  von Staats wegen mit beruflichen Nachteilen zu ahnden, das wäre ein ziemlich bedenklicher Vorgang.                                                                      Andreas Pecht            

(Erstabdruck 11. September 2010)

---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------

Wulff, Sarrazin, Steinbach, Parteien, Abweichler. Analyse
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken