Kritiken Theater / Zeitgeist
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2010-08-23 Zwischenruf:

Theater Koblenz insistiert auf festliche Abendgarderobe für Premieren zur Spielzeit-Eröffnung


Was soll der Tinnef?
Oder: Wie es jedem gefällt.


 
ape. Mit Verlaub: Jetzt dreht das Leitungsteam des Stadttheaters Koblenz am Rad oder hat eines ab. Die Lokalzeitung machte am Wochenende auf einen Satz aufmerksam, den man vor zwei, drei Wochen schon im ersten Monats-Leporello des Theaters für die neue Spielzeit hätte lesen können. Den hat der passionierte Theatergänger aber überlesen, weil mit einem solchen Unfug schon seit 20 Jahren niemand mehr in einer Programmvorschau  irgendeines Öffentlichen Theaters weit und breit rechnet. Der Satz heißt: "Zur Premiere ist Abendgarderobe erbeten."

Seit wann betrachten Theaterleute Premieren - und seien's nur die zum Saisonauftakt - wieder als eine Art Staatsakt? Seit wann wünschen sie, dass Aufmerksamkeit verausgabt werde auf die Einhaltung von Kleiderordnungen? Seit wann wollen sie die Vorstellung einer neuen Kunstproduktion (wieder) mit normativen Äußerlichkeiten umkränzen? Was, um Himmels Willen, soll dieser Rückfall in längst überwundene Zeiten, als die Unterwerfung unter ein bürgerliches Uniformdiktat quasi Bedingung für den Zugang zur Kunst war? Warum stören sie mutwillig Brechts Grabruhe und vermiesen Tabori seine letzten Tage mit spießigem, anmaßendem, kunstfernen TINNEF?


Wir sind seit 20 und mehr Jahren sehr gut ausgekommen mit der gegen normative Setzungen erstrittenen Freiheit, dass jeder sich zum Theaterbesuch so kleiden kann/darf, wie es ihm als Indidividuum gefällt, angemessen erscheint und für die Konzentration auf das Bühnengeschehen angenehm ist. Das demokratische Theater der Gegenwart muss in seinem Selbstverständnis vom urbanen Miteinander der Klassen und Kulturen das Nebeneinander von festlicher Robe, schmuckloser Alltagskluft und diversen Szene-Outfits aushalten, erlauben, geradezu wünschen. Jedem das Seine, dabei Achtung voreinander - allesamt aber verbunden durch das Interesse für das an diesem Ort einzig wirklich Wichtige: die Theaterkunst.  Dies auch und gerade bei den öffentlich Maßstäbe setzenden Premieren.

Die Freiheit der Kunst schließt die Freiheit der Kunstrezipienten ein und damit Kleiderordnungen oder institutionellen  Normdruck zu "neuem Chic" aus. Ja, Theater soll gesellschaftliches Ereignis sein. Aber, bitteschön, primär dank Bewegtheit von Köpfen und Herzen, nicht wegen Schaulaufens im Foyer.  Und ja, man soll der Kunst auch mit Respekt begegnen - also mit Aufmerksamkeit, Neugier, Hingabe, Mitdenken, Nachdenken, Zustimmung oder ernsthafter Kritik. Eine Ansammlung dunkler Anzüge und eleganter Kostüme zeugt weder automatisch von Hochachtung für die Kunst noch von einer per se herausgehobenen Position des Theaters im örtlichen Gesellschaftsleben. Zwischen Kunstqualität und Garderobe des Publikums gibt es erst recht keinen Zusammenhang. Weshalb auch jeder anziehen soll, was er mag.

Also, verehrte Theatermacher, lasst den Unsinn. Verkneift euch die kleinbürgerliche Lust auf prächtigen Aufgalopp. Der Kurfürst kommt nicht mehr. In der Fürstenloge und drumherum sitzen bloß Hinz und Kunz: theaterinteressiertes Volk jedweder Couleur. Und das ist gut so. Spielt lieber, dass man sich vor Begeisterung die Kleider - egal welche - vom Leibe reißen möchte! Spielt überzeugend heraus, was dem Theater seit Sophokles, Shakespeare, Schiller insbesondere am Herzen liegt: Widerspenstigkeit des Individuums gegen die Zwänge dumpfer Konvention.                                                                Andreas Pecht       
 



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