Kritiken Theater
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2010-06-04 Schauspielkritik:

Peter Handkes „Kaspar“ wird in Bonn zum Mitmachtheater

Zurichtung des Menschen
mittels Sprache


 
ape. Bonn.  In Wiesbaden gibt es die Wartburg, in Mainz das TiC, in Koblenz die Kammerspiele und im Bonner Opernhaus die Werkstatt. Jedes größere Theater hat heute mindestens eine solche Nebenspielstätte zum Experimentieren. Meist ist dort die gewöhnliche Guckkasten-Situation außer Kraft gesetzt und lassen sich je Vorstellung ein paar Dutzend Zuseher neugierig auf Stoffe, Stücke und Spielformen ein, die das allgemeine Publikum in den großen Sälen vielleicht verschrecken würden.Der junge Regisseur Alexander Riemenschneider (Jahrgang 1981) hat jetzt für die Bonner Werkstatt Peter Handkes Text „Kaspar“ inszeniert.

 
Die Uraufführung liegt zwar mehr als 40 Jahre zurück; Claus Peymann hatte sie 1968 in Frankfurt besorgt. Dennoch schaffte „Kaspar“ nie den Sprung ins Repertoire für großes Publikum. Schade eigentlich, denn der Text demonstriert auf bestechende,  erhellende und teils auch humorige Weise wie das funktioniert mit der normativen Zurichtung des Menschen.

Allerdings: Handke bedient sich dabei keiner dramatischen Erzählung, sondern verfolgt den Spracherwerb eines in die Welt gefallenen  Kaspar-Hauser-Typen. Auf der Bühne ergibt das eine 90-minütige Jonglage mit Bezeichnungen, Wortsinn, Satzteilen, syntaktischen Verwirrungen. Bis am Ende der arme Kaspar über die Ordnung des Sprechens die Unordnung in seinem Kopf überwunden hat – und die Welt sieht, wie ein tüchtiges Mitglied der Gesellschaft sie zu sehen hat.

„Sprachfolterung“ schlägt Handke auch als Titel für den Text vor. Der ist kein Stück im konventionellen Sinne, ließe sich aber durchaus in eine szenische Ordnung bringen: Wir könnten beobachten, wie  beim monologisierenden  Kaspar – von Einsagern systematisch getrieben – aus der Entwicklung des Sprachbildes ein angepasstes Welt- und Selbstbild entsteht. Riemenschneider ist das wohl zu simpel. Der Regisseur will partout  eine zusätzliche Ebene unmittelbarer Publikumsbetroffenheit mit im Spiel haben.

Kaspar und drei Mitspieler laufen in Bonn zu beginn schreiend davon, als sie die Masse Mensch auf den Rängen wahrnehmen. Am Ende dasselbe Entsetzen noch einmal, gerade weil alle vier zwischenzeitlich diese Leute näher kennengelernt haben: Die Akteure suchen die Interaktion mit den Zuschauern. Zumindest tun sie so.

Handkes Einsager sprechen hier mehr die Ränge an, als den mit furioser Verbissenheit um gesellschaftsfähige Sprache ringenden Kaspar von Hendrik Richter.  Der versucht Besucher zum Mitsprechen zu animieren, bald wird der Abend gar zur Mitmach-Show. Das botschaftet: Kaspars Zurichtung ist in Wahrheit die eure, jeden Tag. Eine zutreffende Erkenntnis, die aber der bemühten Interaktionsspielereien nicht bedurft hätte. Die sind amüsant bis zur Peinlichkeit, verwässern aber leider Handkes Schärfe.

Wenn auch nicht ganz geglückt, so doch ein durchaus spannendes Experiment – auf einer jener Nebenbühnen, die innovative Stachel im Fleisch der großen Theaterbetriebe sind.              Andreas Pecht


Infos: www.theater-bonn.de


(Erstabdruck 5. Juni 2010)


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