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2010-05-04 Schauspielkritik:

Martin Kusejs Hamburger Inszenierung von „Baumeister Solness“ besticht bei Wiesbadener Maifestspielen


Unerbittlicher Blick auf eine Lebensbilanz


 
ape. Wiesbaden.  Der erste große, prominente Gastauftritt nach dem Start mit der Eigenproduktion „Elektra“ kam jetzt bei den Wiesbadener Maifestspielen aus Hamburg. Das dortige Schauspielhaus – eine der führenden Bühnen in Deutschland – präsentierte im Hessischen Staatstheater Martin Kusejs im Herbst 2009 in der Hansestadt herausgekommene Inszenierung des „Baumeister Solness“ von Henrik Ibsen. Der Text radikal gekürzt, das Spiel kompromisslos auf die Kernkonstellation konzentriert, überzeugt die Produktion als tiefschürfendes psychologisches Kammerspiel.

 
Der Schluss kommt am Anfang: Solness stürzt vom hohen Turm – und während des Sturzes zieht er seine Lebensbilanz; die folgenden 110 Minuten sind Rückblick. Titeldarsteller Werner Wölbern hängt in luftiger Höh' an Seilen. Unter ihm erhebt sich aus schwarzer Asche ein Irrgarten aus Arbeitstischen und unzähligen, gleichförmigen, einfallslosen Baumodellen. Mit kalter Unerbittlichkeit interpretiert die Bühne von Martin Zehetgruber in weißem Neonlicht so das Leben des Baumeisters als zwar geschäftlich erfolgreich, architektonisch aber belanglos und menschlich gescheitert.

Mit ruppig geschaltetem Lichtaus gliedert Kusej den Dreiakter des späten Ibsen von 1893 in zwei Dutzend knappe, eigenständige Szenen. Das sind Schlaglichter, die signifikante Elemente aus der ursprünglichen Erzählstruktur herausschälen. Nicht allein in der äußeren Form entfernt sich die Inszenierung vom Original. Der veränderte Blickwinkel ist ebenso auf die Spielweise des kleinen Ensembles übertragen.

Von Szene zu Szene lässt Wölbern andere Aspekte des  Solness aufscheinen und unterschiedlich miteinander in Beziehung treten. Hier der  mächtige Chef, der von seiner Sekretärin nicht lassen kann. Oder der Ehemann, der nach dem frühen Tod der Söhne an seiner pflichtergeben und schuldbeladen verhärmten Gattin verzweifelt. Da der Altarchitekt, den das Nachdrängen talentierter Jugend ängstigt. Dort der Senior, in dem die fordernde Zuwendung der jungen Hilde Wangel neue Energien bis  zum tödlichen Irrwitz entfacht.

Schicht um Schicht wird so die ambivalente Psyche dieses Mannes schauspielerisch freigelegt. Dabei wirkt die 22-jährige Wangel als antreibender Katalysator. Jenes Mädchen, dem er zehn Jahre zuvor, nach Kusejs Interpretation, körperlich zu nahe getreten war, und das jetzt die Einlösung seines damaligen Versprechens einfordert: ein Königreich. Katharina Schmidt umschleicht in dieser Rolle den Solness wie ein Fleisch gewordener Alb; wie ein Halbweltwesen, das Göre und Hexe, lockende Maid und aussaugende Vampirin, motivierender Jungbrunnen und gnadenlos vom ältlichen Idol Großtaten wie einst einfordernder Fan zugleich ist.

Das alles ist eine sehr ungewöhnliche Art, Ibsens „Baumeister Solness“ zu realisieren. Und doch kann von „Stückzertrümmerung“ überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil: So nah und konsequent am geistigen Zentrum des Textes wird nicht jeden Tag inszeniert und gespielt. Kusej führt auf seine Art die Relevanz des Stückes für die Selbstbefragung heutiger Betrachter vor Augen.
                                                                                       Andreas Pecht


(Erstabdruck 5. Mai 2010)

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