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2010-04-15 Schauspielkritik:

Lessings "Emilia Galotti" am Staatstheater Wiesbaden sehenswert von Ricarda Beilharz
inszeniert

Vom Recht der Frau auf Lust ohne Gefangenschaft


 
ape. Wiesbaden.  Macht macht sexy, sagt der Volksmund. Macht macht böse, sagt er auch. Was könnte ein einfaches Mädchen den Verführungskünsten und Kabalen eines Prinzen entgegensetzen? Etwa das vom Vater Geforderte: Sittliche Zucht, Keuschheit? Die eben zur Frau gereifte Tochter kann das nicht, denn sie hat „so jugendliches, so warmes Blut“. Aus diesem Stoff ist Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti“ von 1772 gewirkt. Ricarda Beilharz hat die Tragödie jetzt fürs Staatstheater Wiesbaden inszeniert. Ergebnis: Inszenierung wie Schauspielerleistung unbedingt sehenswert.

 

Das große Drama ist hier von dreieinhalb Stunden auf eine 105-minütige Parabel verknappt, verdichtet. Die hebt an mit einem Prolog im Halbdunkel. Darin verschmilzt Lessings Eingangsszene mit Zitaten aus der späteren Handlung zur albtraumhaften Ouvertüre, in der die schlussendliche Erdolchung Emilias vorweggenommen wird. Am Anfang und  am Ende  liest der Prinz die Bittschrift irgendeiner anderen Emilia. Will sagen: Nur Zufall erinnert ihn an sein Schwärmen für die kleine Galotti – lässt/ließ ihn mit zerstörerischer Macht besitzergreifend handeln.

Klare Botschaft der Regie: Wir erzählen nicht Lessings Story nach, sondern interpretieren deren Essenz, wie wir sie sehen. Beilharz hat als Einheitsbühne einen torfigen Garten gebaut. Halb Frühlingsidyll, halb Friedhof, entspinnt sich dort ein durch vielerlei kleine Verfremdungsgesten trefflich denaturalisiertes, gleichnishaftes Spiel zwischen Liebes-/Lusterwachen und Tod. Ein Spannungsfeld, das von vier Polen herrührt.

Da ist die wunderbar lebensfrohe Szene, bei der das Jugendpaar Emilia und Appiani (Florian Thunemann) kurz vor der Hochzeit sich in unschuldiger Turtelei kussmundig neckt. Da sind Jürg Wisbachs stattlicher, strahlener Prinz und dessen Handlanger Marinelli, den Michael von Burg Züge eines zynisch-verschlagenen Strippenzieher gibt. Sie werden formidabel quasi als lichte und  finstere Aspekte derselben Persönlichkeit gespielt.

Da sind als dritter Pol Emilias Eltern: Claudia (Monika Kroll) etwas dümmlich nach dem Glanz des Hofes schielend, Vater Edorado (Uwe Kraus) mit kategorischer Absolutheit der Tochter Sittsamkeit verlangend. Im Gegensatz zu den anderen Protagonisten, agieren diese zwei wohl gewollt in streng konservativem Schauspielstil. Und da ist schließlich Emilia selbst. Franziska Werner führt sie gerade nicht als zartes Unschuldslamm vor, sondern als kecke, durchaus selbstbewusste und zugleich doch empfindsam-verletzliche junge Frau. Diese weiß von der hitzigen Anlage ihres Leibes, und die anheizende Wirkung der prinzlichen Avancen spürt sie sofort.

Nach Ermordung ihres Verlobten durch Marinelli schutzlos dem Prinzen ausgeliefert, gibt es kein langes Federlesen: Das Mannsbild lockt  – und das Fleisch der Maid verlangt nach seinem Recht, mögen Kopf und Herz die Willigkeit auch verfluchen. Hier geht es, anders als bei Lessing, nicht um Emilias Jungfräulichkeit. Vielmehr gilt das Streben der Frau nun ihrer Freiheit: Sie will sich nicht infolge des Lustmoments mit dem Prinzen ein Gespielinnen-Dasein aufzwingen lassen. Doch die Gefahr besteht, dass sie in Hörigkeit endet wie ihre zur Frauen-Karikatur erniedrigte Vorgängerin Orsina (Doreen Nixdorf). Also zwingt Emilia den Vater, sie zu erstechen.

Schon zu Lessings Zeit wurde diese Tötung mit Kopfschütteln aufgenommen. Liest man das indes als Metapher für den Willen der Frau, ihr Selbst nötigenfalls durch ultimativen Normbruch zu behaupten, so wird ein Schuh daraus. Passend dunnemals wie jetzt.


Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck 16. April 2010)


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