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2010-03-28 Feature/Gespräch:

Über ein Gespräch mit dem neuen Koblenzer Intendanten Markus Dietze nach 15 Premieren
 


Kein einfacher Start am Stadttheater

 
ape. Koblenz. Ist das der richtige Zeitpunkt für ein Zwischenbilanzgespräch mit Markus Dietze, seit September Intendant des Koblenzer Stadttheaters? 15 Premieren sind gelaufen, fünf stehen noch an. Bei unserer Begegnung war gerade die „Bordellballade“ herausgekommen, vibrierte das Haus den Premieren der Eötvös-Oper „Drei Schwestern“ sowie Anthony Taylors neuem Ballettabend entgegen. Dietze selbst steckte in den frühen Proben zu „Dantons Tod“ von Büchner (Premiere  10.4.). Hätte man mit der Unterredung zwischen Intendant und Kritiker nicht besser bis zum Saisonende gewartet? Schwerlich, denn die Diskussion um das Was und Wie des Theaters unter der Dietze-Intendanz läuft eben jetzt, sagen wir mal: sehr munter.


Dass Theater Anlass zur Diskussion gibt, auch zu kontroverser, ist positiv; darüber herrscht bei diesem Gespräch Einigkeit. Dafür ist Theater ja nicht zuletzt da: Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, Horizonte zu öffnen, Nachdenken anzuregen. Allerdings drängt sich dem Beobachter der Koblenzer Diskussion der Eindruck auf, dass das Befremden bei Teilen des Abonnementpublikums gegenüber dem jetzigen Bühnengeschehen recht kräftige Ausmaße angenommen hat. Stimmt dieser Eindruck, Herr Intendant? Dietze nimmt die kritischen Einwände ernst, gibt aber zu bedenken: „Die Quantitäten sind kaum verifizierbar; uns erreichen mindestens ebenso viele Äußerungen positiver Art. Natürlich macht Kritisches immer einen stärkeren Eindruck.“ 

Bevor wir tiefer in die Debatte einsteigen, wichtige Nachrichten fürs Theatergeschehen der nächsten Monate. Shakespeares „Sturm“ wird nicht, wie ursprünglich für diesen Sommer geplant, auf der Festung Ehrenbreitstein aufgeführt. Trotz guten Willens aller Beteiligten: Der lange Winter hat die Buga-Bauplanungen etwas verwirbelt, sodass nicht hinreichend klar ist, ob, wann und wo auf der Festung man unter vertretbaren Bedingungen spielen kann. Dietze beschreibt die Situation mit einer bildhaften Metapher: „Keiner weiß, ob nicht die Bagger durchs Bühnenbild rollen würden.“

Shakespeares "Sturm" im Rathaus-Innenhof

Die Alternative heißt nun: „Der Sturm“ wird im Innenhof des Koblenzer Rathauses II gezeigt. Keine dumme Idee, handelt es sich dabei doch um einen zum urbanen Nachtbetrieb hin abgeschlossenen Open-air-Raum. Flachst der Autor: Ein bisschen Shakespear'scher Geist kann dem städtischen Regierungszentrum sowieso nicht schaden. Vielleicht mag der neue Oberbürgermeister oder der Kulturdezernent dann vom hinteren Amtseingang her die Szene mit einem Auftritt bereichern: nota bene in der Rolle des Caliban. Das Spiel am Rathaus bleibt laut Dietze jedoch ein Interimsereignis: Im Jahr darauf wird das Stadttheater die Buga-Hauptbühne auf der Festung mit großer Oper bespielen und im Umfeld des Schlosses kleineres Schauspiel geben. In den Buga-Folgejahren soll Musiktheater auf der Festung dann fest etabliert werden.

Zurück zum gegenwärtigen Disput, der sich vor allem an einem aufs 20. und 21. Jahrhundert konzentrierten Spielplan festmacht. An Werken, über die das neue Führungsteam des Theaters bei Dienstantritt 2009 sagte: Starke Stücke mit hoher Qualität von denen wir überzeugt sind. Eine Überzeugung, die sich auf manche Alt-Besucher nicht übertragen hat. Die Auslastungsquote des Hauses dümpelte für die ersten acht Produktionen bis Dezember 2009 um ca. 65 Prozent. Katastrophen sehen an deutschen Theatern zwar anders aus, aber auch der Intendant räumt ein: „Das soll und darf so nicht bleiben.“  Vielleicht berappelt sich die Quote bis zum Ende der Spielzeit noch etwas, denn das Musical „Sweeney Todd“ und das Schauspiel „Gott des Gemetzels“ sind in 2010 Renner geworden.

Schwierige Ursachen-Analyse

Die „Bordellballade“ hat ebenfalls das Zeug zum Hit. Auch Taylors Ballett „Johannes-Passion“ mit großem Musikapparat könnte zum Bringer werden, wenn der Abend das (moderne) Niveau von „Sind wir Helden?“ erreicht. Leider war auf der anderen Seite im Februar das Lokalstück „Der rote Teufel“ ein Reinfall, was in diesem Fall eindeutig an der künstlerischen Nichtqualität der Produktion lag.  „Eines der Probleme bei der Beurteilung der Situation besteht darin, dass – vom Roten Teufel abgesehen – sich keine Korrelationen dingfest machen lassen zwischen folgenden vier Faktoren: Werk alt oder neu, Meinung im Haus über Stück und Produktion, veröffentliche Kritikermeinung sowie Besucherquote.“

Dietze führt die „Wozzeck“-Oper an. Der nicht leichte Stoff sei besser angenommen worden als vom Theater selbst erwartet. Ähnlich „Sweeney Todd“ und „Gott des Gemetzels“. Bei Massenets Oper „Don Quichotte“ war es genau umgekehrt, trotz eingängiger Musik. Dass „Jeff Koons“ schwierig würde, war auch dem Intendanten/Regisseur vorher klar. Dass es eine der schlechtest besuchten Produktionen werden sollte, damit hatte er nicht gerechnet. Kleiner Trost: Die Zahl der  frei verkauften Eintrittskarten für „Jeff Koons“ wuchs von Vorstellung zu Vorstellung weit überdurchschnittlich. Flüsterpropaganda zog also in wachsender Zahl Leute an, die bislang eher nicht zum Stammpublikum gehörten. Ein Phänomen, das auch bei etlichen anderen Produktionen verzeichnet wird – das aber leider das Schwächeln der (zuletzt bei Annegret Ritzel ähnlich niedrigen) Gesamtbesucherquote nicht ausgleichen kann.

Offene Diskussion: Welche Aufgabe hat Theater?

Woran liegt's? Nach Dietzes Ansicht ist die Schwierigkeit bei einem Teil des Publikums mit moderneren Stücken und Inszenierungen kein Koblenzer Spezifikum. Bei einem Gespräch mit seinem Dessauer Amtskollegen sei deutlich geworden, dass hier wie dort die Diskussionen komplett deckungsgleich sind, trotz gravierender struktureller Unterschiede zwischen beiden Städten. Diese Diskussionen lassen sich auf zwei längst nicht abschließend behandelte Kernfragen zurückführen. Erstens: Welche Aufgabe hat Theater heute  im Verständnis von Kommunen, Publikum und Machern? Daraus ergibt sich, zweitens, für den Zuseher eine Frage, die Dietze so formuliert: „Soll mit mir beim Theaterbesuch eine Veränderung stattfinden? Darf Theater mir auch Ungewohntes oder Unangenehmes zeigen, mich gar ärgern? Oder soll es nur Heilung und Gemütsberuhigung herbeiführen?“

Das sind keineswegs neue Fragen im allgemeinen Kulturdiskurs. Aber offenbar brechen sie gerade  bei Wechseln der Verantwortlichen immer wieder auf. Dietze wundert das kaum, denn „viele Menschen mögen Veränderung nicht so sehr.“  Er betont, die meisten Fragen, die das Publikum an Spielplan, Stücke, Inszenierungen stellt, „haben wir uns zuvor auch gestellt“. Allerdings: „Etliche Leute glauben das einfach nicht.“ Da schwingt beim Intendanten wohl Ärger über die Unterstellung mit, die Theaterleute seien Besserwisser und die Zuschauer ihnen gleichgültig. Man kann Dietze und Co. manches nachsagen – etwa ein taktisch unglückliches Händchen beim ersten Spielplan –, Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum aber gewiss nicht.

Der Spielplan für die nächste Saison unterscheidet sich deutlich vom jetzigen: Der Anteil bekannter Klassiker ist 2010/2011 wesentlich höher. „Es wäre ja schlimm, wenn wir nichts gelernt hätten,“ erklärt Markus Dietze – besteht indes darauf, dass auch das neue Programm in erster Linie künstlerischen Erwägungen folgt. Und so soll es auch sein. Denn was herauskommt, wenn die Kultur bloß mit Gefälligkeit auf die Einschaltquote schielt, lässt sich im Übermaß schon am heimischen Fernseher „genießen“.
                                                                                    Andreas Pecht
                
(Erstabdruck 13. Woche 2010)



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