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2010-02-02 Anmerkungen:

Katharina Wagners Puccini-Inszenierung in Mainz:
Ein heftig umstrittenes Saisonereignis 


Madama Butterfly überlebt


 
ape. Dies Arrangement war wohl von vornherein dazu gedacht, DAS Opern-Ereignis der Saison in Rheinland-Pfalz zu werden: Katharina Wagner, Urenkelin von Richard Wagner und Co-Chefin der Bayreuther Festspiele, richtet als Regiegast am Staatstheater Mainz Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ ein. Das Kalkül von Intendant Matthias Fontheim ist insofern aufgegangen, als die Inszenierung das Premierenpublikum kräftig polarisierte und der Mainzer Musiktheater-Sparte endlich mal wieder geballtes Interesse der überregionalen Kritik einbrachte.

 

Der Preis für die Aufmerksamkeit: Es hagelte zwar nicht nur, aber doch reichlich Verrisse. Obendrein wütet seither in mancher Leserbriefspalte  vermeintlicher Volkszorn wider „die perfiden Ergebnisse des subventionierten Regietheaters“. Viel Lärm um was? Um einen gut zweieinhalb-stündigen Opernabend in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln –  der schon vom Publikum der dritten Vorstellung gelassen mit freundlichem Applaus aufgenommen wird.

Abseits des Premieren-Furors bleiben Buh-Rufe aus. Der Otto-Normalzuseher findet die Sache offenbar so skandalös nicht. Dass auf der Mainzer Bühne dem Amerikaner Pinkerton in sieben Drehschaukästen eines japanischen Etablissements für Liebesdienste die Palette heutiger Lack-, Leder-, Räckel- und Stangenstrip-Vertreter/innen offeriert wird: „Na ja“, Opernkulinarik geht anders. Aber ehrlich ist's und passen tut's, wenn das Rotlicht-Milieu der 1904 uraufgeführten Oper an die Gegenwart heranrückt.

Es passt noch mehr. Den Zuhälter dieses Puffs in eine Glitzermaske zu stecken, Goro als harlekinesken Spielführer die Lebensstrippen ziehen zu lassen gleich Mephisto, das hat Reiz und Logik. Pinkerton lässt die geilen Verführungen links liegen, verfällt auf die verschlossene Butterfly. Wo Goethes Doktor Faustus die Unschuld des frommen Gretchens reizt, da Puccinis Amerikaner das Geheimnisvolle am verschleierten und unförmig verhüllten Weibe aus der Fremdkultur (Kostüme: Thomas Kaiser). In beiden Fällen entflammen die Frauen in wahrer Liebe zum Manne, lassen im Vertrauen auf ihn Tradition und Sittennorm ihres Kulturkreises fahren. Beidesmal wird ihnen das zum Verhängnis.

Katharina Wagners faustische Sicht auf Puccinis Oper setzt sich im zweiten Akt optisch schlüssig fort. Die Schaukästen vom Anfang stapeln sich nun himmelhoch und schief im Hintergrund (Bühne: Monika Gora). Eine aus den Fugen geratene Welt, durch die der entfleuchte Offizier Pinkerton irrt, in jedem Kasterl ein anderes Moment kalter Realität erlebt: mit dem Gewehr Wände blutig spritzend, in leeren Räumen verharrend, zerrissene Zäune inspizierend, Gefangene erschlagend, zwischen den Schenkeln einer Gummipuppe Erfüllung suchend... Wieder und wieder schleicht er rastlos durch den Parcours, angetrieben von dem ihm im Nacken sitzenden Mephisto alias Goro.

Derweil pflegt im Vordergrund Butterfly in einem von weißen Unschuldswänden angedeuteten Domizil endlos ihre Liebe zu ihm, ihre Sehnsucht, ihre Treue – ihr Vertrauen auf die Wiederkehr des Ehemanns, der sich selbst nie als solcher verstand. Da spätestens kann der Betrachter ein ungutes Gefühl nicht weiter verdrängen: Langeweile. Dass jenes Kind, das Butterfly und Pinkerton zeugen, hier nur in Form eines roten Päckchens auftaucht und von Madama in ihre am Körper getragene oder zum Hausaltar gestapelte Paketsammlung der Erinnerungen aufgenommen wird, ist fürs sich genommen als Symbol akzeptabel. Ebenso Graffities wie „Love“, „Trust“ oder „Harmony“, die sie an die weißen Wände malt. Murren muss man auch nicht darüber, dass diese Butterfly am Ende den Selbstmord verweigert, stattdessen starr in den Trümmern ihres Lebens steht  bis der Vorhang fällt.      

Doch bei aller Logik und Schlüssigkeit des Wagnerschen Regie-Ansatzes, bei allem Verständnis für die Austreibung süßlichen Schmelzes aus dieser Geschichte : Ohne Herzschmerz und reduziert nur auf Symbolik, analytische bis verrätselte Metaphorik und demonstrative Manierismen, bleibt von der Oper zwar allerhand Bedenkenswertes, aber wenig Erlebenswertes. Frau Wagners „Butterfly“ ist eine Kopfgeburt, klug, in einigen Szenen auch gut gemacht, aber in ihrer Ganzheit ziemlich blutleer. Das steht in heftigem Widerspruch zur sentimentalischen Musik Puccinis, die das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter Catherine Rückwardt mit Verve auftrumpfen lässt.

In den Orchesterklängen kann man wie im Gesang formidabel baden, was die Besucher der dritten Aufführung mit den Längen der Inszenierung offenbar aussöhnt. Abbie Furmansky gibt eine stimmlich voluminöse, freilich der Regie gwehorchend auch recht kühle Butterfly. Konnte Sergio Blazques in der Partie des Pinkerton bei der Premiere kaum überzeugen, so avanciert diesmal Alexej Kosarev als Krankheitsvertretung mit stattlichem Äußeren und ebensolchem Tenor neben Alexander Kröner (Goro) zum Liebling des Publikums.

Mainz hat sein Opern-Ereignis, die Szene einen aufgeregten Disput. Viel Lärm um was also? Um die  Promi-Inszenierung eines Opernklassikers, die mal eine andere Sichtweise auf den alten Stoff versucht – dabei ein paar interessante Ansätze verfolgt, aber der Sache nicht recht Herr wird. Kein Jahrhundertereignis, aber auch kein Skandal. Bloß lebendiges Theater, das gelegentlich lieber mal unrund läuft, als sich auf ewig im Kreis musealer Wiederholung zu drehen.                                          Andreas Pecht    

Infos: www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck 8. Woche im Februar 2010)


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