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2010-01-10 Schauspielkritik:

"Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza überzeugt am Theater Koblenz über weite Strecken mit filigranem Spiel


Friedensverhandlungen im Wohnzimmer laufen völlig aus dem Ruder

 
ape.Koblenz. Zwei Schulbuben hatten ein Rauferei. Dabei schlug der eine dem andern zwei Zähne aus. Unerfreulich, aber bei Jungs doch irgendwie normal – denken klammheimlich die beiden Väter. Sagen tun sie's vorerst nicht, denn ihre Gattinen sehen das ganz anders. Weshalb eine Zusammenkunft der Elternpaare arrangiert wird, um zwecks Aussprache den Konflikt auf „zivilisierte Weise“ beizulegen. Von diesem  Treffen handelt Yasmina Rezas  Schauspiel „Der Gott des Gemetzels“, das jetzt im Stadttheater Koblenz heftig beklatschte Premiere hatte.

 
Am Anfang der 105-minütigen Aufführung bemühen sich die Ehepaare Houillé und Reille in gepflegter Konversation um diplomatische Sprachregelung für die Keilerei der Söhne. Am Ende ist die gehobene Bürgerlichkeit völlig derangiert.

Dazwischen geschieht, was für die Gesellschaftskomödien der iranisch-französischen Gegenwartsautorin so typisch ist: In erst harmlosen Dialogen erwachsen aus kleinen Sticheleien giftige Streitereien, die die vorgestellte Zivilisiertheit abschälen und darunter Bosheit, Egozentrik, Arroganz und Unglücklichsein zum Vorschein bringen. Dazu passt die Bühne von Anja Hertkorn: weiter, weltläufiger Wohnraum als Tummelplatz in Wahrheit spießbürgerlichen Selbstbetrugs.
   
Wie schon die Reza-Stücke „Kunst“ und „Drei mal Leben“, mauserte sich der 2006 in Zürich uraufgeführte „Gott des Gemetzels“  rasch zum Bühnen-Hit. „Gemetzelt“ wurde in der Umgebung zuvor bereits in Köln, Bonn, Wiesbaden, zuletzt in Kaiserslautern und Trier. Die zwischen Boulevard und ernster Tragikomik angesiedelten Arbeiten funktionieren immer. So raffiniert ist ihr Aufbau, so hintergründig ihr Sprachwitz, so böse entlarvend und doch verständnisvoll humorig ihr Blick auf – unseresgleichen.

Die Koblenzer Realisation durch Regisseurin Andrea Udl und das vierköpfige Ensemble ist über drei Viertel des Abends ein Hingucker, ebenso Lachen machend wie erhellend. Leise und filigran werden die ständig variierenden Verwerfungen innerhalb des Quartetts in genau portionierte Blicke, Gesten, Betonungen übersetzt. Die Wechsel zwischen gezügelt und entfesselt aggressiver Atmosphäre reihen sich zu einem stimmigen großen Eskalations- Bogen.

Erst scheinen sich die Vier über die Verteilung von  Täter- und Opferrolle bei den Söhnen einig. Dann zerreißen kleine Einwände die Einigkeit wieder, fördert der Disput zusehends Lebenslügen bei jedem der Ehepaare zutage.  Katja Thiele geht als Mutter Houillé mit pädagogischem Sendungsgeist allen auf die Nerven. Ebenso Vater Reille (Gerold Ströher) mit seiner Handy-Telefonitis – worüber seine verhärmt-misanthropische Gattin (Tatjana Hölbing) buchstäblich das Kotzen kriegt. Ihn interessiert das Kinder-Gedöhns eigentlich gar nicht, weil er einen Pharmaskandal zu managen hat.

Angelpunkt im Koblenzer Spiel ist der Vater Houillé.  So zurückgenommen wie Olaf Schaeffer  hier agiert, entfaltet er eine Brillanz, die dem Quartett Rhythmus und Dynamik vorgibt.  Dieser Einfluss schwindet erst, als zum Schluss die Frauen,  von Schnaps entfesselt,  das Regiment übernehmen: Da überdreht Katja Thiele ins Boulevardeske, während Tatjana Hölbing sich etwas undifferenziert in tragische Sphären hineinschreit. Es bleibt dennoch ein überaus sehenswerter Abend.             Andreas Pecht

Info: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck am 11. Januar 2010)
 
Yasmina Reza, "Der Gott des Gemetzels", Theater Koblenz, Regie: Andrea Udl, Kritik

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