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2009-01-07 Analyse/Kommentar:

Anmerkungen zur Neujahrs-Erklärung
von DGB-Chef Michael Sommer

 

In Sorge um soziale Standards
 
 
ape. Es herrscht  in Deutschland Einigkeit darüber: 2010 wird ein wirtschaftlich schwieriges Jahr; für Unternehmer, Arbeitnehmer und Politik gleichermaßen. Mit Spannung wurde deshalb erwartet, welche Marschrichtung Michael Sommer dem Deutschen Gewerkschaftsbund für dieses Jahr vorgeben würde. Der DGB-Chef warf heute in Berlin der Bundesregierung Klientelpolitik vor, forderte unter anderem flächendeckende Mindestlöhne oberhalb von 7,50 Euro und ein weiteres Konjunkturpaket zur Stärkung der Binnennachfrage.


Das passt: Als Michael Sommer in Berlin ans Mikrofon tritt, verbreiten die Medien gerade eine neue Konjunkturprognose für 2010 sowie eine Studie über die Einkommensentwicklung in Deutschland seit 1990. Da zeichnet  das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für die kommende Konjunktur ein Szenario, das trotz wieder angesprungener Weltwirtschaft zu lauthalsem Optimismus vorerst wenig Anlass gibt. Über die zurückliegende Entwicklung der Erwerbseinkommen gelangt die andere, vom „stern“ beauftragte, Untersuchung zu dem Ergebnis: In der Hälfte der 100 gängigsten Berufsgruppen verfügen die Erwerbstätigen heute über weniger Kaufkraft als vor 20 Jahren.

DIW-Prognose wie „stern“-Studie liefern dem Gewerkschaftsvorsitzenden Steilvorlagen, was seine politische Kursbestimmung für die größte deutsche Arbeitnehmerorganisation im neuen Jahr betrifft. Zwar habe eine wirtschaftliche Aufholjagd begonnen, heißt es beim DIW, aber die Krise sei noch nicht überstanden. Der negative Durchschlag auf den Arbeitsmarkt kommt erst noch – für 2010 wird mit mehr als vier Millionen Arbeitslosen gerechnet. Und: Die Konjunktur in Deutschland werde derzeit hauptsächlich von der Inlands-Nachfrage gestützt, nicht wie gewohnt vom Export. „Die Dynamik der Exporte wird bis Ende 2010 schwächer sein als die des Welthandels“, so das DIW.

Binnennachfrage stärken

Inlands-Nachfrage, das ist eines der zentralen Stichworte auch für den DGB-Chef. Denn da treffen sich gesamtwirtschaftliche Erwägungen und die für ihn entscheidenden Arbeitnehmerinteressen. In der Stärkung der Binnennachfrage sehen die Gewerkschaften einen der wichtigsten Hebel, die Krise, wenn nicht zu überwinden, so doch wenigstens zu überbrücken. Sie befinden sich damit im Gleichklang mit jenen Ökonomen, die schon seit Jahren die in Relation zu anderen Industrieländern niedrige Inlandskaufkraft für einen der gravierenden Schwachpunkte im deutschen Wirtschaftsleben halten. Ein Schwachpunkt, dessen wesentliche Ursache die „stern“-Studie noch einmal dingfest macht: stagnierende bis rückläufige Kaufkraft bei einem erheblichen Teil der Erwerbstätigen.

Beim Blick auf die Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre verwundert dieser Befund kaum. Sie lagen durchweg im niedrigen einstelligen Bereich, wurden oft für zwei bis drei Jahre abgeschlossen und ergaben so pro Jahr  Lohnzuwächse meist unter der Inflationsrate. Hinzu kamen vor allem in jüngerer Zeit die Geschenke oder quasi zinslosen Kredite, die viele Belegschaften in Form von Lohn- oder Lohnerhöhungsverzicht ihren krisengeschüttelten Arbeitgebern einräumten.
Diese häufig als „wirtschaftliche Vernunft“ belobigte Opferbereitschaft oder Zurückhaltung von Gewerkschaften und Belegschaften bei Lohnforderungen, Rahmen- und Haustarifen hat über die Zeit allerdings zu der auch gesamtwirtschaftlich bedenklichen Situation allzu schwacher Binnennachfrage geführt.

Marktliberale Wende durch die Hintertür

Michael Sommer lässt keinen Zweifel daran, dass er es generell, aber auch und gerade in dieser Krisenzeit für falsch hält, der breiten Bevölkerung sozial ungerechte Lasten aufzubürden. Deshalb wetterte er heute gegen „Klientelpolitik“ mit „Steuergeschenken für Besserverdienende“. Deshalb kündigte er entschiedenen Widerstand gegen Reformpläne im Gesundheitswesen an, die in Richtung Kopfpauschale für Kassenmitglieder gehen. Deshalb wandte er sich gegen Pläne zur Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge zur Arbeitslosenversicherung. Deshalb auch fordert er von der Politik, ihren vollmundigen Ankündigungen zur Regulierung der Finanzmärkte endlich Taten folgen zu lassen.

Sommers  aktuelle Ausführunge sind geprägt von der Sorge um soziale Grundwerte der Gesellschaft und den sozialen Frieden im Land. Dahinter verbirgt sich die Befürchtung: Obwohl als Verursacher der Krise weitgehend diskreditiert, versucht der Marktliberalismus die Krise zugleich als Werkzeug zu benutzen für ein Comeback quasi durch die Hintertür. Das ausufernde Leiharbeiterwesen drückt in etlichen Branchen schon spürbar auf Lohnniveau und Standards der Arbeitsbedingungen. Junge Leute bekommen keine Daueranstellungen mehr und ihre Bezahlung ist vielfach himmelweit von früher üblichen Einstiegslöhnen entfernt. Das Fehlen flächendeckender Mindestlöhne höhlt die Tarifautonomie von unten her aus – und mit der weiteren Öffnung des EU-Arbeitsmarktes gen Osten würde dieser Umstand ab 2011 zu einem regelrechten Dumping-Krieg hierzulande führen.

Auf gleicher Augenhöhe

Man muss nicht jede Vorstellung des DGB-Vorsitzenden für richtig halten, um seine Besorgnis über die Entwicklungen in der Arbeitswelt und im Sozialwesen zu teilen. Dass Sommer bei seiner Neujahrs-Erklärung nicht bittet und bettelt, sondern selbstbewusst mahnt, kritisiert und fordert, ist kein Makel.  Es kann gerade in schwerer Zeit nicht schaden, wenn der Gewerkschaftschef mal in Erinnerung ruft, dass in diesem Land Kapital und Arbeit sich auf gleicher Augenhöhe begegnen (sollen).
                                                                                       Andreas Pecht

(Erstabdruck am 8. Januar 2010)



 
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