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Geschrieben im Juni 2009:
Guten Tag allerseits,
 
30.6.

Ziemliche Aufregung hierorts in Rheinland-Pfalz, weil das Welterbekomitee der UNESCO den Entscheid über die Zulässigkeit einer neuen Rheinbrücke nahe der Loreley im Welterbe Oberes Mittelrheintal auf 2010 verschoben hat und von den Hiesigen erweiterte Infos/Studien/Untersuchungen zur Entscheidungsfindung anfordert. Damit haben die Beantrager pro  Brückenbau (federführend das Mainzer Wirtschaftsministerium) ihr erklärtes Ziel bei der UNESCO nicht erreicht.  Schmunzeln macht nun der Reflex, diese unzweifelhafte Etappenniederlage in einen relativen Erfolg uminterpretieren zu wollen. Politiker können wohl gar nicht anders. Es heißt jetzt in Mainz: Die UNESCO wolle offenbar die Mittelrhein-Brücke als exemplarischen Fall nutzen, um daran objektive Kategorien für künftige Fälle ähnlicher Art zu entwickeln. Damit werde, so Mainzer Lesart, ein positiver Entscheid für die Mittelrhein-Brücke zwar zeitlich verzögert, aber umso wahrscheinlicher. Logik verstanden? Nö? Ich auch nicht.

A propos Logik. Kulturfreunde im Ausland schauen irritiert zu uns her, nach der Devise "haben die Deutschen noch alle Tassen im Schrank?". Dresden bekommt wegen brückenbaulichem Kulturerbe-Vandalismus den UNESCO-Titel aberkannt und Mainz beantragt zeitgleich den UNESCO-Segen für eine Brücke im Mittelrhein-Welterbe. Aus Weltsicht kann man sich nur an die Stirn tippen. Aus Regionalsicht lägen die Dinge aber am Mittelrhein ganz anders als in Dresden, argumentieren die Hiesigen. Ist das so - nur weil die Rheinbrücke etwas kleiner ausfallen soll als die an der Elbe und durch eine Flussbiegung vom Loreley-Felsen getrennt sein soll?

Es wird seit Jahren getan, als hinge die wirtschaftliche Zukunft des Mittelrheintales auf gedeih und Verderb vom Bau dieser Brücke ab. "Man muss doch an die Menschen vorort denken" hält einem fast jeder Regional- und Lokalpolitiker vor, dem man sich als Gegner der Brücke zu erkennen gibt. Ich unterstelle, die glauben das wirklich und meinen es gut mit den Leuten - so wie sie es seit Jahrzehnten mit jedem Neubaugebiet, jedem neuen Gewerbegebiet und sämtlichen neuen Autobahnkilometern gut gemeint haben. Vielleicht ist aber der Welterbegedanke gerade dazu da, es örtlich begrenzt mal auf ganz andere Art gut zu meinen, mal eine andere, eine mehr gemein- und kulturverträgliche Entwicklung zu versuchen. Dazu gibt es am Mittelrhein mannigfache Chancen - für deren Wahrnehmung eine Brücke nicht zwingend nötig ist oder sogar störend wäre.

Dass die Brücke für das Tal irgendetwas bringen könnte außer der allfällig angestrebten Beschleunigung des Verkehrs, dafür gibt es bis dato keinerlei Nachweis. M.E. ist die Brücke schlicht und ergreifend eine Fortsetzung des alten Industrie-Denkens, wonach Fortschritt letztlich aus linear-quantitativem Wachstum besteht. Nach dieser Logik ist ein Welterbe dem ökonomischen Wachstums-Mainstream kaum je per se hinreichend dienstbar, weshalb es bebrückt, beseilbahnt, betoniert, asphaltiert, infrastrukturiert, kommerzialisiert werden muss wie jede x-beliebige Ecke der übrigen Welt auch.  Dafür allerdings ist der Welterbetitel einfach nicht gemacht; dafür wäre er ein unpassendes, ein nicht angemessenes  Zertifikat. Hü oder Hot? 
        

26.6.

Dass Dresden der UNESCO-Welterbetitel aberkannt wird, ist richtig und folgerichtig. Man kann einfach nicht mutwillig und/oder ignorant alle Bedenken in den Wind schlagen, eine Welterbestätte wegen echter oder vermeintlicher Wirtschafts-/ Verkehrsinteressen versauen und am Ende erwarten, dass solch brachiales Banausentum auch noch ohne Folgen bleibt. Nicht nur Dresden, das Land der Dichter und Denker ist insgesamt vor aller Welt blamiert bis auf die Knochen. Denn die eigentliche Schande besteht darin, dass Bund und Länder es über all die Jahre nicht fertig gebracht haben, die deutschen Welterbestätten mittels verbindlicher Gesetze, die an den Kritierien der UNESCO orientiert sind, unter besonderen Schutz zu stellen.

Darin kommt eine Denkweise zum Ausdruck, die von Anfang auch der Diskussion ums Welterbe Oberes Mittelrheintal einen falschen Zungeschlag mitgegeben hat. In Rheinland-Pfalz wird auf weiter Flur der Welterbetitel vor allem verstanden als Qualitäts-Zertifikat zur besseren touristischen Vermarktung der geadelten Region. Vor diesem Hintergrund verkommt dann die Diskussion um eine neue Rhein-Brücke nahe der Loreley zu einem Pro-und-Contra darüber, ob mit Brücke und ohne Welterbetitel oder ob mit Welterbetitel und ohne Brücke die bessere Wirtschaftsentwicklung im Tal möglich sei. Die Mainzer Landesregierung geht dieser Kontroverse aus dem Weg, indem sie Welterbe und Brücke miteinander aussöhnen will. Sprich: dem UNESCO-Komitee irgendwie plausibel machen, dass am Rhein zusammenpassen soll, was sich an der Elbe beißt.

Völlig aus dem Blick geraten ist über das Primat wirtschaftlicher Betrachtung der ureigentliche Zweck von Weltkulturerbetiteln: Schutz, Erhalt, Würdigung, Vermittlung historischer Stätten, die in besonderer Weise Zeugnis ablegen vom kulturellen Werden der Menschheit. Weil es sich dabei vielfach nicht um museale Stätten, sondern um Lebensräume heutiger Menschen handelt, lässt die UNESCO mannigfache Kompromisse zwischen Erhalt und Entwicklung, zwischen Schutz und Nutzung zu. Ein Freibrief, mit der Welterbestätte umzugehen wie mit einem Disneyland nebst angeschlossenem Gewerbegebiet und eigenem Autobahnzubringer, ist das aber nicht.

Im Zentrum des Welterbetitels steht die freiwillige Übernahme der Pflicht durch Menschen und Institutionen vor Ort, ihrem schützenswerten Kulturgut stellvertretend für die Menschheit angemessene Sorge und Pflege zuteil werden zu lassen. Maßstab des Handelns wäre danach primär der Erhalt welterblicher Authentizität - selbst für den Fall, dass daraus kein nennenswerter wirtschaftlicher Nutzen erwachsen würde. Wer dazu nicht bereit ist, wem alles Handeln nur als ökonomisch nutzbringendes Handeln etwas zählt, wer die Natur- und Kulturschätze nicht zuallererst um ihrer selbst Willen liebt, der sollte gleich gar nicht die Anerkennung seiner Liegenschaft als Welterbestätte beantragen. Es wär' letztlich bloß Bigotterie im Pragmatismus-Gewand.      


23.6.

Homo sapiens ist die dämlichste Spezies, die auf Gottes weiter Welt herumläuft. Warum? Menschen können logisch und vorausschauend denken, wissen also vorab, was passiert, wenn man den Ast absägt, auf dem man sitzt. Was tun sie deshalb? Den Ast absägen auf dem sie sitzen.

22.6.

So schnell werden aus Demonstranten "Krawallmacher" und "Terroristen": Sie müssen nur unbeugsam genug für ihre Ziele eintreten und derart die Mächtigen in die Bredouille bringen. Genau das ist im Iran der Fall, weshalb die amtierende Regierung dort jetzt wild um sich schlägt und offenbar um jeden (Blut-)Preis Friedhofsruhe herstellen will. Ich fürchte, das wird ihr gelingen: Zu schwach noch ist der Rückhalt der Oppositionsbewegung vor allem bei den einfachen Leuten. In der Bredouille stecken Ahmadineschad und Co. trotzdem, weil im eigenen Land und vor aller Welt deutlich geworden ist, dass ein beträchtlicher Teil des iranischen Volkes, vor allem seiner jungen Menschen, nicht oder nicht mehr hinter ihnen steht.

Dazu eine Analyse unter 2009-06-22: Zur Lage im Iran - Das angezählte Regime schlägt um sich, das Volk ist noch zu tief gespalten     

20.6.

"Affäre Erika" in Mainz. Beteiligte: DDR-Schreibmaschine Marke  Erika (geklaut), protestierende Studenten (verdächtigt), ein witziges Flugblatt (inkriminiert),  CDU-Landtagsfraktion (ausgerastet), SPD-Landtagsfraktionsvize (beschossen) und Gott Jokus (irritiert). Spiegel-online bringt  umfassend Licht in die Ereignisse  www.spiegel.de/Erika Mainz

Womit vorerst alles im angemessenen Zungenschlag gesagt wäre.


18.6.

Ein Nachtrag noch zum Bologna-Prozess.
Es hat gestern und heutemorgen zahlreiche Stellungnahmen und Kommentare gegeben, die Mängel bei der praktischen Umsetzung oder überhaupt eine schlechte Umsetzung der Bologna-Beschlüsse von 1999 attestieren/kritisieren. Das ist wohl richtig, greift aber mit seiner positiven Grundeinschätzung der Bologna-Absichten zu kurz. Ginge es nur um "Harmonisierung" und "Vereinheitlichung" der europäischen Hochschullandschaft und ihrer Abschlüsse, kaum jemand hätte etwas dagegen. Am wenigsten wohl das Gros der protestierenden jungen Leute, deren Lebensgefühl ja sowieso viel mehr europäisch-global geprägt und orientiert ist als nationalstaatlich.

Aber was die 29 europäischen Bildungsminister damals auf den Weg brachten, ist etwas anderes als bloß "Harmonisierung". Der EU-weite Vereinheitlichungsprozess wurde und wird genutzt, um zugleich Wesen und Zweck der universitären Bildung von Grund auf umzukrempeln. Man kann diese Absicht auf die knappe Formel bringen: Der Bologna-Prozess zielt darauf ab, die Hochschulen von BILDUNGSeinrichtungen in AUSBILDUNGSeinrichtungen zu verwandeln - aus Universitäten sollen einerseits effektive Massen-Berufsschulen werden, andererseits sollen sie in besonderen VIP-Bereichen wissenschaftliche und personell handverlesene Exzellenzen ausformen.

Die Denke DIESER ART Bologna-Prozess ist folgerichtiger Ausfluss einer EU-Politik, die sich seit Jahr und Tag im Grunde vornehmlich als Motivator und Exekutor einer stringenten Marktliberalisierung Europas versteht. Weshalb sich der anhaltende Unwille der Studenten und auch beträchtlicher Teile des akademischen Personals nicht einfach nur gegen Mängel in der praktischen Umsetzung der Bologna-Beschlüsse richtet. Vielmehr gilt er -bewusst oder unbewusst - dem Missbrauch einer durchaus begrüßenswerten europäischen Harmonisierung-Idee als trojanisches Pferd, mittels dessen die Umwandlung des Bildungswesens in einen Dienstleister der Ökonomie durchgeboxt werden soll. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zuspitzung der Schüler- und Studentenproteste zeitlich zusammenfällt mit Finanz- und Wirtschaftskrise: Mit dem Offenbarungeid der marktliberalen Glückseligkeits-Lüge ist zugleich die entsprechende Stoßrichtung des Bologna-Prozesses diskreditiert.
          

17.6.

Auf den ersten Blick fast überraschend: die Größe und Wucht des heutigen Protestes der Schüler und Studenten. Die Aktionen im Vorfeld teils schlecht vorbereitet, teils schwach propagiert. Und dennoch sind bundesweit viele Zehntausend dabei. Darin kommt eine (nicht nur) in der Jugend verbreitete Grundstimmung gegenüber den derzeitigen Tendenzen im Bildungssystem zum Ausdruck, die von Politikern und Bildungsfunktionären - so sie nicht völlig betriebsblind geworden sind - sehr ernst genommen werden müsste.

Ob nun 120 000 oder 240 000 mitdemonstriert haben ist bloß interessierte Erbsenzählerei, die am Befund gar nichts ändert. Dass in Mainz 70 Demonstranten im Landtagsgebäude Unfug angestellt haben, darf als bedauerlich betrachtet werden. Es bleibt aber eine Randerscheinung; verglichen mit zahllosen "Vorkommnissen" bei diversen Schüler- und Studentenprotesten in der Geschichte der BRD ist es (nach bis eben vorliegenden Nachrichten) eine Marginalie. Politiker, Medien und deutsche Michels werden nach bewährter Manier trotzdem aufgeregt darauf herumhacken: Das geht nämlich viel einfacher von der Hand, als sich ernsthaft und selbstkritisch mit den Inhalten der Portestbewegung auseinander zu setzen.

Übrigens, generell, und auch das ist ein alter Hut: Die Formen des Protestes werden umso radikaler werden, je arroganter die sachlichen Ursachen für den Protest geleugnet, ignoriert oder kleingeschwätzt werden. Typisch dafür Schavan, die heute den Vogel abgeschossen hat mit ihrer Äußerung, die Proteste und ihre Forderungen seien "gestrig". Fassen wir die inhaltlichen Haupttendenzen des Protestes zusammen, wird sogleich deutlich, dass daran überhaupt nichts gestrig ist. 

- Das Bildungssystem wird als hochgradig sozial selektiv empfunden, also als sozial ungerecht;
- Der Bolognaprozess wird in seiner jetzigen Ausformung empfunden als verschult, geistig beengend und - wie das Turboabtitur auch - als dem Primat neoliberalen Wirtschaftens geschuldet;
- Die realen Lern- und Studienbedingungen werden wie die Unterfinanzierung des gesamten Bildungssystems als Hohn empfunden, und alle hehren Beteuerungen über die primäre Zukunftsbedeutung von Bildung folglich als verlogenes Gewäsch.

Das soll "gestrig" sein? Oh nein, das ist sehr heutig, um nicht zu sagen: morgig. Schavan und Co nebst zahllosen Bildungs-Apparatschiks auf EU-, Bundes-, Länder-, Uni- und Schulebene haben bloß noch nicht begriffen, was sich da schon seit einigen Jahren zusammenbraut: Die innere Abwendung eines erheblichen Teils der jungen Generation von einer Bildungszweckentwicklung, die ihre Impulse und ihr Selbstverständnis aus dem neoliberalen Ideologiedurchmarsch  der Nach-1989er-Jahre bezog.

Dass diese Abwendung bei einigen der jungen Leute auch motiviert ist vom Frust über schwindende individuelle Karrierechancen, darf nach 20 Jahren Ellbogen-Propaganda nicht verwundern. Aber Versprechen, die nicht eingehalten werden, ließen zu allen Zeiten vielen Zeitgenossen manchen Kronleuchter aufgehen. Mal früher, mal später.
            

15.6.

SPD-Parteitag. Steinmeier stellt richtigerweise fest, dass es in nächster Zeit um einen Richtungsentscheid geht. Er meint die Bundestagswahlen - was unter parteipolitischem Blickwinkel verständlich ist, aber einerseits zu kurz greift, andererseits  Wille und Fähigkeit der Sozialdemokratie zum notwendigen  "systemischen" Schwenk, vorsichtig ausgedrückt, allzu rosig zeichnet.

Spiegel-online fasst den Kern der Steinmeierschen Parteitags-Rede so zusammen: Eine Sichtweise, die sich jetzt auch Steinmeier zu eigen macht. "Es geht um Arbeit statt Abbruch", ruft Steinmeier. "Es geht um soziale Gerechtigkeit oder marktradikale Ideologie." Er beschwört eine "neue Zeit", in der Mindestlöhne gezahlt und Männer und Frauen für gleiche Arbeit gleich entlohnt werden, in der die Mitbestimmung in Betrieben ausgeweitet wird, die Gutverdiener mehr für das Gemeinwohl tun und global abgerüstet wird.

Alles gut und richtig - aber sofort wieder relativiert durch  positiven Rückgriff auf die Schröder-Politik. Wollen oder können die Sozis nicht sehen/begreifen?: Die gravierendste FALSCHE Richtungsentscheidung ihrer Partei in den letzten 40 Jahren war die Schrödersche Politik der weitgehenden  Auslieferung von Staat und Gesellschaft an den Neoliberalismus. Die Erinnerung der Menschen daran, dass unter der Kanzlerschaft Schröders, sozialstaatliche Dämme in einem Ausmaß brachen, wie unter kaum einer Regierung zuvor, diese Erinnerung liegt der SPD im Magen wie Wackerstein. So ins Spagat gestellt, wird die Partei schwerlich dauerhaft Tritt fassen können.  

12.6.

Was zu viel ist, ist zu viel. Deshalb hier (m)ein Statement zur staatsanwaltlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion in den Arbeitsräumen des freien Journalisten und Herausgebers des Internet-Dienstes "Motor-KRITIK" Wilhelm Hahne in Virneburg/Eifel:

Das Vorgehen der Nürburgring GmbH und der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den Journalisten Wilhelm Hahne ist völlig inaktzeptabel.  Es wird hier nach dem uralten Muster verfahren, das Grundrecht der Pressefreiheit dadurch einzuschränken, dass dem betroffenen Journalisten vermeintliche Verstöße zivilrechtlicher Natur zur Last gelegt werden. Hahne soll ihm zugespielte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Nürburgring GmbH an die Öffentlichkeit gebracht und gegen das Urhenberrecht einer Werbefirma verstoßen haben.

Einst rückte die Staatsgewalt auf Geheiß von Franz Josef Strauß dem "Spiegel" zuleibe wegen vermeintlicher Spionage und angeblichen Verrats von Staatsgeheimnissen. Tatsächlich waren, was der "Spiegel" damals druckte, Fakten von herausragendem öffentlichen Interesse. Und waren die Offizialmaßnahmen dagegen der Versuch, Journalisten und Blatt zum Schweigen zu bringen, auf dass die herrschende Politik weiter unkritisiert und unbehelligt von der Öffentlichkeit ihren Geschäften nachgehen kann. Der Versuch ging glücklicherweise nach hinten los.

Im Falle Hahne haben wir es mit einer ähnlichen, wenn  auch nicht so prominenten, Angelegenheit zu tun. Die Vorgänge und Hintergründe rund um die Finanzierung der Nürburgring-Erlebniswelt sind samt und sonders  von herausragendem öffentlichem Interesse. Weil a) es sich bei der Nürburgring GmbH um ein Unternehmen handelt, dass de facto unter Hoheit der Öffentlichen Hand (des Landes) steht. Weil  b)  das gesamte Erlebniswelt-Projekt letztlich finanziell durch die Öffentliche Hand gedeckt wird (werden muss). Weil c) die Öffentlichkeit in Rheinland-Pfalz deshalb ein Anrecht darauf hat, sich ein realistisches Bild davon zu machen, ob das Projekt ökomomisch Sinn macht und ob ein Vergnügungspark mit Achterbahn- und Rutschespaß am Rande der Rennstrecke überhaupt irgendwie sinnvoll sein kann.

Die finanztechnischen Konstruktionen und Entscheidungsprozesse rund um dieses Projekt sind - vorsichtig ausgedrückt - überaus komplex (angelegt). Und sie spielen sich in nicht unerheblichem Umfang in Bereichen ab, die dem Blick der Öffentlichkeit entzogen sind (werden). Dies widerspricht dem herausragenden öffentlichen Interesse an dem Projekt, weshalb es journalistische Pflicht ist, Licht ins Dunkel zu bringen. Kollege Hahne, anerkannter Motor-Fachjournalist und langjähriger Kenner des Nürburgrings, ist dieser Pflicht auch noch im fortgeschrittenen Alter von 76 Jahren nachgekommen. Dabei nahm der alte Hase kein Blatt vor den Mund,  wenn er Seilschaften, Gekungel, gewollte Undurchsichtigkeit, Gedankenlosigkeit oder selbstherrliche Chuzpe von Amtsinhabern und Geschäftsleuten am Werk sah.

Dass die Nürburgring GmbH mit Wissen und, so ist zu befürchten, auch Wollen von Aufsichtsratschef und Finanzminister Ingo Deubel den Kollegen Hahne nun per Anzeige und Staatsaktion angehen lässt, ist ein Armutszeugnis. Und es ist ein Schuss, der nach hinten losgehen wird: Denn er nährt beim Publikum den Verdacht, dass es bei diesem Erlebnispark-Projekt doch so allerhand gibt, das das Licht der Öffentlichkeit scheuen muss. Vom Renommee-Verlust mal gar nicht zu reden, sollten - was zu erwarten steht - in den nächsten Tagen die überregionalen Medien sich des Falls annehmen. Immerhin ist er der erste, bei dem gleich nach Unterzeichnung der "Europäischen Charta für Pressefreiheit" durch die Führungsmedien in Deutschland von politisch-wirtschaftlicher Seite gegen den Geist eben dieser Charta verstoßen wird.                                     Andreas Pecht  


Wilhelm Hahnes Internetdienst unter www.motor-kritik.de  


Nachrichten, Presseberichte, Diskussionen zum Thema Nürburgring GmbH vs. Hahne unter

newsroom.de
logistic-news.de
rhein-zeitung.de
com/forum/viewtopic.php      


10.6.

Sie nennen es Anpassungsprozess, Strukturwandel oder Marktbereinigung. Und sie halten, was sie so nennen, für etwas völlig normales. Massenentlassungen, Lebenskrisen und sozialer Abstieg bis hin zur Verelendung für zahlreiche Menschen, Verödung von Städten und Regionen, verottende Produktionsanlagen und Immobilienbrachen... = alles völlig normal, eben der "natürliche" Gang der wirtschaftlichen Dinge, der für die nächste Dekade dann wieder angeblich blühende Landschaften verspricht. Das sei halt der Preis für - was eigentlich?

Für Unvernunft, Unfähigkeit, Kurzsichtigkeit, Planlosigkeit. Warum? Weil in unserer Art des Wirtschaftens das Kapital blind für alle Langfristfolgen jeweils dorthin wandert, wo möglichst ad hoc möglichst viel zu verdienen ist. Ein dämlicher Herdentrieb, der jedesmal aufs neue zu Überkapazitäten führt. Opel, Hertie, Karstadt: letztlich sind sie allesamt Opfer von Überkapazitätskrisen - Ergebnis eines Denkens bei Eignern, Managments, auch Wirtschgaftspolitikern und Ökonomen, das nicht volkswirtschaftlich, sondern immer nur in  betriebswirtschaftlicher Beschränktheit tickt. 

Was dazu führt, dass Anpassung und Strukturwandel nicht systematisch vorausgeplant und als weiche Übergangsprozesse gestaltet werden, sondern jedesmal die Form plötzlicher, brachialer Krisen annehmen. Für betroffene Lohnabhängige und manchen Kleinzulieferer sind das zugleich existenzielle private Lebenskrisen, für die Verursacher zumeist nur verlorene Partien im großen Spiel um Profit und Macht. Die Karstadt-Pleite schmerzt die Schickedanze als verlorene Pfründe, auf ihren Lebenstil wird sie keinen Einfluss haben: Lady und Co. bleiben stinkreich. Verantwortung fürs Große und Ganze, wenigstens für die Belegschaften, die über Jahrzehnte Milliarden auch in die Privatschatullen der Schickedanze und anderen Anteilseigner gewirtschaftet haben? Fehlanzeige. 

Für die Funktionsweise des Systems ein aktuelles Minibeispiel aus meinem ländlichen Umfeld:

In der kleinen Kleinstadt Ransbach-Baumbach im Westerwald gibt es derzeit in einem 500-Meter-Quadrat vier Supermärkte: Rewe, Edeka, Aldi und Norma. Vor 10 Jahren waren es noch zwei - und die waren schon vollkommen hinreichend, die Bevölkerung mit dem zu versorgen, was Supermärkte gemeinhin anbieten. Die Bevölkerung ist seither nicht gewachsen, dennoch haben sich zwei weitere Märkte angesiedelt. Die vier jetzigen stellen in Summa bereits eine deutliche Überkapazität dar, weshalb Schließungsgerüchte über diesen oder jenen immer wieder die Runde machen. Trotzdem ist jetzt zu hören, dass Lidl beabsichtige, sich in eben diesem 500-Meter-Quadrat ebenfalls mit einer Filiale niederzulassen, für die ein völlig neues Gebäude errichtet werden soll. Dann wären's dort fünf Supermärkte - was kein Mensch braucht.

Das Ergebnis ist absehbar, kann in der benachbarten Kleinstadt  Höhr-Grenzhausen besichtigt werden: Es wird Schließungen geben, es wird Entlassungen geben, es werden vormalige Verkaufshallen leerstehen, im besten Fall von Verramschern belegt werden. "Marktbereinigung" greift um sich - weil zuvor sehenden Auges und mutwillig völlig hirnrissige Überkapazitäten geschaffen wurden. Wozu? Gewiss nicht zur besseren Versorgung der Bevölkerung, sondern als Waffe im Verdrängungswettbewerb. Verschossen werden dabei: die Beschäftigten. Diese wirtschaftssytemische "Normalität" ist in der Sache ein unfassbar verschwenderischer Unfug und ideell die reine Menschenverachtung! Sollte wir wirklich nichts gescheiteres hinkriegen als solch eine Schwachsinns-Ökonomie?         

8.6.

Die Lage nach dem Wahl-Wochenende: verworren - in Europa wie in der deutschen Kommunallandschaft. 

1. Über jeder Einschätzung hängt als Vorbehalt die geringe Wahlbeteiligung. 2. In Europa marschieren die Rechtspopulisten, fahren aber auch die Grünen unerwartete Erfolge ein, werden diverse Nationalregierungen - ob schwarz oder rosa - abgewatscht. 3. In vielen EU-Ländern (vorneweg Deutschland) schrumpft die Vorherrschaft der großen/alten Volksparteien weiter. 4. Die deutsche EU-Wahl hat die CDU als Verlierer, die sich als Sieger feiert; zeigt die SPD als 20-Prozent-Partei stabilisiert, die deshalb als Fiasko-Verlierer behandelt wird. 5. Die deutsche Kommunalwahl  manifestiert das Fünf-Parteien-System nunmehr als Regelerscheinung für Deutschland. 6. Die Kommunalwahlen in Deutschland bestätigen dies tendenziell auch für die unteren Ebenen: FDP fast überall vertreten, oft zweistellig; ebenso Grüne, die mancherorts sogar SPD oder CDU überholt haben; Linke nun auch in vielen West-Stadtparlamenten vertreten (oder sehr nahe dran), im Saarland zweistellig, im Osten anhaltend oft stärker als CDU oder SPD. 7. Signal für die Grünen: Wo sie in konkreten Kämpfen gegen umweltschädliche Großprojekte mitmischen, sind die Stimmzuwächse exorbitant, z.B. Stuttgart und Mainz.

                                           ***

Heute habe ich gleich mehrere Texte aus dem Bereich klassische Musik eingestellt (siehe Spalte links "Aktuelle Artikel/Texte"). Die Häufung ergibt sich aus dem  zufälligen terminlichen Zusammentreffen von Erscheinen des Magazins d:u:o, für das ich schreibe, einer Konzerteinführung am  Wochenende und der Möglichkeit, endlich mal die Solo-CD von Fagottist Niko Maler anzuhgören.         

5.6.

Kennen Sie das auch? Beim morgendlichen Stöbern in den Internet-Auftritten der Regionalzeitungen (hier derjenigen im  südlicher Westen Deutschlands) gerät man auf dem Weg zu den Kultur-Ressorts ins Stolpern. Nicht bei den wichtigen überregionalen Zeitungen wie SZ, Zeit, FAZ, FR, Welt. Die führen  im Ressortverzeichniss am Kopf oder Kopfrand  ihrer Startseite dankenswerter Weise noch immer "Kultur" oder "Feuilleton" (FAZ) als eigenständigen Link. Eine Ausnahme ist die TAZ: Bei ihr findet sich, was früher unter "Kultur" versammelt war, heute unter "Leben".

Bei Online-Ausgaben der Regionalzeitungen aber ist das leider ganz anders: Da musst du nach der "Kultur" richtig suchen gehen. Mainzer Allgemeine, Trierischer Volksfreund, Rheinpfalz oder Bonner Generalanzeiger verstecken den "Kultur"-Link auf der zweiten Ebene. Mal kommst du über "Lokales" oder "Aus der Region", mal über "Nachrichten" oder "Freizeit" zur Kultur. Mal ist der dann gefundene "Kultur"-Link das Tor zu reiner Regionalberichterstattung, mal - wie bei der Rheinpfalz - zu einem Vollfeuilleton. Einen direkten "Kultur"-Link im Ressort-Verzeichnis der Startseite hat in dieser Regionalfamilie nur der Mannheimer Morgen noch. Gar keinen "Kultur"-Link gibt es im Online-Auftritt der Rhein-Zeitung; dort verteilt sich, was von traditionellen Kultur-Stoffen noch geblieben ist, auf mehrere Bereiche von "Aus dem Land" bis zum "Magazin". Für den kulturinteressierten User ist das eine arge Sucherei.

Lassen wir das erstmal kommentarlos als Befund stehen. Weiterführendes Nachdenken über das Phänomen ist freilich erlaubt.

         
4.6.

DAS Ereignis des heutigen Tages ist natürlich Obamas "Grundsatzrede an die muslimische Welt" in Kairo.

(siehe dazu 2009-06-04 Kommentar:
Zur Rede von Barack Obama in Kairo)


Erfreulich sind die ersten Reaktionen aus eben dieser Welt auf die Ansprache des US-Präsidenten. Die hat offenbar tatsächlich gewisse Hoffnungen auf einen Neuanfang geweckt.  

                                                     ***

Man nehme die Überschriften und den Schlusssatz einer der beiden Titelseiten-Artikel der heute erschienenen "Zeit", schon hat man das ganze Elend der derzeitigen (nicht nur) deutschen Politik auf eine knappe Formel gebracht.
Überschriften: "Da war doch was - Im Schatten der Opel-Rettung eröffnen die Banker wieder das Kasino. Wir wollten den Kapitalismus doch reformieren!"
Schlusssatz: "Irgendwann fragen die Bürger, warum so viel von einer historischen Krise die Rede war und Deutschland sich verschuldet hat wie nie zuvor - der Kapitalismus aber ganz der alte geblieben ist."

1.6.

Wünsche angenehme Pfingsttage gehabt zu haben. Einstieg in den Monat Juni mit einem wunderbar zum Augenblick passenden Zitat von Kurt Tucholsky, geschrieben am Vorabend zum Katastrophenjahr 1929 (gefunden vorhin auf Spiegel-online in einem lesenswerten Aufsatz unter der Überschrift "Ende des Neoliberalismus: Konterrevolution im Krisenkampf").

"Im kommenden Jahr werden die Börsen mit Wertpapieren handeln, ohne dass sich auch nur ein Spieler darüber Gedanken macht, womit er eigentlich spielt: mit der Arbeitskraft von Proletariern, die mit 60 Jahren wenigstens wissen, wofür sie das ganze Leben geschuftet haben: für eine Tuberkulose."

 
Wünsche Erhellung und Anregung
bei der Lektüre nebenstehender neuer Texte
Andreas Pecht

2009-05 Guten Tag allerseits:
vom Monat Mai 2009


2009-04 Guten Tag allerseits:
vom Monat April



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