Kritiken Theater
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2009-11-13a Schauspielkritik:

Bemerkenswerte "Klytaimnestra" von Sibylle Dudek
in Koblenz uraufgeführt


Vier Gesichter einer antiken Tragödin


 
ape. Sibylle Dudek ist offenkundig eine sehr gescheite junge Frau. Seit Beginn der Spielzeit Hausautorin am Theater Koblenz, hat sie ihrer Wirkungsstätte nun das erste Stück geschrieben. „Klytaimnestra“ ist ein bemerkenswerter Text – über eine jener vielen Figuren, die im gewaltigen antiken Sagengewebe vom Trojanischen Krieg ihr tragisches Schicksal erfüllen. Das im Programmheft abgedruckte Skript lässt sich mit großem Gewinn lesen, mit noch größerem Gewinn analysieren. Aber eignet es sich auch für die Bühne? Obwohl weit enfernt von konventionellen dramatischen Erzählstrukturen: ja.
 

Ulf Goerke hat das Vier-Frauen-Stück in den Kammerspielen des Theaters als eine Art Aktionstherapie inszeniert. In deren nur einstündigem Verlauf schlüpfen Raphaela Crossey, Jana Gwosdek, Tatjana Hölbing und Katja Thiele abwechselnd in die Rolle der Klytaimnestra. Deren Geschichte, Antriebe, Befindlichkeiten werden so aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt, gedeutet, empfunden, bewertet.

Die Haltung der vier Frauen variiert. Mal schauen sie distanziert bis teils spöttisch zurück. Mal stürzt sie das Erinnern erneut in  einstige Gefühlsabgründe. Mal putscht die gedankliche Wiederbegegnung mit dem Damals sie zu zorniger Widersetzlichkeit gegen jene Urteile auf, die so viele Autoren von der Antike bis in die Gegenwart über die Titelfigur fällten.

Wer ist Klytaimnestra überhaupt? Diese Frage – tiefernst, aber bisweilen nicht ohne hintergründigen Humor gestellt – darf als Leitmotiv von Stück und Inszenierung gelten. Beide stellen bald fest, was sie auf keinen Fall ist: bloß jenes böse Weib, als das sie seit jeher vorwiegend gesehen wird – Gattenmörderin,  die den Griechenhelden Agamemnon nebst dessen „Beutefrau“ Kassandra mit Hilfe ihres Geliebten Aigisthos heimtückisch meuchelte.

Was wiegt diese Tat gegen die Verbrechen Agamemnos an ihr? Mann und Kind von Klytaimnestras erster Ehe in Sparta hatte er erschlagen, um sich ihrer zu bemächtigen. Die gemeinsame Tochter Iphigenie hatte er den Göttern geopfert um seines Kriegsglücks vor Troja wegen. Wer ist schuld am Kreislauf von Blutat und blutiger Rache, der Klytaimnestras Tochter Elektra zur Mutterhasserin,  Sohn Orest schließlich gar zum Muttermörder macht? Wer ist Täter, wer Opfer?

Die Klytaimnestra der Sibylle Dudek ist beides. Weshalb die Frau in ihrer hier vierfachen Ausfertigung Fragen nach Schuld und Unschuld, Krieg und Frieden, Herrschaft und Unterdrückung, Verbrechen und Blutlust, Liebe und Hass befreien kann  von ihrer scheinbar unabänderlichen Schicksalhaftigkeit. Tat ist Menschentat, nicht Götter- oder Naturwerk, ob von Heroen oder Weibern begangen, ob mit scharfem Eisen oder  im splattrigen Video.

Dirk Steffen Göpferts Raum hinterlegt das intensive Spiel der Frauen mit Stücken von Treibholz in einer schwarzen Wand. Darauf kommentieren die vier ihr Tun mit Kreideskizzen. Darüber flimmert das Video von einer Straßenumfrage am Ort, die ergibt: Die Saga von Klytaimnestra ist vergessen – tot wie die ausgebleichten Holzknorzen auf der Bühne. Und doch können sie, aufmerksam beschaut, uns so Vieles erzählen und lehren.
                                                                                       Andreas Pecht

Info: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck am 14. November 2009)


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