Kritiken Theater
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2009-11-10 Schauspielkritik:

Herbert Fritsch liefert Wiesbaden einen schrillen,
aber sehenswerten „Volpone“
 

Im Panoptikum der Geldgierigen
 
 
ape. Theater kann derzeit schön Bezug nehmen auf durch Geldgier verworrene Realverhältnisse. Davon macht es einigen Gebrauch. Soeben spielte das Thema, wie berichtet, bei der Uraufführung des Stückes „Der heilige Paulus“ in Mainz eine Rolle. Tags darauf  wurde es am Staatstheater Wiesbaden mit Ben Jonsons „Herr Fuchs oder einfach: Volpone“ von 1605 ganz anders angepackt. Dort hat Herbert Fritsch die Komödie des Londoner Zechkumpanen und zugleich Konkurrenten von Shakespeare als krachende Tempo-Burleske inszeniert.


Nicht, dass der exakt 111-minütige Abend direkt auf die aktuelle Finanzmalaise verweist. Das hat sich die Regie, hat sich auch Sabrina Zwach bei ihrer saftigen Bearbeitung von Stefan Zweigs Übersetzung verkniffen. Aber es ist im Moment  halt so: Man erzähle von Typen, die des Geldes wegen jede Schweinerei begehen und vor Gier auch der dämlichsten Verlockung erliegen – die Story verwandelt sich automatisch zum Gleichnis auf die absurden Ereignisse unserer Tage.

Auf der Bühne mimt Volpone, also der Herr Fuchs, einen sterbenskranken Reichen ohne Erben. Das lockt die Erbschleicher an: Notar Geier, Graf Rabe, Kaufmann Krähe wetteifern mit Schöntun und wertvollen Geschenken um Gunst und Testament des vermeintlichen Todeskandidaten. Die aufs Fleddern Versessenen werden von Volpone ordentlich ausgenommen. Rabe investiert selbst den Vermögensanspruch seines Sohnes; der sonst so eifersüchtige Krähe führt dem Fuchs gar die eigene Ehefrau (Eva-Maria Damasko) ans Bett. Was tut man in gewissen Kreisen nicht alles für die Chance auf einen veritablen Extraprofit.

Das turbulente Gerangel ums große Geld wird allweil befeuert durch einen Burschen namens Mücke. Im Arleccino-Kostüm tänzelt, zappelt, windet sich Wolfgang Böhm als Diener des Volpone von einer raffinierten Stichelei zur nächsten.  Er gießt Apfelsaft in die Urinierflasche, rührt in der Bettpfanne Kakao an – kostet vergnügt davon, schänkt auch den entsetzen Krankenbesuchern ein.

Derb sind die Späße, laut, schrill, hysterisch ist das Wiesbadener Spiel. Es basiert auf der deftigen Marktplatz-Variante der historischen Commedia dell’arte, nimmt munter  Anleihe auch bei späteren komischen Spielformen, etwa dem Stummfilm-Slapstick. Bald verlieren die Beteiligten sämtlich die Nerven: Rainer Kühns grotest verrenckter Volpone; Sebastian Muskallas zappeltuntiger Geier; Franz Naglers stets dem Infarkt nahe schäumender Rabe; Jörg Zirnsteins zittriger Krähe; Florian Thunemanns trotteliger Raben-Sohn Leo; der von saurem Aufstoßen geplagte Richter des Michael Birnbaum; das betagte Nüttchen der Monika Kroll.

Kum aushalten lässt sich das kreischige, überdrehte Tohuwabohu. Und doch: Dieser nervige Grenzgang ist gewollt, und er ist richtig gut gemacht.  Leer die Bühne. Auf dem Rückhorizont ein Film, der erst mit geomterischen Formen vierblättriger Kleeblätter spielt, dann zu knallbuntem Chaos mutiert. Dazu sorgsam gesetzt Musik aus Vivaldis „Jahreszeiten“. Vor allem aber: Das ganze Knallchargen-Panoptikum ist bis in den letzten Gesichtszug und selbst den kleinsten Körpergestus genau, in der Typen-und Momentpsychologie trefflich durchchoreografiert.  Wer sich im durchdrehenden Spektakel den Blick fürs Detail erhält, kriegt Regie-  und Darstellerhandwerk von hohen Graden zu sehen.                                                                                                  Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck am 11. November 2009)


Staatstheater Wiesbaden, "Volpone", Regie: Herbert Fritsch, Kritik

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