Kritiken Theater
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2009-11-09 Schauspielkritik:

Robert Borgmann konfrontiert am Staatstheater Mainz Religionsdogmatik und Probleme der Gegenwart 


"Der heilige Paulus" scheitert
im Sandkasten
 
 
ape. Mainz.  Thema und Ton des Abends fallen schon im Foyer über die Besucher her: Vom  Tresen der Garderobe herunter predigt eine Frau in weißem Armenhemd biblische Nächstenliebe wie weiland Jesus Christ vom Berge. Nur nicht so sanft – mit überschnappender Agitatorenstimme peitscht sie ihre Parolen ins Publikum. Ein enervierender Prolog zur jüngsten Uraufführung am Staatstheater Mainz, mit der das Stück „Der heilige Paulus“ zur Diskussion gestellt wird.
 

Der junge Regisseur und Autor Robert Borgmann (Jahrgang 1980) hat dafür ein nie realisiertes Filmdrehbuch von Pier Paolo Pasolini aus den 60ern umgearbeitet, auf die Gegenwart zugeschnitten. Die Idee des Stückes ist: Die Geschichte des Paulus ins Heute verlegen und beobachten, ob Ansichten und Verhalten des Apostels hilfreich sein können fürs Ringen mit den Problemen unserer Welt. Um's gleich zu sagen: So wie hier über dreieinviertel Stunden mit zwei Pausen verhandelt, ist das nicht der Fall.

Die Bühne von Jochen Schmitt teilt sich in höhere Geisteswelt und Ödnis hienieden in Form eines  großen Sandkastens. Erstere ein gewaltiges Leinwand-Triptychon hinten. Im Wechsel summt darauf eine Jesus-Ikone den Blues vom mutterlosen Kind (somtimes I feel like a motherless child), künden Genre-Gemälde von Erlösung und Verdammnis oder verschmelzen Hugo Chávez und Mahmud Ahmadinedschad zum Angeklagten des Weltgerichts. Derweil verhaken sich drunten in der sandigen Wüstenei Szenen aus dem Jetzt und des Paulus Erweckungserlebnis nebst nachfolgendem Bekehrungszug durch Afrika heillos ineinander.

Erst ist Paul einer von vier Boni-geilen Bankern, mit einer ebenso chick-egozentrischen wie geist- und herzlosen Gattin. Spieltechnisch feiert dabei das gute alte Agitprop-Theater mit treffender Leitartikelrezitation im Chor und plakativer, aber durchaus berechtigter Anklage fröhliche Urstände. Dann macht ein überlebter Flugzeugabsturz den Paul zum Paulus. Der ergreift gelegentlich Partei gegen Migrationselend, gegen die Ausbeutung der Dritten Welt und überhaupt den turbokapitalistischen, militaristischen, menschenverachtenden Gang der realen Dinge.

In der Hauptsache allerdings traktiert dieser Paulus Welt und Zuseher mit endlosen Passagen seiner Missionierungsbriefe, vorgetragen in beißender Schärfe, unerbittlich stets auf eines abzielend: Gehorsam gegen Gott und Hingabe an dessen Sohn. Dafür nimmt er kompromisslos jede Kasteiung auf sich. Bewundernswert? Wer Selbstaufgabe um einer Sache willen als Wert an sich versteht, mag das so sehen. Wie Marek Harloff ihn vorführt, ist der Heilige indes mehr weltfremder, verbohrter Sektierer, denn Hoffnungsträger. Religion wird hier zu wahnhaftem Eskapismus, mithin untauglich für die Veränderung der Welt. Befreiungstheologen würden  sich grausend abwenden.

Will Regisseur Borgmann mit seinem bald heftig politisierenden, bald sich zwischen Religionsdogmatik und moderner Mediensatire verirrenden, völlig überladenen Theater das erklären? Was will er überhaupt?  Keine Ahnung. Am Ende wendet der Heilige sich von seiner früheren Gattin ab, die zuvor eiseskalte Päpstin geworden war, sich ihm zuletzt vergeblich nackend als Liebesdienerin anbietet. Worauf  den Paulus der Teufel holt. Vielleicht hülfe es zum Verständnis des Stückes, wäre man in Sachen Bibelexegese so kundig wie der bei der Premiere im Parkett sitzende Kardinal Lehmann.                                                                  Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck am 10. November 2009)


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