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2009-10-15 Buchkritik:

„Landesbühne“ von Siegfried Lenz:
Erzählen wider den Zeitgeist

Ein liebenswertes, utopisches Schelmenstück

 
ape. Eigentümliches Büchlein, 120 Seiten nur, darin ein Erzählen wie aus der Zeit gefallen: gemütlich, schlicht, klar. Eine kleine Geschichte bloß, auch die wie aus der Zeit gefallen. Vom Realismus-Standpunkt aus ist manches schief: Es fliehen Häftlinge mit dem fett gekennzeichneten LKW einer Landesbühne aus dem Gefängnis, feiern tagelang mitsamt LKW das Volksfest des Nachbarstädtchens mit, und bleiben dabei zwei Wochen unentdeckt. Dem Krimi-Fan sträuben sich die Haare über das, was für Siegfried Lenz als normal gelten darf.

Wie so oft in dessen Oeuvre, kommt es auch beim jüngsten Buch „Landesbühne“ nicht auf    Wahrscheinlichkeit an. Darin gleicht es Vorläufern wie zuletzt „Arnes Nachlass“ (1999), „Fundbüro“ (2003) oder „Schweigeminute“ (2008). Allesamt sind das literarische Bildnisse, Gleichnisse, Symbole. Wofür? Für Lenz' Bekenntnis zu Menschlichkeit, Herzenswärme, Innehalten, Beisichsein. Gelegentlich als gestrig gescholten, erweist sich das Werk des 83-Jährigen derart vor dem bewusstlosen Geschwindschritt der Gegenwart als widerständig.

Was haben die beiden Knastis Clemens und Hannes aneinander? Der eine inhaftiert, weil er als Professor studentischen Bettgenossinnen das Glück der Lust mit Bestnoten vergolten hat. Der andere dafür bestraft, dass er als falscher Polizist Schnellfahrer zur Kasse bat. Beide, und ein paar ebenso harmlose Mitganoven, fliehen mit besagtem LKW, als die Landesbühne im Gefängnis Isenbüttel ein Gastspiel gibt. Im nahen Grünau avancieren die Ausbrecher zu Ehrengästen des Nelkenfestes und hernach Pionieren der Kulturentwicklung in der Provinz: Clemens hält Vorträge, Hannes stellt ein Heimatmuseum auf die Beine.

Was sie aneinander haben? Sich. Der Gebildete und der Ungebildete als Menschen vereint hinter Gittern, vereint im Fluchtabenteuer, danach wieder vereint im Gefängnis. Wohin noch einmal die Landesbühne kommt, mit Beckets „Warten auf Godot“ den freiheitsdurstigen Hannes bis ins Innerste aufwühlt:  „Der Mann, der das geschrieben hat, wußte alles über mich, und wußte, was warten heißt ohne Hoffnung.“ Hannes lässt von einem weiteren geplanten Ausbruch ab, sagt: „Ich wollte dich nicht allein lassen, Clemens. (…) Jeder muss etwas aushalten. Mit dir ist es leichter, alles hier.“

„Landesbühne“ ist Schelmenstück, Märchen und Utopie in einem. Böse Menschen gibt es darin keine, höchstens unbedachte. Ein bisschen schrullig sind sie zumeist, so der Gefängnisdirektor, der Bürgermeister, die Konditorin, die Grünauer alle und die Ausbrecherkumpane sowieso. Jeder braucht nur einen kleinen Anstoß, um Freude an Kultur, Lust auf Gemeinschaft und Menschenliebe zu entwickeln. Denn Lenz' Personal wartet stets auf Godot, vergeblich zwar, aber wie Estragon und Wladimir in Beckets Stück oder Clemens und Hannes in diesem Buch mit dem Potenzial ausgestattet, sich gegenseitig Leben zu schenken.    Andreas Pecht

Siegfried Lenz: "Landesbühne"; Hoffmann und Campe, 120 Seiten, 17 Euro

weblink: www.hoffmann-und-campe.de

(Erstabdruck viertes Quartal  2009)

Siegfried Lenz, Landesbühne, Rezension
 
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