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2009-09-24 Kommentar/Analyse:

Scheinheilige Entrüstung des Bauernverbandes gegen Protestformen der Milchbauern - Die Agrarpolitik bräuchte längst einen Paradigmenwechsel

 

Überlebenskämpfe werden nicht mit Samthandschuhen geführt 

 
ape. Der ehrwürdige Deutsche Bauernverband (DBV) regt sich darüber auf, dass der Protest der deutschen Milchbauern in Wort und Tat ruppiger geworden ist. Er fordert die "Rückkehr zu einem gewaltfreien Streit mit der Politik und den Marktbeteiligten". Mal davon abgesehen, dass das demonstrative Wegschütten von am Markt fast wertlos gewordener Milch alles andere als ein Gewaltakt ist, selbst wenn es vor der Tür eines Mainzer Ministeriums geschieht und dem Minister Hering nebst Mitarbeitern sauer in die Nase steigt. Was glauben denn die Herrschaften Verbandsfunktionäre (und Ministers), worum es hier geht? Doch nicht um ein paar Groschen mehr oder weniger in ansonsten auskömmlich gefüllten Hofkassen. Es steht die Lebensgrundlage der meisten kleinen und mittleren Milchbauern auf dem Spiel.

 
Da stehen ein paar zehntausend Menschen mit dem Rücken zur Wand, stranguliert von Molkereien, Lebensmittelkonzernen, Handelsketten und den Mechanismen eines an industriellen und finanzkapitalistischen Maximen statt an agrarischen und ökologischen Notwendigkeiten orientierten Marktes. Drangsaliert von einer seit Jahrzehnten falschen Agrarpolitik der EU, der Bundesrepublik und auch des Bauernverbandes. Eigentlich verwundert es eher, dass die Milchbauern nicht längst den Knüppel aus dem Sack geholt oder Steine aufgehoben haben, dass sie nicht längst - dem Beispiel französcher Arbeiter folgend - einige Funktionäre festsetzten, ein paar Molkereien, Handelszentralen oder Ministerien mit Belagerung respektive "Sprengung" bedrohten.

Man schlage Menschen nur lange genug aufs Haupt, dann schlagen sie irgendwann zurück. Man bedrohe nur immer weiter die Existenz von Bauern und ihren Familien, dann verliert irgendwann selbst der brave deutsche Land-Michel seine Duldsamkeit. Überlebenskämpfe gehorchen nunmal  nicht der Etikette diplomatischer Stubenhockerei und den üblichen Konversationsregeln für das freundliche bis freundschaftliche Gesäusel zwischen Verbandsfunktionären, Politikern und Managern der Lebensmittelindustrie. Es ist doch kein Zufall, dass  just die Milchbauern dem Bauernverband von der Fahne gegangen sind, 1998 ihren eigenen Verein gegründet haben, der sich neulich dann gänzlich vom DBV losgesagt hat.

"Der Markt ist halt so. Man kann die traditionelle Landwirtschaft nicht dauerhaft mit Subventionen am Leben erhalten...". So das ewiggleiche Argument, mit dem seit bald zwei Generationen eine Welle des Bauernlegens (= Vernichtung der kleineren, "unrentablen" Höfe) auf die andere begründet wird. Quatsch! Tatsächlich protegiert die deutsche und europäische Agrarpolitik seit rund fünf Jahrzehnten den Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft hin zu immer größeren, spezialisierteren  Produktionseinheiten möglichst industriellen Zuschnitts. Nicht einen ernsthaften Gedanken hat die Agrarpolitik daran verschwendet, dass die Industrialisierung der Landwirtschaft und ihre Unterwerfung unter die entsprechenden Marktmechanismen womöglich den besonderen Bedingungen dieses Wirtschaftszweiges grundsätzlich widerspricht. Bedingungen, die sich wegen ihrer unmittelbaren Abhängigkeit von den Anforderungen der Natur, von denen aller anderen Wirtschaftszweige erheblich unterscheiden.

Das Beispiel Almwirtschaft mag zur Verdeutlichung genügen: Eine großagrarische, industrielle Almbewirtschaftung ist aufgrund der natürlichen Gegebenheiten und Erfordernisse ausgeschlossen; die auf den Almen in arbeitsintensiver Kleinwirtschaft erzeugten Produkte können auf dem allgemeinen Markt im Wettbewerb etwa mit den niedersächsischen Flachland-Großhöfen und Agrarfabriken niemals ihren eigentlichen Wert realisieren. Nach den Gesetzen des "normalen" Marktes müsste die Almwirtschaft deshalb auf Sicht dem Absterben überlassen bleiben - wie es auch mit den kleineren Höfen beispielsweise in den deutschen Mittelgebirgen geschehen ist und mit den mittelgroßen nun weiter geschieht. Wobei "klein" und "mittelgroß" heute sowieso etwas völlig anderes bedeutet als noch vor 15 Jahren: Heute gilt schon ein Hof mit 40 Stück Rindvieh als sehr klein, obwohl zu dessen Führung Technik für viele hunderttausend Euro vorgehalten werden muss.

Was aber, wenn am Ende dieser Entwicklung statt Bauernhöfen nur noch Landwirtschaftsindustrien übrig bleiben? Die Grundlage jeder Landwirtschaft (damit unser aller Versorgung), die Natur, ist auch und gerade für ihre dauerhafte gedeihliche Nutzung auf Kleinteiligkeit, Vielfalt, Langsamkeit, Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angwiesen. All diese Faktoren aber stehen im diametralen Gegensatz zu sämtlichen Handlungsmaximen industrieller Nutzung: Großflächigkeit, Spezialisierung, Schnelligkeit, kurzfristiger Kapitalumschlag, maximale Rendite. Das könnten schon seit vielen Jahren auch Agrarpolitiker und Verbände wissen. Sie müssen sich deshalb die Frage gefallen lassen: Warum in drei Gottes Namen habt ihr nicht beizeiten auf einen Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik hingearbeitet?

Denn was wir (und die Natur) tatsächlich brauchen, ist das gerade Gegenteil von immer weiter fortschreitender Konzentration in der Landwirtschaft: Wir brauchen den Erhalt und die systematische Förderung kleinerer und mittlerer Bauernhöfe, die multifunktionell an die Erfordernisse ihrer jeweiligen Natur-Umgebung angepasst sind. Sollte der "normale" Markt das nicht gewährleisten können, wäre ihm offen und ehrlich diesbezügliche Unbrauchbarkeit zu attestieren und teilweise oder vollständig die Macht über den Agrarsektor zu entziehen. Wenn schon heilige Kühe schlachten, dann bitte die richtigen.
                                                                                        Andreas Pecht


Falsche Agrarpolitik. Bauernverband meckert gegen Proteste der Milchbauern. 
 
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