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2009-09-19 Anmerkung:

Anlässlich des Starts der Intendanz Dietze am Theater Koblenz mit Alban Bergs Oper "Wozzeck"
 

Ein sehr ordentlicher Anfang
 
 
ape. In Dreispartentheatern wie dem Koblenzer gilt die Oper gemeinhin als Königsdisziplin. Im Regelfall verzeichnet sie je Produktion mehr Besucher als die Nachbarsparten Schauspiel und Ballett. Zumeist sind Operndproduktionen auch erheblich teurer als Arbeiten der anderen Bereiche. Was kein Vorwurf sein soll, rührt der höhere Finanzbedarf doch von der Natur der musiktheatratlischen Kunst selbst her: Zum eigentlichen Spielensemble kommen nunmal Orchester und vielfach Chor hinzu.

Es sei der Oper ihre Vorrangstellung gegönnt. Dem passionierten Schauspiel-Freund werden sie und das glückselige Schwärmen der Opern-Liebhaber dennoch wohl auf ewig ein bisschen rätselhaft bleiben. Weshalb diese Zeilen, bitteschön, auch nicht als reguläre Kritik verstanden werden sollen, sondern bloß als persönliche Anmerkungen eines Schauspiel- und Ballettfreaks, der sich des Überblicks über das Schaffen der neuen Koblenzer Intendanz wegen privatim in die ansonsten nicht allzu sehr geliebte Oper verirrt hat.

Selbstredend: Es gibt wunderschöne und herzergreifende Opernmusiken; es gibt auch ein paar im Hinblick auf menschlich-gesellschaftliche Inhalts- und Tiefendimensionen hochinteressante Opern; es gibt daneben Opern,  wo erst die Musik eher banalen Geschichtchen solche Tiefendimensionen einhaucht (manchmal umgekehrt); und es gibt immer wieder jene spannenden Fälle, in denen erst der interpretatorische Zugriff der Regie inhaltliche Relevanz jenseits bloßer Kulinarik herstellt. Letzteres bringt gewöhnlich einen größeren Teil der traditionellen, sagen wir besser: der traditionalistischen Theater-Fans in Rage - die, vor allem in der "Provinz" , nirgends zahlreicher und diesbezüglich aufregbarer sind als im Opernfach.

Im Falle von Alban Bergs Oper "Wozzeck" , die Gabriele Wiesmüller zum Start der neuen Intendanz von Markus Dietze am Stadttheater Koblenz inszeniert hat, liegt die Sache so: Das 1925 uraufgeführte Werk gilt zwar längst als bedeutender Klassiker der Moderne, gleichwohl sperrt es sich musikalisch anhaltend gegen eine kulinarisch orientierte Rezeptionsweise. Schwelgen in Schönklang, Arienherzigkeit und Melodienseligkeit fallen weg. "Interessant" lautete denn auch das häufigste Urteil über die Musik bei den angesprochenen Premierenbesuchern. Akzeptanzprobleme beim traditionalistischen Teil der Abonnenten sind nachfolgend abzusehen. Was keineswegs gegen die Aufnahme dieser Oper in den Spielplan spricht, sondern eher die Frage aufwirft: Warum ist das hiesige Publikum nicht längst mit den Schwergewichten der  Opernmoderne vertraut gemacht worden?  

Wie war nun die Eröffnungspremiere in Koblenz? Mir hat sie zuerst einmal viele, sehr viele Fragezeichen mit auf den Heimweg gegeben - Unsicherheiten, Grübelstoff, Reibungsflächen. Und das ist gleich ein dicker Pluspunkt. Denn Theater, das einen leer und gleichgültig oder abgefüllt und gleichgültig entlässt, interessiert mich nicht. Eine der Fragen lautet: Wozu braucht Büchners geniales "Woyzeck"-Dramenfragment überhaupt eine musiktheatralische Adaption? Welche zusätzlichen oder anderen Bedeutungsebenen erschließen sich dem Drama in der Opernform? Was drücken Musik und Gesang aus, das in gut gemachten Sprechtheater-Umsetzungen nicht ausgedrückt werden könnte?

Für die meisten Opernfans wird die bloße Fragestellung kaum nachvollziehbar sein, weil für sie die Oper generell ein (Kunst-)Wert an sich darstellt. Dem sei beigepflichtet - solange es sich nicht um die Veroperung eines ureigentlichen Kunstwerkes fürs Sprechtheater (oder auch die Literatur, das Ballett, die Malerei , die sinfonische Musik) handelt. Hinsichtlich des "Wozzeck"  und seiner jetzigen Koblenzer Ausführung arbeitet es folglich noch in mir.

Festhalten lässt sich schonmal dies: In Gabriele Wiesmüllers Inszenierung geht kaum etwas von Büchners Essenz verloren - sieht man einmal davon ab, dass vor allem anfangs die Verständlichkeit des gesungenen Textes etwas zu wünschen übrig ließ (das Orchester war in Relation halt doch recht laut). Da war im Vorteil, wer seinen Büchner im Kopf hat. Festhalten lässt sich ferner: Michael Mrosek und Astrid von Feder sind treffliche Besetzungen für Wozzeck und Marie; sie haben nicht nur prima  gesungen, sondern insbesondere in den intimen Szenen zum Schluss hin auch eine intensive schauspielerische Leistung abgeliefert - eine, die sich deutlich von jenem dem Schauspielfreund sonst oft unangenehm aufstoßenden Manierismusspiel auf Opernbühnen abhob.

Vielleicht hätte Wiesmüller mehr auf dieses darstellerische Potenzial setzen sollen und dafür am Kulissengeschiebe etwas sparen. Zwar wurde hier nicht der gefälligen Kurzweil wegen ständig umgebaut, vielmehr lag jedem Umbau eine Idee, ein Gedanke, eine Logik zugrunde. Aber die gedrängte Fülle der allweil wechselnden und jeweils mit eigenem Hintersinn ausgestatteten Bilder war denn doch überreichlich. Zu reichlich und zu schnell für den nachsinnenden , Bedeutung ergründen wollenden Betrachter.

Die Bewertung der übrigen, opernspezifischen Aspekte  überlasse ich dem Kollegen Opernkritiker. Er mag die Chorführung, die Korrespondenz zwischen Orchestergraben und Bühne unter Enrico Delamboyes Dirigat, die solistischen Sangesleistungen und die Stellung dieser Opernarbeit im größeren Opernweltvergleich nähers beurteilen. Für mich - der ich dieser Sparte nicht mit Haut und Haar verschrieben bin, der ich ihr spartenimmantes Verweis-, Bezeichnungs- und Symbolsystem  bisweilen recht befremdlich finde und auch nicht aus dem Effeff beherrsche - ist der Koblenzer "Wozzeck"  in summa eine sehr ordentliche, offenkundig wohl durchdachte, interessante, eben eine geistanregende Arbeit. Mithin ein formidabler Anfang. 
                                                                                                             Andreas Pecht
 
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