Thema Politik
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2009-09-03 Leserzuschrift:

Über Landtagswahlen 09
und geringe Wahlbeteiligung
 

 
KLOCK. Sehr geehrter Herr Pecht 


Die Entrüstung über die Politiker und deren Kommentare nach der Wahl auf Ihrer Homepage ist berechtigt. Auch die Daten von Herrn Dr. Steinbrecher legen Ihre Schlüsse nahe. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass zwar seine Ausführungen für die Bundespolitik stimmen mögen, aber damit für die Wahlmüdigkeit auf kommunaler Ebene immer noch keine schlüssige Erklärung gegeben ist. Dem hat er zugestimmt. In unserem sogenannten Großdorf, dass angeblich mit seinen 21000 Einwohner gesellschaftlichen GFK-Charakter hat,  betrug die Kommunal-Wahlbeteiligung am 7.6.09 nur 44 %. In den 5 Jahren zuvor gab es zwischen allen Parteien erhebliche dauerhafte Auseinandersetzungen. Die Orts-Themen sollten also hinlänglich bekannt gewesen sein. Die Stimmung war aufgeheizt. Die örtliche Presse hat tatkräftig mitgeholfen. Informationsmaterial wurde reichlich verteilt. Und dennoch das Desinteresse von 56% am dörflichen Geschehen. In den Gesprächen mit den Bürgern war festzustellen, dass ein Großteil von ihnen, auch von denen die vorgaben, auf jeden Fall zur Wahl zu gehen, nur wenig Kenntnis von den Problemen in ihrem Dorf hatten.

 

Bei der Verteilung von Druckschriften konnten wir durch die Markierungsaufkleber der Zeitungsausträger sehen, dass nur jedes 2. Einfamilienhaus die Tagezeitung bezieht. In Wohnblocks 25–30% . Die örtliche Rheinpfalz bestätigte, dass für kleinere Dörfer die Haushaltsquote ca. 50 % beträgt. In den Städten nicht einmal 30 %. Immigrantenhaushalte waren zu höchsten 1-2% mit dem Verteilungsmarker gekennzeichnet. Aber auch von den Mitgliedern der beziehenden Haushalte ist nicht auszugehen, dass bei allen Haushaltsmitgliedern mit dem Bezug ein die Wahlen beeinflussender intensiverer Informationskonsum verbunden ist. Nach überschlägigen Schätzungen ist eher davon auszugehen dass maximal 20-25 der wählenden Bevölkerung über ein ausreichendes Wissen verfügt, dass eine fundierte Wahl zulässt. Auf jeden Fall, die angebliche bundesrepublikanische Politikverdrossenheit kann ja wohl auf dörflicher Ebene nicht als Ursache für die geringe Wahlbeteilung und das Desinteresse für Hintergrundinformation herhalten. Man kann das beklagen oder als Zustimmung einordnen. Ich habe eine andere Erklärung.

 

Die Berichterstattung nach den Landtagswahlen hat die kommunalen NRW-Ergebnisse nicht beachtet. Aber waren etwa doch die Kommunalwahlen in NRW mit den daraus abzuleitenden Schlüssen wichtiger als die Skiunfall-Wahl in Thüringen oder die Lafontaine-Wahl an der Saar? Die CDU hat in zwei Ländern die Landtagswahl verloren, in Sachsen aber gewonnen. Zweifellos. Die SPD hat aus niedrigem Niveau an der Saar gewonnen, sich in Thüringen gehalten und in Sachsen nichts gewonnen. Und was ist in NRW? Dort haben beide Volksparteien zusammen nach 75 % nur noch 68 % kommunalen Rückhalt. Die SPD ist nach ihren früheren grandiosen Zahlen von weit über 50 % jetzt sogar unter die 30 %-Marke gefallen. Man kann ja wohl im Ernst kaum davon ausgehen, dass in allen NRW-Kommunen sowohl SPD als auch CDU im Gleichschritt Fehler gemacht haben, die zum Rückgang der allgemeinen Anerkennung geführt haben. Es muß also, ähnlich wie bei uns, einen anderen Grund geben. An den Ergebnissen in den Städten sieht man, dass das Ruhrgebiet wieder roter geworden ist, aber am Gesamtergebnis sieht man, dass die Bevölkerung den beiden Volksparteien immer weniger zutraut. Könnte es etwa doch sein, dass die kommunalen Leistungen der Parteien nicht mehr so vorrangig der Maßstab für die NRW-Wahl, sondern dass andere Gründe für die Ergebnisse entscheidend waren? Zeigt sich an der Wahl in NRW etwa doch, dass besonders in den Städten die von einigen Kommentatoren prophezeite Teilung der Gesellschaft schon weiter fortgeschritten ist, als es die Parteien wahr haben wollen?

 

Von den Kritikern hört man allenthalben das Schlagetot-Argument der berechtigten allgemeinen Politikverdrossenheit. Ist das Argument in vollem Umfang schlüssig? Selbstverständlich haben Politik und Wirtschaft hierfür genügend Argumente geliefert. Aber genauso sicher ist auch, dass sich die Diskussionen in der Bevölkerung über Politik an den Minimal-Inhalten der Privat-TV-Sender orientieren. Wenn man außerdem bedenkt, dass die Tageszeitungen als wichtigstes flächendeckendes Informationsmedium ständig an Auflagen verlieren und die Bereitschaft zur Aufnahme von Hintergrundinformationen sinkt, drängt sich eine andere und zusätzliche Erklärung für die Verdrossenheit auf. Wissen setzt Fleiß und Aufnahmebereitschaft voraus. Ist beides nicht oder immer weniger gegeben, erkennt der mündige Bürger, dass ihm möglicherweise für Wahlentscheidungen das notwendige Wissen fehlt. Und dieses Eingeständnis, sei es klar erkannt oder im Unterbewusstsein zielführend, ist verdrießlich bis hin zur persönlichen Verdrossenheit. Dies zuzugeben dürfte am schwierigsten sein. Da ist es doch vielfach besser, bei Anderen die Schuld zu suchen.

 

Diese Argumentation soll beileibe kein Alibi für die Funktionärskaste sein. Stimmen aber meine Argumente und ist tatsächlich der Fortbestand einer funktionierenden Demokratie von der Bereitschaft der Wähler abhängig, die für Wahlen unablässigen Informationen zu speichern, dann ist die langfristige Stabilität unserer Demokratie ein echtes PISA-Problem. Haben wir in der Masse Schönwetterdemokraten, die für ihr Wahlverhalten das tägliche Kotelett als Maßstab haben? Oder können wir künftig von Allwetterdemokraten ausgehen, für die auch das Paradies in einer Generation als Maßstab ihrer Wahlentscheidungen gilt? Auf jeden Fall, belastbare Einsichten in unabänderliche mittelfristige Gegebenheiten und deren langfristige positive Veränderungen sind nur mit Wissen und Toleranz möglich. Wird das möglich sein?

Mit freundlichen Grüßen
KLOCK

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