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2009-08-27 Sachbuchkritik/Essay:

Rüdiger Safranskis Buch über „Goethe & Schiller“ motiviert auch Gedanken über Beziehungskultur heute  


 
In tätiger Freundschaft eng verbunden

 
ape. Freundschaft. Ein großes Wort. Nächst der Liebe das größte, um eine besondere Beziehung zwischen zwei Menschen zu bezeichnen. Eine, die Zuneigung und Vertrauen, Miteinander und Füreinander über den Tag hinaus umfasst, auch den Widrigkeiten des Lebens trotzt. Freunde, so die Forderung der Romantik, mögen einander um ihrer selbst willen verbunden sein, nicht des gegenseitigen Nutzens oder niederer Zwecke wegen.

Diese Forderung ist Ideal bis in die Gegenwart geblieben, wenigstens während besinnlicher Momente und besonnener Stunden. Draußen indes, im geschwinden Trubel medialer Berauschung und dauerkommunikativen Gezwitschers feiern Freundschaft und Liebe ein Dasein als wohlfeiles Kurzweilphänomen: Wer oft anruft oder simst, ist Freund; Liebe geht, wie im Nachtprogramm geturnt und in Abendserien gegaukelt. Doch irgendwann schwant einem, Novela-Flut und Telefonitis könnten auch verzweifelte Versuche sein, vorzutäuschen, was fehlt, verloren gegangen ist oder nie da war: echte Freundschaft, wahre Liebe.

Vor diesem Hintergrund verführt die Lektüre von Rüdiger Safranskis neuem Buch immer wieder auch  zum Nachdenken darüber, was Freundschaft heute ist, nicht mehr ist oder vielleicht doch sein könnte. Safranski nämlich nimmt eine spezielle Freundschaft in Augenschein, die im Bildungskanon deutscher Kulturgeschichte als legendär geführt wird: diejenige zwischen Goethe und Schiller, den Dioskuren der Weimarer Klassik. Gut zehn Jahre lang wirkten sie um die Wende zum 19. Jahrhundert gemeinsam von Jena und Weimar aus auf das Geistes- und Kulturleben Deutschlands ein. In dieser Zeit schufen sie viele jener Werke, die sich auf der Bühne, im Bücherregal und im kollektiven Kulturgedächtnis der Nachwelt verewigt haben.

Wer glaubte, Goethe und Schiller könnten im romantischen Sinne als selbstloses Freundschafts-Beispiel par excellence dienen, muss sich belehren lassen. Nicht nur, dass die beiden lange misstrauisch bis missgünstig umeinander schlichen, bevor ihr Freundesbund begründet wurde. Schiller verehrte den zehn Jahre älteren Goethe seit Jugendtagen, neidete jedoch anfangs dem berühmten Autor des „Werther“ und „Götz von Berlichingen“ das „mühelose“ Genie und die saturierte Stellung am herzoglichen Hof zu Weimar. Goethe andererseits irritierte das Schwärmen der Gesellschaft über Schillers „Räuber“, ein Stück des stellungslosen freien Schreibers, dessen Furor er nicht leiden konnte.

In Naturell und Denkart waren die beiden Klassiker sehr verschieden. Schiller ein gern theoretisierender, systematisierender, analytischer, aber gleichwohl ungestümer und bisweilen radikaler  Geist.  Goethe das schiere Gegenteil: Der dichtende Geheimrat tritt der Welt eher als fühlender Empiriker gegenüber; indes mag er es nicht, wenn mit Verve allzu sehr an der Ordnung der Dinge und Verhältnisse gerüttelt wird.

Und doch, vielmehr: eben deshalb, kommen die beiden zueinander. „Fahren Sie fort, mich mit meinem eigenen Werke bekannt zu machen“, schreibt Goethe an Schiller. Betrachtungen der eigenen Arbeit, auch kritische, aus dem ganz anderen Blickwinkel des Gegenübers, inspirieren das Schaffen wechselseitig. Goethe und Schiller arbeiten einander zu; der eine öffnet dem anderen unbekannte Horizonte, und gemeinsam treiben sie ihre Werke auf die Höhen des klassischen Kunstideals.

Oft, zeitweise täglich, sitzen die Männer in Jena und später in Weimar bis in die tiefe Nacht beisammen, arbeitend, diskutierend, streitend. Nicht selten werden sie miteinander oder gegeneinander so laut, dass es auf die Straßen schallt. In einem mit Genuss zu lesenden gepflegten und ausdrucksstarken Deutsch erhellt Safranski auf wunderbar verständliche Weise den Kern manch kunstphilosophischer Erörterung der beiden. Er skizziert, wie Schiller etwa auf Goethes Arbeit am „Wilhelm Meister“ Einfluss nimmt; wie umgekehrt Goethe produktiven Anteil hat an der Entstehung von „Wallenstein“, „Maria Stuart“, der „Jungfrau von Orleans“ oder „Wilhelm Tell“. Wie sie sich gegenseitig zur Balladendichtung anstacheln oder mit den gemeinsamen „Xenien“ spottend über die Literatur- und Geistesszene ihrer Zeit herfallen.

Ja, diese Freundschaft lebt vom „Nutzen“, den die so gegensätzlichen Freunde voneinander und der Freude, die sie aneinander haben. Nutzen freilich in einem ganz anderen Sinn als dem heutigen: Goethe und Schiller ist die Freundschaft lebenswichtiges Vehikel für die geistige Durchdringung der Welt, für die Reifung ihrer eigenen Werke und Persönlichkeiten.

So oft sie Auge in Auge miteinander disputierten, wechselten sie trotzdem ständig Briefe, in Weimar auch von einem Haus zum nahe gelegenen andern. 200 Jahre später würden sie eifrig E-Mails austauschen und miteinander telefonieren. Die SMS-Technik indes wäre wohl kaum ihre Sache in diesem Diskurs: Keiner ihrer Gedanken, lässt sich auf solche  Kürze schinden. Selbst Schillers häufige Bitte an Goethe, seiner Krankheit wegen diesmal von einem Besuch Abstand zu nehmen, könnte in ordentlicher Sprache per SMS nicht übermittelt werden. Erst recht nicht Goethes Antwort: Er hielt respektvoll Stille - und schickte Schiller einen Braten.                          Andreas Pecht

Rüdiger Safranski: Goethe & Schiller – Geschichte einer Freundschaft. Hanser, 343 S., 21,50 Euro            
 

(Erstabdruck einer etwas kürzeren Version 36. Woche im September 2009)
 
 
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