Thema Menschen / Initiativen
Thema Kultur / Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2009-08-26 Porträt:

Walter Ullrich zieht mit Bühnenhandwerk alter Schule seit 30 Jahren Publikum ins Schlosstheater Neuwied

 

Dienstältester Intendant der Republik im kleinsten öffentlichen Theater des Landes

 
ape. Neuwied. Es ist in Rheinland-Pfalz das kleinste Theater in Öffentlicher Hand: die Landesbühne Rheinland-Pfalz im Schlosstheater Neuwied. Wobei „in Öffentlicher Hand“ die Sache nicht ganz trifft, weil offizieller Träger des Theaters eine Stiftung ist, es zugleich aber das Gros seiner Zuschüsse aus Landes- und Kommunalmitteln bezieht. Der etwas umständliche Name setzt sich aus den Bezeichnungen für die Institution sowie für dessen lokales Stammhaus zusammen. Dieses Haus verfügt über 287 Plätze, hat kein festes Ensemble, bringt im Hauptprogramm neun Produktionen pro Spielzeit auf die Bühne. Davon werden sieben in eigener Regie mit Gastschauspielern auf die Beine gestellt, die beiden andern fertig eingekauft. Dazu kommen Einzelgastspiele, ein fünf Stücke umfassendes Kindertheater-Angebot sowie ein  Studioprogramm für junge Leute mit vier Abenden. Grob gerechnet geht der Vorhang für 150 Vorstellungen im Jahr auf, was dieses Theater zu einem maßgeblichen kulturellen Standortfaktor in Neuwied macht.
 
DDas Schlosstheater ist von außen Teil des historischen Schlosses der Wied'schen Fürsten, im Innern herrscht 1970er-Stil mit Beton-Treppenhaus und schnörkellosem Zuschauerraum. Dieses Theater stellt gewissermaßen die Hinterlassenschaft einer Rettungsaktion dar, zu der sich Mitte der 1970er örtliche Honoratioren zusammengetan hatten. Damals läutete der vorherigen Landesbühne das Totenglöckchen. Damit Neuwied nicht ohne Theaterkunst dahinvegetieren müsse, gründeten Bürger eine Theaterstiftung: Sie mietete den Schlosstrakt an, in den nachher das neue Theater hineingebaut wurde, sie mobilisierte Zuschüsse, sie ergriff die Initiative für ein professionelles Theatergeschehen. Kurzum: Die Stiftung wurde Kern und Treibsatz für einen inzwischen mehr als 30 Jahre währenden regulären Bühnenbetrieb.

Gesprächstermin im „Kleinen Theater Bad Godesberg“. Dort treffe ich dessen Direktor, den 78-jährigen Walter Ullrich. Seit 51 Jahren leitet er das 161 Besucher fassende Privattheater mitten im Stadtpark.  Als er dort 1958 seinen Dienst antrat, war er der jüngste Bühnenchef Deutschlands. Heute ist Ullrich der mit Abstand dienstälteste. Was hat dieser Walter Ullrich und sein Kleines Theater Bad Godesberg in einem Artikel über das Schlosstheater Neuwied zu suchen? Nun, in der Multifunktion als Schauspieler, Regisseur, Intendant und quasi operativer Gesamtchef steht der Mann jetzt seit 30 Jahren zugleich in Neuwieder Theaterdiensten.

Gespräche mit Ullrich haben immer auch eine starke wirtschaftliche Komponente. Was zwangsläufig ist bei einem Theaterleiter, der zwei Häusern vorsteht, die finanziell nicht eben opulent ausgestattet sind. Nur 1,78 Millionen Euro beträgt das Gesamtbudget der Landesbühne im Neuwieder Schlosstheater. 62 Prozent davon spielt die Bühne selbst ein – im Vergleich mit anderen Theatern ein gigantischer Anteil, auf den Ullrich stets mit Stolz verweist. Wie auch auf die mehr als 3500 Abonnenten in Neuwied, die die Platzkapazitäten des Hauses beinahe alleine ausschöpfen. „Als ich 1979 in Neuwied begann, waren es gerade mal 80 Abos“ erinnert sich Ullrich. Zuschüsse kommen vom Land Rheinland-Pfalz (593 000), von der Stadt Neuwied (110 000), von Kreis und Zweckverband sowie Sponsoren.

Die Zuwendungen der Öffentlichen Hand, gibt Ullrich zu bedenken, sind allerdings großenteils an eine Bedingung geknüpft, die für alle elf Landesbühnen in Deutschland gilt: 51 Prozent der Vorstellungen müssen außerhalb des Stammhauses im Tournee- und Gastspielbetrieb gegeben werden. D.h. nachdem die Produktionen daheim abgespielt sind, gehen sie auf Reisen quer durch die Republik. Ein zusehends schwierigeres Geschäft angesichts klammer Haushalte bei den kleineren Kommunen. Da ist die „Brüderschaft“ zwischen Ullrichs zwei Theatern hilfreich: Aufführungen von Neuwieder Produktionen in Bad Godesberg zählen als Auswärtsgastspiele, was die Anzahl weiter Gastspielreisen etwas reduziert. Lastwagen und Bus aus Neuwied sind dennoch ziemlich häufig zwischen Württemberg und Niedersachsen unterwegs.

 Ob ohne die mannigfachen Synergieeffekte aus der faktischen Neuwied-Godesberg-Kooperative die Landesbühne im Schlosstheater überhaupt überleben könnte, ist eine der Fragen für die Zeit nach Ullrich. Zwar denkt der Bühnenprinzipal alter Schule noch nicht konkret ans Aufhören. Doch das Leben geht auch an diesem selbstbewussten, kantigen, meist kraftvoll wirkenden Mannsbild nicht spurlos vorüber. Weshalb „ich gerne eine gute rechte Hand hätte; einen, der Kunst und Geschäft gleichermaßen kann“. Gefunden hat er den passenden Kandidaten bislang nicht.       
 
Anlässlich von Ullrichs 75. Geburtstag und seines 60-jährigen Bühnenjubiläums 2006 schrieb der Autor an anderer Stelle: „Manchmal sind Besuche im Schlosstheater Neuwied wie Reisen in eine vergangene Theaterwelt. Hier wird bisweilen gespielt, als sei das Regietheater nie erfunden worden, stehe die Entwicklung des absurden Theaters erst noch bevor und handle es sich bei den andernorts allfälligen Neuinterpretationen der Klassiker um einen Irrweg der Bühnenkunst.“ Will sagen: Dieses Theater ist kein Ort revolutionärer Kunstexperimente, ästhetischen Furors und das Publikum herausfordernder Innovationen. Das Programm ist populär, setzt auf eine Mischung aus leichter Unterhaltung und klassischer Erbauung. Gepflegt wird überwiegend traditionell-konventionelles Theaterhandwerk, ordentlich und ambitioniert – so wie es mit den bescheidenen Mitteln im Gästebetrieb eben möglich ist.

Die neue, am 3. September beginnende Saison bringt ein Krimistück von Hitchcock, eine Heinz-Erhardt-Revue, eine 70er-Schlagerrevue, drei leichte Komödien sowie in der Inszenierung von Manfred Molitorsz das Volksstück vom „Brandner Kaspar“. In Friedrich Schillers 250. Geburtsjahr kommen zwei Stücke des Jubilars auf die Bühne: „Wallenstein“ und das Märchenspiel „Turandot – Prinzessin von China“. Einer der seltenen Ausflüge zur ernsten Dramatik des 20. Jahrhunderts steht mit Federico Garcia Lorcas Tragödie „Bluthochzeit“ von 1933 auf dem Plan. Und Walter Ullrich wird einmal mehr kräftig auf der Bühne mittun: Er spielt den Wallenstein, übernimmt bei zwei Komödien Hauptrolle und Regie. So wird fernab der großen Bühnenbetriebe und Kunstdiskurse im kleinsten öffentlichen Theater von Rheinland-Pfalz verlässlich und nach bestem Vermögen ein bodenständiges Kulturbedürfnis bedient. Das ist viel in unsrer Zeit, auch wenn sich der Kritiker naturgemäß mehr wünschen mag.                                               Andreas Pecht
         
Infos: Tel. 02631/22288;
 www.schlosstheater-neuwied.de;
 



(Erstabdruck 35. Woche im August 2009)
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken