Thema Politik
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2009-06-22 Analyse:

Zur Lage im Iran

 

Angezähltes Regime schlägt um sich,  das Volk ist zu tief gespalten
 
ape.  Ein Volk kämpft um seine Freiheit – und Demokraten ebenso wie in Unfreiheit lebende Menschen fiebern weltweit mit, drücken die Daumen, bangen angesichts aktueller staatlicher Brutalität um Erfolg und Leben von Demonstranten in Teheran und anderen iranischen Städten. Groß wäre die Freude, würde das rigide Regime unter den Protesten zusammenbrechen wie unlängst manche Diktatur in Osteuropa. Verschwände zugleich der Hetzer Ahmadineschad von der Kommandobrücke des Iran, würde ihm das Gros der internationalen Gemeinschaft auch keine Träne nachweinen.


Der Wunsch nach Freiheit für das Volk des Iran ist eine Sache, die realen Bedingungen für seine Erfüllung sind jedoch eine ganz andere. Denn, leider, liegen die iranischen Verhältnisse   komplizierter, als der schöne Satz „ein Volk kämpft um seine Freiheit“ suggeriert. Die derzeitige Front im Iran verläuft nicht einfach zwischen Bevölkerung auf der einen und Obrigkeit nebst nutznießendem Establishment auf der anderen Seite. Zwar besteht kein Zweifel mehr, dass die jüngste Wahl dort verfälscht wurde. Selbst der oberste Wächterrat räumte eben ein, dass drei Millionen Stimmzettel zuviel in den Urnen landeten. Daraus allerdings zu schließen, die Machthaber hätten mit Wahlmanipulationen eine verlorene in eine gewonnene Wahl verwandelt, ist zumindest voreilig.

Umfragen im Iran signalisierten bis wenige Wochen vor der Wahl eine deutliche Mehrheit für Ahmadineschad, sprachen während der letzten Tage vor dem Wahlgang immerhin noch von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Präsidenten und Oppositionsführer Mussawi. Es muss davon ausgegangen werden, dass Zustimmung für die bisherige Regierung oder Duldsamkeit ihr gegenüber im Volk noch immer beträchtlich sind, im ungünstigsten Fall sogar mehrheitsfähig. Die Nachrichten dieser Tage verweisen auf ein zutiefst gespaltenes Volk – dessen reformwilliger Teil vom Machtapparat brutal drangsaliert wird, dessen anderer Teil dem zustimmt oder gleichgültig bis frustriert zuschaut. Weshalb sich die iranische Nation zusehends gefährlich nahe am Rande eines Bürgerkrieges bewegt.

Beide Lager sind keineswegs in sich geschlossene Formationen mit je einheitlicher Zielsetzung. Völlig falsch liegt, wer die demonstrierende Opposition schlicht für eine prowestliche    Volksbewegung hält. Ebenso falsch liegt, wer sie reduziert auf die Reformziele ihrer Galionsfigur Mussawi. Der einstige Chomeini-Mitkämpfer und zweimalige Ministerpräsident des  Iran ist –  wie der andere prominente Reformer Hashemi Rafsandschani auch –  im Prinzip ein konservativer Mullah. Ihm geht es um die Bewahrung ursprünglicher Werte der islamischen Revolution und die Stabilität der Islamischen Republik. Beides sehen Mussawi und Rafsandschani  durch die dilettanische Wirtschafts- und mutwillige Außenpolitik gefährdet, die der Heißsporn Ahmadineschad mit Zustimmung eines Teils des Klerus betreibt.

Die jetzige Oppositionsbewegung im Iran besteht aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher  Strömungen: von Nachkömmlingen der einstigen Volksmudschaheddin über weltoffene, nach Freiheit und Modernität dürstende Kinder der Mittelschicht bis hin zu zahlreichen gemäßigten Chomeinisten oder einfach Menschen, die in soziale Perspektivlosigkeit getrieben wurden. Sie alle eint im Augenblick als Minimalkonsens: Der Gedanke, dass es mit dem Iran nicht weiter gehen kann wie bisher, und der Zorn darüber, dass die Machthaber die Wahlen gefälscht haben. Dass der Iran ein muslimisches Land bleiben soll, wird dabei übrigens von niemandem angezweifelt.

Ähnlich uneinheitlich das Bild auf der Gegenseite. Es wäre gänzlich verfehlt, Ahmadineschad als Marionette eines homogenen Kleriker-Regiments zu sehen. Nicht wenige der Großajatollahs begegnen dem hemdsärmeligen Präsidenten, der sich gern als selbstloser Tribun der muslimischen Massen aufführt, mit Skepsis, ja  Abneigung. Andere Geistliche protegieren diesen – 2005 vor allem mit Unterstützung der Landbevölkerung, der Basaris (Kleinhändler) und der Pasdaran ins Präsidentenamt gehievten – Mann als Garanten der islamischen Revolution sowie ihrer eigenen Stellung. Wer da gerade was zu sagen hat, wer gegen wen opponiert, intrigiert oder putscht ist im iranischen Machtgefüge ähnlich schwer zu durchschauen wie früher im Moskauer Politbüro. Vieles deutet zurzeit darauf hin, dass die Proteste in der Bevölkerung die Widersprüche hinter den Kulissen kräftig anheizen. Wobei im dortigen Machtkampf  augenblicklich wohl der an den Schalthebeln des Staatsapparates sitzende Ahmadineschad die, im Wortsinn, schlagkräftigeren Truppen ins Feld führen kann.

Offen ist, ob Ali Chamenei, höchster politischer und religiöser Führer im Iran, den Präsidenten noch im Griff hat. Oder ob inzwischen nicht umgekehrt Chamenei nach der Pfeife von Ahmadineschad tanzt. Entscheidend für den weiteren Gang der Dinge im Iran ist aber eine ganz andere Frage, und die hat vor allem mit Sozialfaktoren zu tun: Gelingt es Ahmadineschad, den ihn bis dato noch stützenden Teil der Bauern, Kleinhändler,  Arbeiter und Revolutionsveteranen bei der Stange zu halten? Armut, Mangelversorgung, soziales Gefälle und Perspektivlosigkeit wachsen stetig in der schnell sich verjüngenden Gesellschaft Irans. Wenn das Regime diese Probleme nicht in den Griff bekommt, werden ihm religiöse Inbrunst, Repression nach innen und außenpolitische Abenteuer auf Dauer kaum helfen.

Weil Ahmadineschad das ahnt oder weiß, verteilte er reichlich Wahlgeschenke an einfache Leute. Warum ließ er dann auch noch die Wahlen manipulieren? Mag sein, er war sich des Sieges nicht sicher. Vor allem aber: Der Präsident brauchte ad hoc innen- wie außenpolitisch den öffentliche Eindruck, das iranische Volk stehe in übergroßer Mehrheit hinter ihm. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen, selbst ein gewonnenes, hätte seine Stellung beträchtlich geschwächt. Der Schuss ging nach hinten los. Selbst wenn jetzt mit brachialer Gewalt Friedhofsruhe erzwungen würde: Die Iraner haben gespürt und die Welt hat gesehen, dass es auch einen anderen Iran gibt und dass das jetzt herrschende  Regime auf wackligen Beinen steht. Alles weitere hängt in erster Linie vom iranischen Volk selbst ab.                                          Andreas Pecht 
   

(Erstabdruck am 24. Juni 2009)

Iran, Wahl, Proteste, Staatsterror, Ahmadineschad, Mussawi, Analyse
 
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