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2009-05-27b Analyse/Kommentar:

Zur Diskussion um den Fall Kurras/Ohnesorg
 

Die Geschichte der 68er muss nicht
neu geschrieben werden
 
ape. Eine alte Stasi-Akte fördert überraschend zu Tage: Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, war ein Spion im Dienste der DDR. Nun wird mit Verve diskutiert: Muss aufgrund dieser Erkenntnis die Geschichte der Bundesrepublik, insbesondere das Kapitel „68er-Bewegung“ neu geschrieben werden?


Der Schuss von 1967 hat sich im Bewusstein des Landes als historischer Wendepunkt festgesetzt, der aus bescheidenen Studentenprotesten einen rabiaten Generationenkonflikt machte. Die Tötung Ohnesorgs durch den Westberliner Polizisten Kurras wurde von den Studenten als Beweis für den „reaktionären Charakter der BRD“ aufgefasst. Folge: Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) erhielt gewaltigen Zulauf, die antiautoritäre Bewegung radikalisierte sich.

42 Jahre später kommt heraus: Kurras war ein DDR-Spion. Das wirft unvermeidliche Fragen auf: War er ein Agent provocateur, der im Auftrag der Stasi die Proteste anheizen sollte? War am Ende die 68er-Bewegung überhaupt nur ein von der DDR gesteuertes Phänomen? Oder: Hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, wäre damals bekannt geworden, dass Kurras für die DDR arbeitet? (Nein, denn jeder in der Studentenbewegung hätte bloß an einen verlogenen Trick der West-Behörden geglaubt). Oder: Hätte es die 68er vielleicht gar nicht gegeben, wäre Kurras beizeiten enttarnt und der Student nicht erschossen worden?

Je näher man der Akte tritt, umso wahrscheinlicher wird, dass Kurras aus eigenem Antrieb, nicht auf Stasi-Befehl schoss. Der Mann war ein schießwütiger Waffennarr und ein ordnungsfanatischer Biedermann, den das antiautoritäre Aufbegehren in Rage versetzte. Ein Typus, wie er im Westen und im Osten gleichermaßen anzutreffen war. Zudem: Als Spion in der Westberliner Polizei war er für die DDR überaus wertvoll, die Tat vom 2. Juni aber machte ihn als Informant völlig nutzlos. Dass die SED die Studentenbewegung vielfach infiltrierte und für ihre Zwecke zu gebrauchen suchte, ist lange bekannt. Ebenso dokumentiert ist aber auch, wie sehr die DDR-Führung von deren antiautoritärem Charakter  abgestoßen war, und wie sehr sie ein Übergreifen auf die Jugend im eigenen Staat gefürchtet hat.

Wann immer hierzulande die Theorie von der „fremdgesteuerten“ Revolte bemüht wird, schwingt ein konservativer Verdrängungswunsch mit: Die eigenen Kinder mögen nur Verführte gewesen sein und nicht aus eigener Überzeugung aufbegehrt haben. Eine historische Fehleinschätzung, die verkennt, dass für einen Wandel der verknöcherten Nachkriegsgesellschaft die Zeit einfach reif war. Weshalb auch die Tötung von Ohnesorg die Entwicklung der Protestbewegung damals zwar beschleunigt, aber keineswegs verursacht hat.

Wäre es nicht dieser Tropfen gewesen, ein anderer hätte das randvolle Fass zum Überlaufen gebracht. Ohnesorg mag ein Katalysator gewesen sein. Für den generellen Gang der Historie war sein Tod indes so wenig ursächlich wie das Attentat von Sarajevo für den ersten Weltkrieg oder der Kanzleramtsspion Guillaume für das Ende der Ära Brandt. Denn Geschichte besteht aus komplexen Prozessen, nicht aus Marksteinen. Nur unsere Erinnerung klammert sich der Orientierung halber an zum Symbol gewordene Einzelereignisse.

Die jetzigen Erkenntnisse über Kurras sind wichtig. Um aber eine Umdeutung der Geschichte zu begründen, müssten sie ein neues Licht auf die gesellschaftlichen Bedingungen werfen, die zur 68er-Bewegung führten. Das jedoch ist nicht der Fall.
                                                                                    Andreas Pecht    



(Erstabdruck am 28 Mai 2009)
 
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