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2009-05-06 Essay: 

Fragen des Lebensstandards beeinflussen die Bundesrepublik von Anfang an

 

Ist Deutschland eine Gulasch-Demokratie?
 
 
ape.  Was wäre aus der Bundesrepublik Deutschland geworden, hätte nicht Wirtschaftswunder, sondern wie in der Weimarer Republik Wirtschaftskrise  ihre Kindheitsjahre geprägt? In dieser oft  aufgeworfenen Frage schwingt der Gedanke mit, dass die Bindung der Deutschen an die Demokratie abhängt von der Aussicht auf ständig steigenden Wohlstand. Sind wir nur ein Volk von Gulasch-Demokraten?

Die Deutschen und die Demokratie. 64 Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und 60 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes scheint dieses Verhältnis längst geklärt: Die Deutschen genießen weithin einen Ruf als überzeugte Demokraten, ihre Republik gilt als verlässlich feste Burg der Demokratie. Zwar macht sich im Inland, mehr noch im Ausland, stets ein gewisses Misstrauen breit, wenn wieder Neonazi-Aufmärsche, Übergriffe auf Migranten oder antisemitische Provokationen für Schlagzeilen sorgen. Doch die meisten Beobachter erkennen darin Minderheiten-Phänomene, sprechen der großen Mehrheit im Land tolerante und demokratische Grundhaltungen zu.

Wie tief aber sind die tatsächlich verankert? Schätzen die Deutschen ihre Demokratie als Wert an sich? Oder hängt ihre Zuneigung zu dieser Staatsform bloß am materiellen Wohlstand, den sie über  Jahrzehnte ermöglichte? Schließlich wurde hierzulande die Demokratie, anders als in Portugal oder Griechenland, nicht von den Bürgern erstritten, sondern ihnen von den westlichen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges – mit Nachdruck - „geschenkt“. Ein Geschenk, das anfangs durchaus nicht nur auf Begeisterung stieß. Noch Mitte der 50er-Jahre meinten bei Umfragen in Westdeutschland 40 Prozent der Befragten, der Nationalsozialismus sei im Prinzip eine gute Sache, nur schlecht gemacht gewesen.

Das Meinungsbild änderte sich allmählich erst mit den spürbaren Erfolgen des Wirtschaftswunders: Volle Fleischtöpfe förderten die Zustimmung zur Demokratie. Wie schon die Währungsreform  1948 richtig Zug in die Hinwendung zur Marktwirtschaft brachte. Bis dahin hatten in den seit 1945 restrukturierten oder neu gegründeten Parteien Deutschlands hinsichtlich der Ökonomie heute Staunen machende sozialistische Vorstellungen die Oberhand. Nicht nur bei der KPD, ebenso bei SPD und CDU.

Sozial- und Christdemokraten erteilten zwar dem diktatorischen Staatssozialismus sowjetischen Vorbilds eine klare Absage. Zugleich aber sprachen beide einer Vergesellschaftung der Schwer- und Schlüsselindustrien das Wort. Im „Ahlener Programm“ von 1947 für die CDU in der britischen Besatzungszone hieß es:  „Inhalt und Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“  Dieses programmatische Plädoyer entsprach in der Gesamt-CDU einer damals breiten Strömung, die in Deutschland einen „Sozialismus in christlicher Verantwortung“ verwirklicht sehen wollte.

Doch als zusammen mit der Währungsreform die eben noch gähnend leeren Geschäfte plötzlich von so lange vermissten Waren überquollen, wurde über das kommende Wirtschaftssystem Westdeutschlands quasi mit dem Einkaufskorb abgestimmt. Ein Effekt, auf den die westalliierten Stäbe übrigens planmäßig hingearbeitet hatten. Das „Votum“ der Bevölkerung in den Westzonen wurde verstärkt  durch die Abwanderungsbewegung aus der seinerzeit auch wirtschaftlich anhaltend tristen Ostzone. Worauf die DDR-Führung bekanntlich 1961 mit dem Mauerbau reagierte.

Edgar Wolfrum, Professor für Zeitgeschichte in Heidelberg, hat dieser Tage in einem Interview  erklärt: „Für die 50er-Jahre trifft die Formel zu: Demokratie ist Wohlstand und Konsum.“ Nur für die 50er? Im Verlauf des Jahres 1989 verschob sich die Hauptlosung der Massenproteste in der DDR von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“, obwohl der Kern der Bürgerbewegung im deutschen Osten eher an einen dritten, einen demokratischen Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus dachte. Ein Experiment, von dem die breite DDR-Bevölkerung indes nichts wissen wollte – versprach der Beitritt zur Bundesrepublik doch neben Freiheit und nationaler Einheit vor allem die baldige Anhebung des persönlichen Lebensstandards auf Westniveau.

Sind wir also ein Volk von Gulasch-Demokraten? Die Frage hat einen ungerecht urteilenden Unterton, der politische Ideale und soziale Frage als Gegensätze konstruiert. Beide Faktoren gehören aber unlösbar zusammen, wie schon der Blick auf die Geburtsstunde der Demokratie, die Französische Revolution, zeigt. Ohne die Aussicht auf Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung fürs Volk in einer neuen Ordnung hätte es den Aufbruch in Richtung Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit gar nicht gegeben. In letzter Konsequenz waren es der explodierende Brotpreis und die hungernden Familien der breiten Unterschichten, die 1789 in Paris die Zeitenwende ganz handfest in Gang setzten.

Freiheit ist die eine Seite der Demokratie. Auf der anderen steht als zwingende Aufgabe Sicherung der materiellen Lebensgrundlage und soziale Gerechtigkeit. Erst wenn beides zusammenkommt, kann von tatsächlicher Demokratie gesprochen werden. Keine demokratisch konstitutierte  Gesellschaft könnte auf Dauer aushalten, dass bei Vielen unverschuldet Schmalhans das Regiment führt, während Wenige in Saus und Braus leben. Die soziale Frage war wichtigster Geburtshelfer der Demokratie. Spitzt sie sich zu, hat sie allerdings auch das Zeug zum Totengräber. Ideale allein machen nun mal nicht satt – in keiner Gesellschaftsordnung.                                                 Andreas Pecht   

 
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