Thema Politik
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2009-04-19a Diskussionsbeitrag:

Zum SPD-Wahlprogramm 2009

 

Ein sympathischer Katalog, der sich an der Hauptfrage vorbeimogelt


(Unkorrigierter Beitrag für einen privaten Korrespondenzkreis)
  
 
ape. Gewiss, Wahlprogramme sind keine Grundsatzprogramme. Gewöhnlich schwärmen sie der Öffentlichkeit nur in groben Zügen vor, was die Partei in den nächsten vier Jahren anpacken würde, brächte man sie an die Macht und ließe man sie dort machen. Gute und dem Wahlvolk gefällige Absichten werden dabei üblicherweise in Menge verkündet. Da die Nagelprobe auf Machbarkeit und Durchsetzbarkeit, wenn überhaupt, so erst viel später erbracht werden muss, waren Wahl-Versprechen immer billig zu haben, ihre tatsächliche Einlösung in halbwegs wiedererkennbarer Form aber eher selten zu erleben. 

Dennoch kann, wer genauer hinschaut, auch an Wahlprogrammen ungefähr erkennen, wes Geistes Kind eine Partei gerade ist – und also schlussfolgern, in welche Richtung sie möglicherweise drängt, sollte sie nachher in der Regierung etwas zu sagen haben. So war das bei der Erst- und der Zweitwahl der Regierung Gerhard Schröder, auch wenn es ein bisschen dauerte, bis der letzte SPD-Anhänger begriffen hatte, dass das wichtigste im Wahlprogramm zwischen den Zeilen stand und in Wahrheit auf den Ausverkauf der sozialen Republik an den Marktliberalismus hinauslief. Schröder erhielt die Quittung und verzog sich schmollend zu Gasprom – die SPD hat sich von der Finanzyuppisierung und Bossegenossenschaftlerei während zweier Legislaturperioden unter ihrer Führung bis heute nicht erholt.

Frau Merkel erhielt übrigens bei derselben Bundestagswahl ebenfalls die Quittung für die inbrünstige Hinwendung ihrerseits zum Marktliberalismus. Die Folgen sind bekannt: Große Koalition und einen Richtungswechsel bei der CDU weg von alten Grundüberzeugungen, der dem Ausmaß und der Geschwindigkeit nach dem Schröderschen Wendekurs weg vom historischen Grundverständnis der SPD in nichts nachsteht. Weshalb alle aufgeregte aktuelle Gifterei aus dem Unionslager (und von der FDP), mit dem jetzigen SPD-Wahlprogramm marschiere die Sozialdemokratie stramm nach links, pure Agitation ist.

Wollte man die Entwicklungen der beiden großen Parteien über die die letzten paar Jahre nach altem Rechts-Links-Schema beschreiben, wäre dies zu attestieren: Schröder trieb die SPD während acht Jahren weit nach rechts, Merkel trieb die CDU nachher binnen dreieinhalb noch weiter nach links – beides zu sehen von der  zuvor angestammten Grundpositionen der jeweiligen Partei aus. Die Union beginnt jetzt bei sich die Verwerfungen eines solchen Richtungswechsels zu spüren:  Neue Familienpolitik, (angebliche) Umweltpolitik, Schulpolitik, Wirtschafts- oder insbesondere Finanzkrisenpolitik befremden diverse Teile der Unionsklientel in erheblichem Maße.

Die Sozis hingegen sind mit ihrem jetzigen Wahlprogramm halbwegs wieder bei sich selbst angekommen: Ihre Versprechen schielen nicht mehr auf irgendeine vage (und auch im Schwinden begriffene) neue Mitte, sondern stellen überwiegend der lohnabhängigen Bevölkerung mittlerer und unterer Einkommen Verbesserungen in Aussicht; von Mindestlohn und Senkung des Eingangssteuersatzes über die 300-Euro-Pauschale bei Steuererklärungsverzicht bis zum Kündigungsschutz.

Was die Anhebung des Spitzensteuersatzes angeht, ist der soziale Brustston der Sozis allerdings  unaufrichtig.  Es war schließlich Schröder, der die Hochverdiener mit einer nie dagewesenen Absenkung des  Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent verwöhnte. Die im SPD-Wahlprogramm anvisierte Anhebung von zuletzt 45 auf 47 Prozent Steuersatz für Verdienste ab 125 000 Euro (250 000 bei Verheirateten) ist eine Maßnahme, der es an Courage mangelt. Schier unerträglich ist allerdings das Gezeter auf Seiten von Union, Liberalen und Wirtschaftsverbänden, damit würden die „Leistungsträger“ aus dem Land getrieben. Denn einerseits müssten die Hochverdiener in vielen anderen westlichen Industrieländern noch höhere Steuern zahlen.

Andererseits: Was heißt hier „Leistungsträger“? Der Begriffsgebrauch im Zusammenhang mit dem Schwellenwert 125 000 Euro offenbart: Für diese Herrschaften fängt die Gruppe der Leistungsträger überhaupt erst beim mittleren Managment an. Da ist sie wieder, diese Chuzpe, die hart arbeitende Bevölkerung quasi als Schmarotzer einer angeblich superschlauen, superinnovativen, superfleißigen kleinen Elite hinzustellen und jede Kritik am Unmaß des Einkommensgefälles zwischen diesen und jenen als „Neid“ zu diskreditieren. Es ist fast wie bei der Wahrnehmung der Finanzwelt: Seit etwa 15 Jahren kreist das Denken der Ökonomen und Wirtschaftsmedien fast nur um den Aktienverkehr sowie das Wohl und Wehe der Aktienbesitzer. Das sind in Deutschland acht Prozent der Gesamtbevölkerung. Wie ungemütlich es aber werden könnte, wenn etwa infolge der jetzigen Form der Krisenbekämpfung eine galoppierende Inflation  die Spargroschen und Altersvorsorgen von mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wegfressen würde, dafür scheint sich kein Mensch zu interessieren.

Die meisten Punkte im Katalog des SPD-Wahlprogramms lassen sich wohlwollend diskutieren. Einschränkungen u.a.: Die SPD wiederholt ihre Hessen-Dummheit, indem sie eine irgendwie geartete Verbindung mit der LINKEN auf Bundesebene vorab kategorisch ablehnt. (Noch immer hat die Partei nicht begriffen oder will nicht begreifen, dass das Ausmaß des Hessen-Debakels vom Wortbruch rührte und dass der Schaden wesentlich kleiner gewesen wäre, hätte man zuvor nicht so selbstherrlich eine Zusammenarbeit mit der LINKEN grundsätzlich ausgeschlossen.) Das Umweltkapitel ist im Wahlprogramm untergewichtig. Und die Aussage zum Börsengang der Bahn ist hanebüchen, ein Ausdruck davon, dass die Sozis noch immer nicht ganz vom Schröderschen Denken lassen können. Was soll das, den Börsengang bis 2013 auszuschließen? Und danach? Die Bahn verkümmeln, sobald am Markt wieder ordentlich was dafür zu kriegen ist? Die deutsche Sozialdemokratie sollte sich endlich dazu durchringen, die existenziellen Basiskomponenten der öffentliche Infrastruktur als vom Markt unabhängige Staatsaufgabe zu akzeptieren: Straßennetz, Schienenverkehr, Wasser- und Stromversorgung, Telekommunikationsnetz.

Der kritischste und auch ärgerlichste Punkt des SPD-Wahlprogramms aber ist, dass es keinen  Beitrag zur wichtigsten Frage des Augenblicks leistet: Wie lässt sich der systemische Paradigmenwechsel der globalen Wirtschaftsordnung politisch gestalten? Wahlprogramme sind, wie eingangs gesagt, keine Grundsatzprogramme. Wenn allerdings eine historische Situation vorliegt, die binnen Monaten oder ein, zwei Jahren grundlegende, „systemische“ Entscheidungen und Veränderungen verlangt, dann kann ein Wahlprogramm sich nicht als der allweil übliche 4-Jahres-Versprechens-Katalog aufführen. Das aber genau tut das SPD-Wahlprogramm. Es gaukelt Normalität vor. Es spielt business as usual, diesmal halt mit leichtem Linksdrall.

Kapitalismus an die Wand gefahren, dritter Weg notwendig, grundlegend neue Rahmensetzung  für Finanz- und Realwirtschaft unausweichlich, regulierte Weltwirtschaftsordnung ein Muss … all die großen Worte der letzten Wochen und Monate finden in diesem Wahlprogramm keine Umsetzungidee oder wenigstens einen Vorschlag zur Diskussion, nichtmal ein gedankliches Echo. Es bleibt bloß nassforsche Managerschelte bei der Programmvorstellung in Berlin durch Steinmeier und dessen pauschalem Ruf nach „Korrektur“. Das wird demnächst mit dem CDU-Wahlprogramm nicht anders sein. Auch die Union wird business as usual betreiben – mit einem Steuererleichterungs- und einem Familienförderungsprogramm etwa, dazu Moralappelle an die Wirtschaft und ein bisschen antisozialistische Rhetorik.

Offenbar mag die politische Klasse Deutschlands in Wahrheit von einem systemischen Wechsel gar nichts wissen. Sie kann sich wohl unter solch einem Wechsel noch nicht einmal ansatzweise überhaupt etwas vorstellen. Der kollabierte Wirtschaftsmotor wird notdürftig repariert, der Fahrer ermahnt, nicht wieder so lebensgefährlich auf die Tube zu drücken. Sobald der Motor aber wieder läuft, wird die Politik das Gefährt nebst Fahrer wieder auf die altbekannte Rennstrecke lassen. Wenn interessiert dann noch, dass der Motor einen Konstruktionsfehler hat und er bei der nächsten Hochgeschwindigkeitspassage explodieren kann. Den Fahrer kümmert das am allerwenigsten, er hat sowieso nur eine Geschwindigkeit im Blut: die höchste.

Schade, dass auf diese Weise die historische Chance vertan wird, friedlich und geordnet einen wirtschaftlichen  Paradigmenwechsel auszugestalten, dessen Grundlage die Wirtschaft selbst durch ihr Versagen gelegt hat. Wird dieser Wechsel jetzt nicht vollzogen, so wird ihn in relativ naher Zukunft ein katastrophischer Zusammenbruch mit wirklich rüden Begleiterscheinungen erzwingen. Die Wahlkämpfer von heute begreifen das allerdings wohl erst, wenn das eben in den Brunnen gefallene Kind keinen Mucks mehr von sich gibt, Wutsteine durch die Fenster des Hauses fliegen, dessen Dach lichterloh in Flammen steht. Um mal drastisch anzusprechen, was sich im Augenblick keiner vorstellen mag.                                                                           Andreas Pecht    

 
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