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2009-03-27 Analyse/Kommentar:

Wirtschaftskrise: Öffentliche Meinung und Hochfinanz drängen in gegensätzliche Richtungen

 

Krisenpolitik in der Zwickmühle

 
ape. Aus Finanzkrise ist Weltwirtschaftskrise geworden. Die Regierungen sind gezwungen, einen Flächenbrand zu bekämpfen, seine Ursachen zu ergründen, Brandschutzmaßnahmen für die Zukunft zu entwickeln. Und das alles gleichzeitig. Das Dilemma dabei ist: Die Hochfinanz versteht unter Brandbekämpfung und Brandschutz etwas anderes als die Bevölkerung.


Bundespräsident Horst Köhler hat soeben in seiner „Berliner Rede“ noch einmal zum Ausdruck gebracht, was als Lehre aus der gerade tobenden Krise mittlerweile allgemeine Überzeugung ist – oder zu sein scheint:  „Jetzt erleben wir, dass es der Markt allein nicht richtet. Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt.“ Die Mehrzahl der Regierungspolitiker in jenen Staaten, die am 2. April in London zum G-20-Krisengipfel zusammenkommen, haben sich wiederholt ähnlich geäußert, vorneweg US-Präsident Barack Obama.

Dem Wort nach ist das eine radikale Abkehr vom marktliberalen Wirtschaftsleitbild der zurückliegenden 20 Jahre. Wobei große Teile der Bevölkerung in Deutschland die Notwendigkeit einer solchen Wende schon erahnt hatten, als Politik und Finanzwelt noch forsch auf die Casino-Ökonomie setzten. Die Abwahl von Gerhard Schröder bei zugleich denkbar schlechtem Wahlergebnis für Angela Merkel und nachfolgender Großer Koalition waren Ausdruck des verbreiteten Gefühls: So unsozial und nur auf Profit hin orientiert kann es nicht weitergehen.

Die Politik- und Wirtschaftseliten brauchten für diese Erkenntnis erst den Beweis des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Dessen „systemische“ Bedeutung allerdings scheinen etliche Akteure vor allem der Börsen und Banken noch nicht begriffen zu haben. Denn was sie von sich geben, klingt eher so: Saniert uns mal, dann bringen wir die Sache wieder in Ordnung.

Nur ein paar schwarze Schafe?

Da räumten  führende Köpfe beim Deutschen Bankenverband zwar Fehler ihrer Branche ein, schoben die Schuld aber gleich wieder auf „einige schwarze Schafe“. In den USA hat Obama damit  zu kämpfen, dass ihm die Wall Street umso mehr die Liebe entzieht, je entschlossener er den Spielraum der Krisenverursacher begrenzen will.

Die Politik steckt hier wie dort in einer Zwickmühle. Einerseits weiß sie sehr gut: Um wirksam zu sein, müssen neue Regulative gravierend ins Finanzsystem eingreifen. Andererseits weiß sie nicht: Wie die Wirtschaftskrise bekämpfen, wenn die Finanzmogule schmollend ihre Mitwirkung versagen? Ein dritter Faktor verschärft dieses Dilemma noch: Der Zorn der breiten Öffentlichkeit auf Finanzakteure, die selbst noch inmitten der von ihnen verschuldeten Katastrophe mit der größten Selbstverständlichkeit Boni und Gehälter in Millionenhöhe einstreichen.

Dieser Zorn hat wenig mit Neid, viel mit Gerechtigkeit zu tun. Zahllose Belegschaften haben über die Jahre mit schmerzhaften Lohnabschlüssen unterhalb der Inflationsrate mehr Verantwortung für Unternehmen,  Branchen und die Gesamtwirtschaft gezeigt als  Banker und Manager. Was ist der Dank? Letztere fahren die Weltwirtschaft an die Wand und lassen sich dafür noch fürstlich honorieren. Erstere müssen mitsamt ihren Kindern den Schlamassel ausbaden.

So empfinden es viele Menschen – und halten etwa die Frage der Manager-Boni nicht nur für ein Problem einiger gieriger schwarzer Schafe. Zurecht. Natürlich wird der Schaden kaum kleiner, nähme man den Managern ihre letzten Boni wieder weg. Im Verhältnis zu Schadenssummen in Höhe Hunderter Milliarden sind deren Millionen-Prämien und -Gehälter belanglos. Trotzdem fällt bei einer Neuordnung des Finanzsystems der Abschaffung der Boni-Praxis und der Deckelung von Managergehältern eine wichtigere Rolle zu als bloß diejenige, den Volkszorn zu besänftigen.

Grenzenlose Gier als Geschäftsprinzip

Wenn nämlich die handelnden Personen mit Millionen belohnt werden für Geschäfte, die – egal auf welch dubiose Weise –  schnellstmöglich die höchsten Renditen abwerfen sollen, dann verabschiedet sich dieses Personal zwangsläufig von solidem, auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegtem Geschäftsgebaren. Für vier, acht oder mehr Millionen Euro/Dollar Jahresprämie würde manch einer, sprichwörtlich, seine Großmutter verkaufen; um wieviel eher  ökonomische Vernunft und erst recht Gemeinwohl-Verantwortung. Dieser Mechanismus ist allemal systemisch.

Die Politik muss ihn und noch einige andere Mechanismen bändigen, vielleicht ganz aushebeln, um die Allgemeinheit vor dem regellosen Markt und auch den Markt vor sich selbst zu schützen. Das kann den Nutznießern des bisherigen Finanzsystems naturgemäß nicht recht sein, und bringt überzeugte Marktliberale auf die Palme. Was aber wäre die Alternative? Hätten die Regierungen in den letzten Monaten auf die Selbstreingungskraft des Marktes vertraut: Das Weltfinanzwesen befände sich jetzt in völliger Auflösung, die Opel-Insolvenz wäre nur Randerscheinung in einem Chaos explodierender Pleiten und Arbeitslosenzahlen in den Industrieländern sowie hungernder, ja verhungernder Massen in bankrotten Drittwelt-Staaten.

Diese Gefahren sind noch nicht gebannt. Gewiss ist indes, dass sie auf keinen Fall mit jenen Mitteln und Gepflogenheiten zu bannen sind, die die Krise verursacht haben. Darüber muss sich der G-20-Gipfel klar sein, will er aus besagter Zwickmühle ausbrechen. Darüber müssen sich auch die Finanzjongleure klar werden, wollen sie in einer neuen Wirtschaftsordnung noch mitreden. Denn ihre alte haben sie selbst verspielt.
                                                                                     Andreas Pecht


(Erstabdruck 30. März 2009)



 
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