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2009-03-07 Reportage/Hintergrund:

Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) Kultur und Ganztagsschule. Beispiel aus Rheinland-Pfalz.
 

Freiwillig? Sozial? Ja! - Nach der Schule mal richtig was machen
 

ape. Idar-Oberstein/Koblenz.
 Sie tun etwas für sich, indem sie etwas für die Allgemeinheit tun: junge Leute im Freiwilligen Sozialen Jahr. Zwischen Schulabschluss und Berufsausbildung engagieren sie sich als Helfer in der Wohlfahrtspflege, im Umweltschutz oder an Ganztagsschulen. Und manchmal machen sie auch Theater.
 
Vanessa Geneix ist 21. Eine hübsche junge Frau mit gewinnendem Lächeln. Aber auf fremde Menschen zugehen - "das gehörte bisher nicht gerade zu meinen Stärken". Das ist ein Grund, warum sie nach dem Abitur ein "Freiwilliges Soziales Jahr" (FSJ) macht. Ein anderer lautet: "Ich wollte mich nach der Schule nicht sofort auf einen Beruf festlegen; erst mal orientieren und dabei möglichst was Sinnvolles machen." Deshalb sitzt die Idar-Obersteinerin jetzt im Kulturamt ihrer Heimatstadt mit Margret Staal und Annette Strohm beisammen. Das FSJ-Halbzeitgespräch steht an.

Hier hat sie im Herbst 2008 ihr Jahr begonnen - eine von derzeit rund 2000 Freiwilligen in Rheinland-Pfalz und zugleich eine jener 50, die ihr FSJ in der Sparte Kultur absolvieren; bei Theatern, Museen, Festivals, Kulturzentren oder Kulturämtern Diese Möglichket ist vergleichsweise neu im Spektrum des 1964 in Deutschland per Gesetz geregelten Freiwilligendienstes. Ursprünglich ging es um Engagement in der Wohlfahrtspflege. Doch über die Jahrzehnte kamen andere gesellschaftliche Felder hinzu: Kinder- und Jugendarbeit, Sport, Ökologie, Denkmalpflege, dann Kultur. 2007 folgte das FSJ-Ganztagsschule, bei dem Rheinland-Pfalz eine Vorreiterrolle übernommen hat.

"Mehr als 35 000 junge Menschen absolvieren momentan bundesweit ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr", erklärt Martin Schulze, Sprecher des Bundesarbeitskreises FSJ. "Das sind fünf Prozent eines Jahrgangs." Ganz zufrieden ist er dennoch nicht: Es könnten mehr sein, "würden die Fördermittel des Bundes nicht stagnieren". Dabei waren es 1992 erst 7000 Menschen im Alter zwischen 16 und 27, wie das Deutsche Jugendinstitut weiß. Für dessen Direktor Thomas Rauschenbach ist das FSJ eine "spezifische Form bürgerschaftlichen Engagements", die kontinuierlich an Bedeutung gewinnt. Die "Freiwilligendienste sind Ausdruck einer neuen ,Kultur des Sozialen", in denen eine Verantwortungsethik für das Gemeinwohl zum Ausdruck einer praktisch gelebten Solidarität wird", so Rauschenbach. Das Kölner Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hebt die doppelseitige Bedeutung des Freiwilligendienstes hervor: Einerseits nütze er der Allgemeinheit, andererseits sei er eine Form des "persönlichen und sozialen Lernens".

Arbeit im Kulturamt Idar-Oberstein

So analytisch hatte Vanessa nicht gedacht, als ein Berufsberater der Arbeitsagentur ihr in der Schule den ersten Hinweis auf das Freiwillige Soziale Jahr für junge Leute gab: Im Hinterkopf rumorte damals kurz vor dem Abi eine vage Vorstellung, "später mal am Theater was zu machen, vielleicht Maskenbildnerin". Sie informierte sie sich über das FSJ-Kultur, fasste dafür das Staatstheater Mainz ins Auge. Weil dort eine Mitbewerberin schneller gewesen war, meldete sie sich auf die Ausschreibung des Kulturamtes in ihrem Wohnort.

"Und wir haben sie gleich genommen; ein aufgewecktes Mädchen, das obendrein von hier ist", erzählt Annette Strohm. Sie ist im Kulturamt Idar-Oberstein für die städtischen Veranstaltungen zuständig. Als Einsatzstellenleiterin von Geneix hört sie gerne, was die junge Frau beim Halbzeitgespräch sagt. Dem Mainzer Theater trauert ihr Schützling nicht mehr nach. "Auch nicht, obwohl das hier kein Theaterbetrieb ist?", kommt die Nachfrage. Aber nein, lacht Vanessa, sie sei ja nicht völlig aufs Theater festgelegt, und es interessiere sie sehr, wie das funktioniert mit den Kulturveranstaltungen. Außerdem: "Es gibt auch in Idar-Oberstein Theater." Das städtische Gastspielprogramm eben, dazu Amateur- und Schultheater am Ort. Da wirkt sie auch als Maskenbildnerin - für sie das Größte.

Vielseitig ist ihre Arbeit allemal: Da gilt es, das Programm zu planen, da sind Gastspiele zu organisieren, Künstler wollen betreut und Telefonanfragen beantwortet werden. Und manchmal spielt sie den Einlasser bei Veranstaltungen. Auf ihrem Schreibtisch im Kulturamt stapeln sich Veranstaltungsflyer, die noch unters Volk müssen. Daneben liegt ein von ihr beauftragter Plakatentwurf für "art makes future". So heißt Vanessas Soloprojekt, das sie wie jeder FSJ-ler eigenständig auf die Beine stellen muss. Bei ihr ist es eine Beratungs-Messe, die Jugendliche über Berufe in Kunst und Kultur informiert.

Austragungsort soll die "Willa" sein, ein Seminarhaus einer Schauspielerin am anderen Ende der Stadt. Bis zum 20. Juni ist es noch hin, doch es ist auch viel vorzubereiten. Deshalb erkundet sie nun das Haus. Wie kann sie es optimal nutzen? Sie geht von Stockwerk zu Stockwerk, schaut sich Raum für Raum an, offensichtlich zufrieden mit dem, was sie vorfindet: drei ehemalige Wohnungen auf drei Etagen. "Das ist gut, dann verteilen sich die Leute besser", sinniert sie - und teilt die Zimmer ein. Beratung über Kulturmanagment hierhin. Die Bildenden Künste nach oben, die Darstellenden Künste... Besonders angetan haben es der jungen Frau Kostümfundus und Schminkspiegel ihrer Gastgeberin. Das wäre der richtige Platz für Beratung zu Modedesign und Maskenbildnerei. Und wie zur Bestätigung nimmt Annette Strohm gleich mal vorm Spiegel Platz und ihre FSJ-lerin greift zu einem Pinsel. Beide lachen.

Betreuung durch Kulturbüro in Koblenz

Vanessa Geneix fühlt sich in Idar-Oberstein gewiss nicht fehl am Platz. Margret Staal hört das gern. Sie ist die Betreuerin vom Kulturbüro Rheinland-Pfalz. Die in Koblenz ansässige Einrichtung ist Träger des FSJ-Kultur fürs gesamte Bundesland und zugleich Träger des neuen FSJ-Ganztagsschule für den nördlichen Landesteil. Dort sind Moka Biss und Stephan Bock zuständig für die Freiwilligen im Bereich Kultur (sie) und Ganztagsschulen (er) und kennen Antworten auf die Frage nach der Motivation der jungen Leute, sich auf ein Freiwilliges Soziales Jahr einzulassen. "Manchmal sind es ganz praktische Erwägungen: Schule beendet, Studium oder Lehre lassen noch auf sich warten - dann ist das FSJ eine Überbrückung", so Bock. Doch sei das bei den wenigsten Freiwilligen der Hauptgrund, stimmt er mit seiner Kollegin von der Kultur überein. Den meisten gehe es darum, Erfahrungen in der außerschulischen Welt zu sammeln und Berufswünsche auszutesten. Vor allem aber "wollen die nach der Schule mal richtig was machen; sinnvolle, ernsthafte, Arbeit, bei der sie auch ihre Stärken und Schwächen erfahren", so Moka Biss.

Bock betreut derzeit den zweiten Durchgang FSJ-Ganztagsschule mit 80 Teilnehmern an 67 Schulen. "Im ersten Jahr", erinnert er sich, "waren es 32. Die wollten anfangs fast alle Lehrer werden. Nachher hatte sich die Hälfte von diesem Wunsch verabschiedet." Erfahrungen bei Pausenaufsicht oder Hausaufgabenhilfe, Projekt- und Gruppenarbeit schufen Klarheit. Bisweilen erreichen die Betreuer auch "Notrufe": Da kommt ein FSJ-ler mit dem Stress im Kulturbetrieb nicht zurecht, ein anderer verzweifelt an Aggressionen auf dem Schulhof. Dann sind Biss, Bock und Kollegen als Psychologen, Ratgeber, Aufmunterer gefordert.

FSJ-ler werden als Bereicherung empfunden

Doch die Abbrecherquote ist verschwindend gering. Daran haben Beratungen zwischen Träger und Einsatzstellen ebenso Anteil wie 25 Weiterbildungstage pro Jahr, zu denen die FSJ-ler zusammengezogen werden. Am Ende, so Biss und Bock, seien die anfangs oft unsicheren und noch unselbstständigen Freiwilligen "deutlich gereift, an Selbstbewusstsein und Schlüsselkompetenzen reicher". Und die Einsatzstellen? Für das FSJ-Ganztagsschule erklärt die Kultusministerin Doris Ahnen: "In den Kollegien erfreuen sich die Helferinnen und Helfer einer großen Akzeptanz, ihr Einsatz wird von den Schulen als bereichernd empfunden."

So sieht es auch Annette Strohm. Gewiss, die Veranstaltungsmacherin muss Zeit für die Anleitung ihres FSJ-Schützlings investieren. "Aber da kommt unglaublich viel zurück, nicht nur an praktischer Hilfe. Frische Impulse und der junge Blickwinkel öffnen auch mir manchmal ungeahnte Horizonte." Vanessa ist derweil schon wieder für ihre Messe unterwegs. Jetzt sucht sie nach Fachleuten aus künstlerischen Berufen, nach Unterstützern und Sponsoren. An den Schulen will sie vorab persönlich spezielle Beratungsbedürfnisse erfragen. Danach muss sie eine Werbekampagne organisieren.

 "So selbstständig zu arbeiten und verantwortlich zu sein: Das ist eine harte Sache, aber eine tolle Erfahrung", sagt die 21-Jährige. Scheu, auf fremde Menschen zuzugehen? Das war gestern, vor dem Freiwilligen Sozialen Jahr.                                   Andreas Pecht


Hinweise/Infos:

Die Bezahlung für ein FSJ besteht nur aus einem Taschengeld. Dessen Höhe variiert je nach Träger zwischen 120 und 300 Euro monatlich. Bei eEinige Einrichtungen sind freie Kost und Logis oder Wohn- und Verpflegungszuschüsse Teil der Honorierung.

Qualifikationen, die während des Freiwilligendienstes erworben wurden, attestiert ein abschließendes Zeugnis. Das FSJ wird als Wehrersatzdienst anerkannt, sowie bei vielen sozialen Berufen als Vorpraktikum oder Teilpraktikum im Studium.

FSJ-Träger in Rheinland-Pfalz sind etwa Diakonie, Katholische Jugend, Sportjugend, Rotes Kreuz, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeitersamariter, Kulturbüro RLP... Alle Träger sind im Internet über www.fsj.rlp.de anzusteuern. Informationen über FSJ-Kultur und FSJ-Ganztagsschule gibt es unter www.kulturbuero-rlp.de, Bewerbungsschluss für ein Freiwilliges Soziales Jahr dort ist der 31. März.

(Erstabdruck am 7. März 2009)
 
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