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2009-02-24 Kommentar:

Fastnacht/Karneval 2009 - Eine Bilanz
 

Mit erhobenem Kopf zum Kehraus
 

ape.
 Schluss mit lustig! Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Ein letztes Mal noch hatte zumindest der Südwesten der Republik für ein paar Tage Fünfe gerade sein lassen. Hatten Narren (oder auch  Fastnachts-Flüchtlinge) die Lust am Leben in vollen Zügen gesoffen respektive genossen – bevor von Aschermittwoch an krisenhafter Ernst sich auf die Gemüter legt. Katerstimmung, Katzenjammer allenthalben und nun auf Dauer? Die Lage wäre danach. War es aber auch schon vor den tollen Tagen: Hiobsbotschaften von der Wirtschaftsfront, eine Prognose düsterer als die andere. Und während die jecken Sitzungen und Umzüge liefen, sangen die Nachrichtenticker unaufhörlich neue Strophen des Liedes: Der ganze Laden geht die Bach runter.

Seltsam indes: Die Narretei zeigte sich davon völlig unbeeindruckt. Ausgelassene Massen strömten wie immer zuhauf, ob Hautevolee, Kleinbürger oder Prolet. Die Säle voll, die Straßen nicht minder. Auf den ersten Blick Karneval as usual bei Alemannen und Franken, Pfälzern und Hessen, Rheinhessen und Rheinländern – mal über, mal unter der Gürtellinie feixend, kalauernd, sinnierend, politisierend. Ist das Verdrängung? Oder ist's der Tanz auf dem Vulkan nach der Devise „noch mal mitnehmen, was eben zu kriegen ist, komme danach, was wolle“? Wohl beides, und dazu die Gewissheit, dass die närrische Tradition noch jede Krise überlebt hat; in Form wohlfeiler Offizialfröhlichkeit wie als Volksfastnacht.

Im Vordergrund tobte sich närrische Chronistenpflicht aus. Die personalen  Trends 2009 gingen etwa so: Ihren wahren und einzigen positiven Helden fand diese Session reihum in Barack Obama.  Glanzvoll stach er vom internationalen Finsterling der Kampagne ab, von George W. Bush. Bemerkungen über dessen Verschwinden von der Weltbühne wurden noch in jedem Saal zwischen Veitshöchheim und Düsseldorf mit geradezu erleichtertem Beifall aufgenommen. Klare Schwarz-Weiß-Malerei allüberall bei diesem Thema, freilich metaphorisch verdreht, weil hier der Schwarze die lichte Seite, der Weiße die dunkle vertrat.

Uneindeutiger fielen die Blicke der Büttenredner und Motivwagenbauer auf die nationale Szenerie aus. Kein positiver Held, nirgends. Stattdessen ein abgestufter Aufmarsch von Watschenmännern und -frauen. Drunten im Keller Ypsilanti, interessanterweise weniger wegen ihres Flirts mit der Linken selbst, sondern mehr ihres diesbezüglichen Wortbruches wegen. Gar nicht mal so weit drüber Roland Koch, dessen heimischer Politkarriere die Narren unverhohlen – insbesondere auf hessischen Sitzungen - das Totenglöcklein läuteten. Selten sah ein Sieger derart nach Verlierer aus.

Ebenso selten ist allerdings das Phänomen, dass sich in den Spott über den eigentlichen Verlierer derartiges Wohlwollen mischt wie beim Herrn mit dem dankbar über die Zunge kollernden Namen Thorsten Schäfer-Gümbel. Ein einfacher junger Mann, von den Partei-Honoratioren ausgeschickt zum Selbstmordkommando, schlägt sich wacker: Tragikomischer Narr aus der Provinz, den die Narren eben deshalb irgendwie in ihr, selbst stark provinzpatriotisch schlagendes, Herz geschlossen haben. Die Kabarettisten hatten ungewollt damit begonnen, die Karnevalisten setzten das Werk jetzt fort: Aus TSG wird jenseits der politischen Nomenklatura Zug um Zug ein Sympathieträger.

Ein Glück, das Kurt Beck so nicht beschieden ist. Die rheinland-pfälzischen Narren bemitleideten ihn noch als bedauernswertes Opfer, als hinterrücks Gemeuchelten. Im Mitleid schwang jedoch oft ein Unterton mit, wonach zum Meucheln immer zwei gehören: Einer, der's tut; und einer, der's mit sich machen lässt. Außerhalb des Reben-und-Rüben-Landes waren die karnevalesken Umgangsformen rauher. Dort wurde Beck als Dilettant verlacht, der meinte, mit den Wölfen heulen zu können, wo er doch von Natur bloß ein pfälzisches „wau-wau“ rausbrächte. Oder es widerfuhr ihm das Allerschlimmste, was einem Politiker passieren kann: Er wurde gleich gar nicht mehr erwähnt.

So gesehen hat Frank (Ex-Walter) Steinmeier jetzt ein richtiges Problem, denn die Fastnachtskarawane zog an ihm fast blicklos vorüber. Der SPD-Kanzlerkandidat war für die Büttenredner auffällig weniger interessant als Seehofer, Lafontaine und die Kanzlerin.  Letztere war, abgesehen von etwas Schäuble-Geschnüffel, die einzig büttenrelevante Figur ihrer Partei. Und Steinmeier bietet halt einfach keine interessante Reibungsfläche;  was ein unguter Umstand ist in einer medialen Volksdemokratie.

Ein ganzer Berufsstand wäre wohl froh gewesen, hätte ihm der 2009er-Karneval ähnlich wenig Beachtung beschert: die Finanzmanager. Was das Watschenpersonal angeht, rangierten sie – egal wo im jecken Südwesten - noch weit, sehr weit unter der Ypsilanti. Ob bei den frisch-frechen Franken, den etwas staubigen Mainzer Politpoeten oder den kölschen Witzekloppern: Wenn auf die Herrschaften von der Hochfinanz die Rede kam, fluteten unverblümt Zorn und Verachtung aus den Lautsprechern.

In diesem Sinne war die Krise über die tollen Tage nicht verdrängt, sondern ganz im Gegenteil  allgegenwärtig. Aber sie provozierte zwischen den Zeilen vordergründiger Narretei und – seltener – doppelbödiger Witztelei eine bemerkenswerte Allgemeinstimmung: Trotz, ja Selbstbewusstsein. Dieser Karneval zeigte Heerscharen von Menschen, die zu ihrem Lachen stehen, auch wenn die Verhältnisse nicht danach sind. Mit erhobenem Kopf gehen die Leute dem entgegen, was da noch kommt. Nach der Devise: Wir haben diese Krise nicht verursacht, wir werden uns von ihr auch nicht die Lebenslust rauben lassen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, außer vielleicht, dass wir uns viel zu lange haben verschaukeln lassen. Bange machen gilt nicht mehr, dazu ist das Leben zu kurz. Von dieser trotzigen, renitenten Haltung ein ordentliches Quantum über den Aschermittwoch hinaus retten, das wäre eine feine Sache.  
                                      Andreas Pecht
 
 
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