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2009-02-23 Würdigung:

Rheinland-Pfalz erlebte 10 Jahre lang
Ballettkunst auf Weltniveau
 

Das Ende der Mainzer Ära Schläpfer
 

ape. Rheinland-Pfalz.
 Zählung und Terminierung wirken inszeniert, sind aber eher Zufall: Mit Programm XXX endet in diesem Sommer nach zehn Jahren die Ära Martin Schläpfer am Staatstheater Mainz. Der bisherige Chef des ballettmainz übernimmt mit der Spielzeit 2009/2010 die Ballettdirektion an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg. Dieser Wechsel ist nicht nur für das Mainzer Haus einschneidend. Mit dem Schläpfer-Ballett verliert zugleich Rheinland-Pfalz den einzigen künstlerischen Kreativpool, der sich je seit Gründung des Landes in der Weltspitze hat etablieren können.


Als Georges Delnon (seit 2006 Chef des Theaters Basel) 1999 die Intendanz in Mainz übernahm, war Rheinland-Pfalz auf der internationalen Ballett-Landkarte seit Menschengedenken ein weißer Fleck. Zwar war an den Theatern Mainz, Kaiserslautern, Trier und Koblenz auch vorher getanzt worden. Aber für eine über den jeweiligen Ort hinausgreifende Wirkung reichten die eher bodenständigen klassisch-romantischen Standards nicht. Das Ballett galt dort als Nebensparte; die Tänzer wurden bisweilen mehr als Hilfspersonal bei Oper und Schauspiel eingesetzt, denn in ihrem Fach.

Dann gewann der Schweizer Delnon seinen Landsmann Martin Schläpfer für einen Wechsel vom Theater Bern nach Mainz. Was für die Tanzkunst in Rheinland-Pfalz bald einen nie erlebten Umbruch jnd Aufbruch zur Folge hatte. Chefchoreograph Schläpfer bildete eine Tanzcompagnie heran, die unter dem Namen ballettmainz binnen Kürze das Theater der Landeshauptstadt zu einem Tanzzentrum europäischer Güte machte. Schon nach den ersten der jetzt 30 abendfüllenden Programme hatte sich herumgesprochen: Schläpfer schließt im Rhein-Main-Gebiet mit seinem neoklassischen Stil von Rang die Lücke zwischen der genialen, aber befremdenden Avantgarde von William Forsythe's ballettfrankfurt und Ben van Cauwenberghs romantischer Gefälligkeit am Staatstheater Wiesbaden.

Ein Prolog in Koblenz

Für die überregionale Kritik war Schläpfer bereits zuvor kein Unbekannter. Vor allem als Solotänzer bei Heinz Spoerli in Basel wurden ihm in jungen Jahren (er kam 1959 in Altstätten/Kanton St. Gallen zur Welt) viel Aufmerksamkeit und manche Auszeichnung zuteil. 1994 übernahm er die Leitung des Balletts in Bern und reüssierte dort mit ersten eigenen Choreographien. Der Gang 1999 nach Mainz löste bei Kritik und überregionaler Ballettgemeinde zuerst die skeptische Frage aus, ob das ballettöse Niemandsland Rheinland-Pfalz das rechte Umfeld für ein Talent von solchem Format sei. Die Bedingungen waren Anfangs schwierig in Mainz. Erst mit den fulminanten Erfolgen der Compagnie konnte allmählich auch eine Entspannung der personellen, finanziellen und räumlichen Beschränkungen durchgesetzt werden.          

Die Zusammenarbeit zwischen Delnon und Schläpfer in Mainz kam nicht unvermittelt. Delnon kannte die Arbeit seines Landsmannes. Und, was heute fast vergessen ist: Das große Wirken des Choreographen in Mainz hatte einen Prolog in Koblenz. Am dortigen Stadttheater war Delnon von 1996 an drei Spielzeiten lang Intendant, bis ihn das Mainzer Kulturministerium in die  Landeshauptstadt „abwarb“, wie es in Koblenz noch heute zähneknirschend heißt. 1997 jedenfalls engagierte der Intendant den Berner Ballettdirektor Schläpfer für eine Gastproduktion mit der Koblenzer Compagnie. „Stabat mater/Divertimento“ war jener Abend betitelt, der die  Ballettgemeinde am Rhein-Mosel-Eck das Staunen lehrte und der Regionalkritik den Wunsch „dies muss weitergehen!“ aus der Feder trieb.

Was Schläpfer damals aus der Koblenzer Stadttheater-Truppe herauskitzelte, führte vor Augen: Dieser Mann ist ein begnadeter Ensemblebildner. Ein Eindruck, der sich von 1999 an in Mainz immer wieder bestätigt hat: Die permanente Fortentwicklung der dortigen Compagnie vom Provinzverein zum Bundesligisten galt, gilt noch, auch Fachleuten wie dem Doyen der deutschen Ballettkritik, Jochen Schmidt (FAZ/Welt), als Phänomen. Schmidt war es auch, der im Choreographen Schläpfer zuerst einen möglichen Erben des legendären Hans van Manen sah und ihn auf eine Stufe stellte mit der jungen Pina Bausch – sie eine Innovatorin für das Tanztheater, Schläpfer in entsprechender Rolle für das Fach Ballett.

Von Gästen lernen

Wie kein anderer Ballettchef in Rheinland-Pfalz je zuvor hat er bei der Entwicklung seines Ensembles und bei der Horizont-Erweiterung seines Publikums auf das Mitwirken von auswärtigen Choreographen gebaut. Der betagte van Manen selbst arbeitete mehrfach mit dem ballettmainz. Andere Gäste waren Größen wie Christopher Bruce, Nils Christe, Twylia Tharp oder namhafte Nachwuchskräfte, etwa Philipp Egli, Stijn Celis und Gisela Rochas. So ist Mainz zu einem Schaufenster zeitgenössischen Ballettschaffens geworden und ballettmainz zu einer Compagnie, die dessen Vielfalt aufs beste beherrscht.

Im Zentrum stets die Tanzkunstwerke von Martin Schläpfer selbst: Eigenständige Fortentwicklungen der neoklassischen Moderne insbesondere des George Balanchin. Schläpfers bald abstrakt der reinen Form, bald in symbolhafter Dialektik den menschlichen Seelentiefen hingegebene Ästhetik stellte für Rheinland-Pfalz Abschied vom und Alternative zum Primat des romantischen Handlungsballettes dar. Das Mainzer Vorbild ermutigte auch an den anderen Bühnen  Vorstöße auf bis dahin unbekanntes Terrain. Obendrein verhalf der Mainzer Erfolg der Ballettsparte nicht zuletzt bei Theaterleitern und Kulturpolitikern im Land zu neuem Gewicht.

Und was nun, da Schläpfer in Begleitung des Gros seiner 20 Mainzer Tänzer nach Düsseldorf wechselt? Ob er dort mit einer mehr als doppelt so großen Compagnie  vor den extrem hohen Erwartungen eines von Heinz Spoerli und Yuri Vamós geprägten  Publikums bestehen kann, ist keineswegs ausgemacht. Ebenso steht in den Sternen,  ob ein neu zusammengestelltes ballettmainz unter dem Franzosen Pascal Touzean die inzwischen nicht minder hohen rheinland-pfälzischen Erwartungen an eine Schläpfer-Nachfolge erfüllen kann. Wie immer die Sache ausgeht: Den Ballettfreunden in Rheinland-Pfalz ist die Erinnerung daran, welche künstlerischen Höhenflüge auch abseits der Metropolen möglich sind, nicht mehr zu nehmen.              Andreas Pecht


(Erstabdruck 10./11. Woche im März 2009)
 
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