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2009-02-16 Ballettkritik:

Ballettabend von Stephan Thoss mit indifferentem "Solitaire" und wuchtig anklagendem „Le Sacre du Printemps“


Menschenopfer in der Maschinenhalle

 
ape. Wiesbaden.  Stephan Thoss, Ballettchef in Wiesbaden, hat zwei seiner 2006 in Essen und Hannover uraufgeführten Choreografien jetzt fürs Hessische Staatstheater eingerichtet. „Solitaire“ nennt sich das eine Stück zu Béla Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“. Das andere vertanzt Igor Strawinskys Ballettkomposition „Le Sacre du Printemps“. Der Abend wurde mit starkem Beifall honoriert, von dem der größere Anteil zurecht auf Letzteres entfiel.

„Solitaire“ ist eine jener Thoss-Arbeiten, die sich nachdenklich-kritisch mit der Position des Individuums in der Moderne-Gesellschaft auseinandersetzt. „Es geht um das Alleinsein, um den Verlust der Sehnsucht“ erklärt der Choreograf im Programmheft. Der Tanz lenkt zuerst den Blick auf eine Frau in Weiß, die aus ihrer Paarbeziehung fällt oder ihr entflieht. Einer Beziehung, die vor zwei Wänden mit je einer bald sich schließenden Tür scheitert.

Danach beginnt der Kampf der Frau mit sich selbst. Ina Brütting tanzt das als fortdauernden Wirbel aus mal  raumgreifenden, mal in sich verkrümmten Figuren.  Wünsche, Träume, Ängste ineinander verhakt. Obendrein befeuert wie infrage gestellt von einem  schattenhaften Alter-ego, mit dem Ludmila Komkova der weißen Frau eine provozierende Reibungsfläche gegenüber stellt. Wäre Karrierestreben  ein Ausweg aus diesem Ringen um Selbst und Sinn?

Eher nicht, deuten wir, was die übrige Compagnie mit einem in zahllose Kleinteile zerfallenden Reigen geschäftsmäßiger, grinsgesichtiger, aber kein Herz erfüllender Dynamik zeigt. Thoss meidet demonstrativen, gar plakativen Ausdruck. So ehrenwert das ist, so schwer macht es der daraus resultierende Mangel an optischer Pointierung, die inhaltlichen Absichten dieses philosophischen Balletts zu erfassen.

Ganz anders „Le Sacre de Printemps“. Das 1913 vom Ballets Russes skandalumwittert uraufgeführte und seither von unzähligen Choreografen bearbeitete „Frühlingsopfer“ wird bei Thoss  zu einer bitteren Industrialismus-Kritik. Monströse Metallgerüste dominieren die düstere Bühne, dazwischen malochen kleine Menschlein in grauer Einheitskluft. Das ist der Blick in eine Hölle, wo Menschen auf ein Sein als Rädchen im Räderwerk reduziert sind.

In starken Formationen und Einzelaktion versinnbildlicht  die Compagnie diesen Gedanken. Es entsteht ein großes anklagendes Szenario aus maschinenhaften Bewegungen, furioser Hatz und schließlich alle verzehrender Erschöpfung. Einmal mehr erweist sich das Hausorchester unter Wolfgang Ott als kongeniale Stütze  für den aufrührenden Tanzmoment.                    Andreas Pecht

(Erstabdruck am 17. Februar 2009)

Stephan Thoss, Ballett Wiesbaden, "Solitaire" und "Le Sacre du Printemps"

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