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2009-01-26 Schauspielkritik:

"Der Kirschgarten" von Anton Tschechow am Schauspiel Frankfurt. Regie Urs Troller


Keine Bäume im Nirgendwo

 
ape. Frankfurt.  Kein Garten, kein Baum, kein Wehklagen, keine Liebe. Anton Tschechows Komödie „Der Kirschgarten“ kommt auf der großen Frankfurter Schauspielbühne in spröder Reduziertheit daher. Die Aktionsfläche ist nur ein schmaler Streifen Vorderbühne, den Stefanie Wilhelm rückwärtig mit horizontal verschiebbaren, schmucklosen Wandelementen begrenzt. Kein, Stuhl, kein Tisch, nur ein paar Koffer und Kaffeetässchen rückt die Requisite raus – nichts, an dem das spielende Personal sich dauerhaft festhalten könnte. 


Urs Troller hat Stillstand im Nirgendwo inszeniert, hat die Menschen geworfen aufs einzig Reale, das noch ist: sie selbst. So allein gelassen von jedem Erzählen, so verloren in der Zeit, werden sie seltsam, komisch. Deshalb nannte Tschechow sein Werk eine Komödie. Weil aber ziellose Unentschlossenheit, Verharren gar im absterbenden Gestern der Moderne pathologisch vorkommt, wurde „Der Kirschgarten“ seit seiner Uraufführung 1904 zumeist als Tragödie verstanden. Frankfurt bietet beides: Denn Gestalten, die sich objektiv retten könnten, es subjektiv aber mit beharrlichem Gleichmut nicht tun, neigen zu tragikomischer Erscheinung.


Gutsbesitzerin Ranjewskaja ist bankrott. Zwar wäre aus ihrem altrussischen Gut nebst Kirschgarten-Gelände bei näher rückender Eisenbahn und vorstädtischer Dadscha-Kultur durch Verkauf Kapital zu schlagen. Doch ihr Herz hängt am Lebensraum der Kindheit, ist gefangen in der Vergangenheit, verstrickt ins Herrendasein der alten Gesellschaft. Also handelt sie - hypnotisiert wie das Kaninchen von der Schlange – gar nicht. Friederike Hammer füllt ihr Nichtstun mit einem Wechselspiel aus divenhafter Überspanntheit und in sich gekehrtem Phlegma. Diese Ranjewskaja kreist um sich selbst, nimmt, wie alle übrigen Figuren auch, keine Entwicklung.


Ihr Bruder Gajew (Felix von Manteuffel) lutscht allweil kindlich Bonbons; der Herr des Nachbarguts (Wolfgang Gorks) zappelt sich allweil von einem Kreditgeber zum nächsten; der greise Hausdiener Firs (Heiner Stadelmann) schlurft allweil als Relikt alter Zeit ergeben durch die Szene; sein junger Kollege (Bert Tischendorf) gibt derweil mit zynischer Renitenz einen, der weiß, dass die alte Macht in den letzten Zügen liegt. Trollers Regie erlaubt kein gefühliges Schäumen, nichtmal den Töchtern der Ranjewskaja. Einzig dem neureichen Lopachin ist ein bisschen Verve gestattet beim Insistieren, die Gutsherrin möge endlich aktiv werden. Am Ende ist es dieser Sohn eines ehemaligen Leibeigenen, der das Gut ersteigert.


Zweieinhalb Stunden Stillstand im Nirgendwo könnten einem lang werden, entspräche das nicht den Intentionen des Stückes. Und: Wäre das Stillestehen hier nicht reichlich gefüllt mit kleinen und kleinsten Spielmomente. Die kommen so unscheinbar daher, dass man sie fast übersieht. Die wollen erspäht sein - dann verweisen sie intensiv auf Befindlichkeiten von Menschen, die im Angesicht heraufziehenden Umbruchs nicht wissen, wohin mit sich. In diesem Sinn verweist Trollers „Kirschgarten“-Inszenierung dann doch vom Nirgendwo aufs aktuellste Hier.                Andreas Pecht

Info: www.schauspielfrankfurt.de

(Erstabdruck am 27. Januar 2009)


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