Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2009-01-19 Schauspielkritik:

"Mutter Courage und ihre Kinder" von Brecht
am Stadttheater Koblenz als romantische Tragödie

Wenn die Courage hysterisch wird
 
ape. Koblenz.  Sie zieht mit dem Planwagen durch die dreißigjährige Völkerschlächterei, die im Namen von Religion und Macht ab 1618 Europa verheerte. Die Marketenderin lebt mit und vom Krieg, steht am Rande der Schlachtfelder in unsentimentaler Verhärtung ihren Mann. Weshalb man sie Courage nennt. Ihr setzte Bertolt Brecht mit der großen epischen Chronik  „Mutter Courage und ihre Kinder“ ein abschreckendes Denkmal – als unbelehrbar in der Logik des Krieges gefangene Geschäftsfrau. So die gängige Interpretation seit der Uraufführung 1941. Regisseur und Ausstatter Werner Tritzschler sieht das am Theater Koblenz jetzt allerdings ziemlich anders.

Äußerlich bleibt die Koblenzer Inszenierung noch bei der entnaturalisierten Sichtweise Brechts, pflegt teils sogar eine Art Brecht-Nostalgie. Die Bühne radikal entleert, darauf nur der mittels Wellplastik-Abdeckung leicht modernisierte Planwagen. Das macht Sinn. Im gehobenen Graben gehen zwei Musiker und eine Erzählerin im Blaumann ihrer Arbeit nach. Das wirkt bemüht pittoresk.

Die Distanz zu Brechts epischem Theater nimmt sprunghaft zu, je näher man die Koblenzer Schauspielweise betrachtet. Wie schon vorletzte Spielzeit bei „Der gute Mensch von Sezuan“ lässt Tritzschler auch jetzt wieder zu, dass in trefflich verfremdetem Raum mit Verve klassisch-romantischer Stil geboten wird.

Da spielt sich Madeleine Niesche in der Titelrolle die Seele aus dem Leib, als handle es sich bei der Courage um eine späte Ausgabe von Medea, Maria Stuart oder der Jungfrau von Orleans. Der Krieg macht die Marketenderin nervös, hektisch, bisweilen gar hysterisch. Und wo der Krieg ihr die Kinder frisst, droht abgrundtiefer Jammer die Mutter vor aller Augen zu zerbrechen.
Wir erleben die Identifikation einer Schauspielerin mit ihrer Rolle und die Umdeutung der Rolle von einem durch negatives Beispiel belehrenden Sinnbild in das nach Mitleid schreiende Schicksal einer verletzlichen Frau.

Das Stück mutiert im Kern zur romantischen Tragödie. Derart brachiale Verbiegung der Autorenabsicht ist erlaubt, ist ein Privileg des Theaters. Auch mag Niesches Spielleistung als Tragödin beeindrucken – der Premierenbeifall spricht dafür. Aber man sollte sich zumindest bewusst sein: So wie hier gespielt, hat die Figur  mit Brecht rein gar nichts mehr zu tun.

Dies zur Hauptsache. Ansonsten ist das Stück recht ruppig auf gut zweieinhalb Stunden verkürzt. Obendrein wird viel Zeit auf die extrem verlangsamten Songs verwandt, die hier als eigenständige Musiknummern geformt sind. Der Courage Söhne und andere Soldaten werden von Kindern gespielt. Als aktualisierender Verweis  auf Kindersoldaten ist das interessant, belastet den Abend indes mit einem Übermaß  an Amateur-Darstellung.

Dazu können die Profis des Ensembles keinen Ausgleich schaffen. Auf sämtlichen Nebenpositionen wird leider nur kreuzbiederes und ungelenkes Volkstheater-Niveau abgeliefert. Einzige Ausnahme: Die junge Elmira Rafizadeh als stumme Kattrin. Zwar spielt auch sie etwas überdreht,  aber ihre mimische und körpersprachliche Ausdruckskraft lässt großes Talent erkennen.
                                                                                       Andreas Pecht

Info: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck am 20. Januar 2009)

---------------------------------------------------------
Zur Besprechung von Tritzschlers "Sezuan"- Inszenierung:

2006-10-22 Schauspielkritik:
"Der gute Mensch von Sezuan" in Koblenz - Pathetische Dramatik
in epischem Bühnenraum




Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken