Kritiken Kultur
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2008-09-25 Feature:

Museumsszene Neuwied wird von vier ganz unterschiedlichen Einrichtungen dominiert

Von der Steinzeit zur modernen Kunst
 
ape. Neuwied.  Manchmal ist es ein bisschen verzwickt mit den Namen von Kulturinstitutionen. Diese Erfahrung machten wir jetzt bei einem kleinen Ausflug in die Museumslandschaft von Neuwied. Nicht, dass wir das dortige Roentgen-Museum je mit einer Sammlung historischer Durchleuchtungsapparate aus der medizinischen Fakultät verwechselt hätten. Den Namen Roentgen hat der kulturell interessierte Zeitgenosse am Mittelrhein allemal mit kunstvoll geschreinertem Mobiliar europäischer Spitzenklasse zu verbinden. Gefertigt im 18. Jahrhundert in der Neuwieder Manufaktur der Möbelkünstler Abraham und David Roentgen, schmückten sie die Fürstenhöfe Europas, den Salon von Ludwig XVI. und die Boudoirs von Zarin Katharina oder Marie Antoinette inklusive.

Dass es in Neuwied folglich ein Roentgen-Museum gibt, liegt nahe. Dass aber dieses und das so genannte Kreismuseum Neuwied ein und dasselbe sind, darauf muss man als Auswärtiger erst mal kommen. 2007 wurde die trockene Bezeichnung Kreismuseum vernünftigerweise aufgegeben und der Name jener weltberühmten Kunstschreiner zur Kennung des Hauses herangezogen. Übrigens nicht nur des schönen Scheins wegen, sondern mit vollem Recht: Roentgen-Möbel sind beeindruckender Schwerpunkt der Dauerausstellung. Dort faszinieren Kommoden, Tische, Stühle, Schatullen aus erlesenen Hölzern, mit betörenden Intarsien und raffiniertem Innenleben. Eine Auswahl wundervoller historischer Standuhren spürt obendrein der kongenialen Zusammenarbeit zwischen den Möbelkünstlern Roentgen und der Neuwieder Uhrmacher-Dynastie Kinzing nach.

Träger des Museums am Raiffeisenplatz ist heute der Landkreis Neuwied. Das Haus wurde 1926 erbaut und war von vornherein als Museum geplant. Über drei Stockwerke stehen rund 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Die Roentgen-Abteilung wird ergänzt durch eine Überblicks-Präsentation zum Thema „Wohnkultur im 18. und 19. Jahrhundert“. Im Erdgeschoss ist einem anderen großen Sohn von Neuwied ein Kabinett gewidmet: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dem Begründer der Genossenschaftsbewegung. Ein ganzes Geschoss bleibt für Sonderausstellungen reserviert. Dort sind seit rund fünf Jahrzehnten die „Jahresausstellungen mittelrheinischer Künstler“ gute Tradition. In diesem Jahr vom 22.11. bis zum 14.12..

Dort machen gerade in jüngerer Zeit auch Präsentationen von Hochkaräter der überregionalen Kunstszene von sich reden. Eben beendet wurde eine Schau mit Werken des Leipziger Künstlers Wolfgang Mattheuer. Ein Höhepunkt wird im kommenden Jahr ab Juni die Ausstellung „K.O. Götz und Rissa“ sein. Eigens für das Roentgen-Museum werden der 94-jährige, im Wiedtal lebende Großmeister des deutschen Informel und seine Partnerin eine Werkauswahl zusammenstellen. Zunächst jedoch wird eine Schau mit 50 Arbeiten des 2005 verstorbenen Linzer Konstruktivisten Bernhard Hofer aufgebaut und am 5. Oktober eröffnet (bis 2.11.). Ob Roentgen-Museum oder Ex-Kreismuseum Neuwied: Mittelrheinische Kunstfreunde sollten sich angewöhnen, das Haus auch als interessanten Stützpunkt zeitgenössischer Kunst von Rang im Blick zu behalten.

Gleiches gilt für ein anderes Neuwieder Museum, dessen Namen nicht weniger verwirren kann: die Galerie Mennonitenkirche. Was denn nun? Museum, Galerie, Kirche? Von allem etwas, im eigentlich aktuellen Sinn aber eine von der Stadt Neuwied getragene Location für Wechselausstellungen. Von außen sieht das dem fürst-wiedschen Schloss gegenüber liegende Gebäude tatsächlich wie eine Kirche aus, die es von 1768 an rund 200 Jahre auch war: das Gebetshaus der Neuwieder Mennonitengemeinde. Von den Mennoniten ging das denkmalgeschützte Haus 1979 erst an den Fürsten zu Wied, vier Jahre später an einen Architekten über. 1984 brannte es aus und verkam zur Ruine. Die wurde schließlich von der Stadt übernommen, stilgerecht wieder aufgebaut und 1992 mit einer viel beachteten Barlach-Schau als städtische Ausstellungshalle in Betrieb genommen.

Bruchhäuser, Buhr, Götz, Portugall, Rump, Wendels, Windheuser-Schwarz, Zado…, die meisten namhaften Künstler aus Rheinland-Pfalz waren seither hier schon vertreten. Dazu kamen Ausstellungen mit Spezialitäten von und über die ganz Großen der Zunft: Chagall, Picasso, Dali, Miro, Frida Kahlo, August Sander, Leonardo da Vinci gar. Graphiken, Drucke, Skizzen, Zeichnungen, Fotos, Modelle – was ein kleines Haus zu stemmen vermag, wurde gestemmt. Und alle zwei Jahre wird das Depot geöffnet, zeigt die Galerie Mennonitenkirche Themenausstellungen aus „ihren“ Beständen, sprich der Stiftungs-Kunstsammlung des Neuwieder Kaufmannes Dieter Berninger.

Zurzeit tönt allerhand Kichern, Prusten, Lachen aus der ehemaligen Kirche. Denn bis 26. Oktober bevölkern noch Cartoons von Uli Stein die Galerie. Danach startet am 22. November eine große Ausstellung mit Puppenstuben aus dem hiesigen und dem süddeutschen Raum. Die Ausstellungspolitik irritiert etwas. Aber der Wechsel zwischen hoher Kunst und Populärem ist gewollt, ist Programm, ist auch eine Mischkalkulation im Hinblick auf den Besucherzuspruch für die städtischen Ausstellungshalle Galerie Mennonitenkirche.

„Extraball“ nennt sich die dritte Station unserer Tour durch die Museumsszene Neuwied. Ein Name, bei dem man an alles denkt, nur eben nicht an ein Museum. Und doch ist „Extraball“ eines, und zwar das jüngste in der Stadt, auch das speziellste. 2006 von einem örtlichen Verein von Flipper-Narren gegründet, kann es sich als einziges Flippermuseum in Deutschland bezeichnen. Wobei Flipper nichtden oberschlauen Fernseh-Delfin meint, sondern jene bunt flimmernden, elektrischen Kugelspiel-Automaten, mit denen sich junge Leute im prädigitalen Zeitalter amüsierten.

Das ging so: Geld einwerfen, Kugel abschießen, die wird dann unter Glas von Federnmechanismen herumgeschubst, rollt dabei zusehends einem Tor entgegen, durch das die Kugel entweder verloren geht, oder vom Spieler mittels Knopfdruck-Katapulten ins Spiel zurück befördert wird. Vor 25 Jahren noch in jeder Kneipe zu finden, sind die Klackediklack-Maschinen heute fast völlig verschwunden. Was nun Sammler und Liebhaber auf den Plan ruft. Die Neuwieder Flipper-Familie hat inzwischen in ihrem „Extraball“ an der Hermannstraße rund 60 ältere bis uralte ihrer Lieblingsapparate zusammengetragen. Jeweils Samstag und Sonntag können sie bestaunt und bespielt werden – sofern nicht gerade, wie jüngst, Deutsche Flippermeisterschaften daran ausgetragen werden.

Abschließend vom jüngsten Museum in Neuwied zu demjenigen mit den ältesten Exponaten: dem „Museum für die Archäologie des Eiszeitalters“ im Stadtteil Niederbieber. Beim Namen gibt’ diesmal kein Vertun, allenfalls lässt die volksmündliche Ortsbezeichnung „Museum Schloss Monrepos“ Fragezeichen aufkommen. Ein solches Schloss existiert nämlich nicht mehr: Über die Weltkriege zur Ruine verkommen, wurde das Geburtshaus der Prinzessin Elisabeth zu Wied (1843-1916) alias Dichterin Carmen Sylva und spätere Königin von Rumänien 1969 abgefackelt. „Monrepos“ meint heute deshalb nicht das Schloss, sondern ein 1909 nahebei erbautes „Palais der Prinzessinnen“. Statt hübscher Durchlauchtinnen führt dort aber mittlerweile das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz das Zepter. Die museale Präsentation umfasst Ausgrabungen aus der Altsteinzeit; im Zentrum steht die Epoche menschlicher Eiszeitjäger von 15 000 bis 7000 Jahren vor unserer Zeitrechnung.              Andreas Pecht

Infos:
www.roentgen-museum-neuwied.de
www.neuwied.de/mennonitenkirche.html
www.flippermuseum.eu
www.neuwied.de/schloss-monrepos.html

 

(Erstabdruck Woche 39 im September 2008)


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken