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2008-10-05 Schauspielkritik:

O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht" am Staatstheater Mainz

Kein Glück zwischen Wiskey und Spritze
 
ape. Mainz.  

Der Mann zur Gattin und umgekehrt, die Eltern zu den Söhnen und umgekehrt, die Söhne untereinander: Sie sprechen von Liebe und doch gibt jeder jedem die Schuld am eigenen Elend. In Eugene O'Neills bitterem Schauspiel „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist Familienleben eine fortdauernde Zimmerschlacht, endlose Abfolge gegenseitiger Herabsetzung und Verletzung. Nach Frankfurt im Frühjahr und Wiesbaden im Oktober, brachte am Wochenende auch das Mainzer Staatstheater das 1940 entstandene Stück auf die Bühne; Bonn zieht im Januar nach. Das Theater misstraut dem allfällig beschworenen Familienglück.


Während Dietrich Hilsdorf in Wiesbaden über die Anfangsminuten noch die Illusion von der einigermaßen geordneten Familie Tyron erlaubte, lässt die Inszenierung von Shirin Khodadadian in Mainz vom Start weg keinen Zweifel: Aus diesem Haus hat sich das Glück längst verabschiedet. In wie Bunkerschießscharten geformten Fensternischen reihen sich Wiskeyflaschen, Sohn James wankt und poltert mit dem Leergut herum. Hier regiert der Suff – als letzte noch verbliebene Form innerfamiliärer Geselligkeit.


Die Hoffnung von Vater und Söhnen, die Gattin und Mutter sei von ihrer Morphiumsucht geheilt aus der Kur heimgekehrt, währt nur Momente. Alles Umtütteln, Kontrollieren, Beäugen hilft nicht: Diese bis ins Mark zerrüttete und jedes Problem erstmal blind wie zwecklos verdrängende Familie kann kein Schutz- und Heilraum für eine Gefährdete sein. Und die dort fortwährend verdeckt oder offen gewälzte Frage nach Schuld, macht alles noch schlimmer.


Treibt die Sucht der Frau die Männer zum Schnaps, oder ist es umgekehrt? Ist der frühe Tod eines Kindes die Ursache oder das Leben der Tochter aus besserem Haus an der Seite eines vagabundierenden Schauspielers? Ist es der Geiz des Alten, der Mary in eine minderwertige Entziehungsklinik trieb, der Sohn Edmund eine hochwertige TBC-Behandlung verweigert – der die Familie in einem heruntergekommen Bühnenkasten aus dunklem Holzresopal mit vier abgewetzten Sesseln darin vor die Hunde gehen lässt (Ausstattung: Carolin Mittler)?


Thomas Marx gibt mit schneidender Stimme den zynischen Vater. Gregor Trakis und Florian Hänsel stehen als Söhne dem an Zynismus keinen Deut nach. Das passt; allerdings geht die Charakter-Unterscheidung zwischen den beiden jungen Männern in der teils ausufernden und das Spiel dominierenden Wiskeyorgie etwas unter. Überhaupt liegt in der Mainzer Inszenierung, anders als in Wiesbaden, die Betonung sehr stark auf den männlichen Ausdrucksformen der Tragödie. Die Kerle saufen und ringen miteinander, schweigen oft und lange mannhaft, um dann urplötzlich in ebensolches Gebrüll auszubrechen.


Das mag entweder der Versuch sein, der Aufführung naturalistische Anklänge auszutreiben, oder im Gegenteil ein Versuch, die Verwirrung des Zeitempfindens wie die sprunghaften Gefühle im Schnapsrausch sichtbar zu machen. Der Beobachter kommt zu keinem rechten Schluss. Ziemlich ins Hintertreffen gerät darüber jedoch Andrea Quirbachs zurückgenommene Interpretation der Mary. Die geisterhafte Kraft dieser zusehends ihre Diesseitigkeit verlierenden Rolle wird in Mainz schiere Nebensache. Mary auf offener Bühne vor den Augen des Hausmädchens (Tatjana Kästel) einen Morphiumrausch durchleben zu lassen, hilft da nicht wirklich.             Andreas Pecht



Info: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck am 08. Dezember 2008)


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