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2008-11-30b Buchkritik:

"Die Literatur eine Heimat" - Reden über und von
Marcel
Reich-Ranicki

Kluge Einlassungen zur literarischen
Sache in Deutschland

 
ape. 

Ein ganzes Buch voller Festreden. Das klingt nicht so furchtbar interessant. Ist es in diesem Fall aber. Die von Thomas Anz unter dem Titel „Die Literatur eine Heimat“ zusammengetragenen Ansprachen, unterscheiden sich in ihrer Mehrheit deutlich von landläufigen Langweilern. Erzwingt doch allein ihr Gegenstand Niveau, Ernsthaftigkeit und eine gewisse Originalität. Wer wollte schon Marcel Reich-Ranicki mit einer 0-8-15-Laudatio abspeisen? Das wäre, erstens, völlig unangemessen; könnte, zweitens, riskant sein – des möglichen Echos wegen. Denn der bedeutendste Literaturkritiker deutscher Zunge kann selbst als 88-jähriger Greis noch beißen, wie unlängst beim Deutschen Fernsehpreis erlebt.


16 Laudationes auf Marcel Reich-Ranicki, gehalten seit 1999 bei der Verleihung diverser Preise und Ehrendoktorwürden. Dazu zehn Danksagungen vom Geehrten selbst. In der Summe ist das nicht etwa eine Sammlung ausgetauschter Nettigkeiten, eher ein aufregender Streifzug durch wichtige Themen des literarischen Geisteslebens. Angelpunkt ist naturgemäß Reich-Ranicki, seine Funktion, Rolle, Bedeutung für das literarische Leben im Land. Und in allen Reden schwingt „Mein Leben“ mit, die 1999 erschienene Autobiografie des polnisch-deutschen Juden, der das Warschauer Ghetto durchlitt und doch in der deutschen Literatur seine ureigene Heimat fand.


Wovon ist die Rede in diesen Reden? Natürlich vom spannenden wie angespannten Verhältnis zwischen Kritik und Kunst. Von dem, was Kritiker den Literaten angeblich antun, für die Literatur aber tatsächlich leisten. Indem sie nach ihrer Meinung Schlechtes schlecht nennen und das ihrer Meinung nach Gute fördern. „Ein Kerl muss eine Meinung haben“ wird Alfred Döblin zitiert.Reich-Ranicki hat die seine stets klar und auch jenseits der literaturwissenschaftlichen Kreise verständlich zum Ausdruck gebracht, begründet, belegt. Und er blieb dabei durchweg dem obersten Kritikergebot treu: Du sollst nicht langweilen. Weshalb alle Redner konstatieren, dass der streitbare Mann die Sache der Literatur wie kein anderer ins öffentliche Gespräch gebracht und dort gehalten habe.


Es kommt die Neigung der Deutschen zur Sprache, ihre Klassiker zu sakralisieren, sie heilig zu sprechen, quasi anzubeten – statt sich lebhaft mit ihnen auseinander zu setzen, auch kritisch. In Reich-Ranickis Verhältnis zu Hölderlin manifestiert sich eine Haltung, die Verehrung im Ganzen und begründete Ablehnung in Teilen zu vereinen weiß. Da muss sich selbst Schiller fragen lassen, was der Unfug mit diesem „Gebt Gedankenfreiheit!“ im „Don Carlos“ solle, wenn doch die Freiheit des Redens, Schreibens, Tuns, Lebens gemeint war. Denken habe schon damals jeder können, was er mochte.


Eines der zentralen Themen dieser Reden-Sammlung ist die Bedeutung der deutschen Literatur für das Judentum, mehr noch die Bedeutung von jüdischen Schriftstellern für unsere Literatur. Diese im bundesdeutschen Bewusstsein verankert zu haben, zählt gewiss zu den großen Verdiensten Marcel Reich-Ranickis. Neben vielen wird Franz Kafka als Zeuge angeführt, und immer wieder Heinrich Heine. So gerät dies Buch der Festreden unter der Hand zu einem klugen, allgemein verständlichen und erwartungsgemäß auch unterhaltsamen Diskurs darüber, was Literatur und Literaturkritik gerade in Deutschland kann, darf, soll. 

                                                                                         Andreas Pecht


Thomas Anz (Hrsg.): Die Literatur, eine Heimat. DVA, 237 S., 18,95 Euro



(Erstabdruck im Dezember 2008)
 
 
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