Kritiken Musik
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2008-11-30a Konzertkritik:

4. Anrechtskonzert beim Musikinstitut Koblenz mit dem
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg
 

Ein Vorgriff aufs kommende Haydn-Jahr
 
ape. Koblenz.  

Vor dem Theater Koblenz haben Musiker der Rheinischen Philharmonie ein Transparent entrollt: „Keine Abkopplung der Orchester vom Öffentlichen Dienst“. Unter der Fahne ihrer Gewerkschaft, der Deutschen Orchestervereinigung, verteilen sie Flugblätter. Ein paar Meter weiter geht derweil in der Rhein-Mosel-Halle ein Konzertabend seinen normalen Gang: Das Musik-Institut hat das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg zu Gast. Anders als ihre Kollegen bei den Stadt- und Landesorchestern bundesweit stehen die Rundfunkmusiker nicht im Tarifkampf.


Von Franz Schuberts „Unvollendeter“ abgesehen, hat das SWR-Orchester ein Joseph Haydn gewidmetes Programm mitgebracht. Das darf wohl als Vorgriff auf das kommende Haydn-Jahr anlässlich des 200. Todestages des Komponisten 1809 gewertet werden. Dazu passend ist das Dirigentenpult besetzt: Mit dem Niederländer Ton Koopman führt ein Spezialist für Barockmusik den Stab. Sein Dirigat unterstreicht jene Charakterzüge, denen Haydns Musik ihre Brückenfunktion zwischen Barock und der ersten Wiener Klassik verdankt.


Koopman macht gewaltig Tempo bei der eröffnenden Sinfonie Nr. 98. Und er macht Laune. So vergnügt und lebhaft der 64-Jährige von seinem Cembalo aus agiert, so vergnügt klingt das für diesen Zweck auf vielleicht 30 Instrumente abgespeckte Orchester. Federleicht und zugleich atemberaubend schnell soll diese Musik kommen, darf dabei Herz, Geist und strukturelle Raffinesse nicht verlieren. Weshalb die hohe Barockkunst darin besteht, bis hart an die Grenze zum huschenden Gewusel zu gehen, ohne in verhuschtes Gewusel zu verfallen.


Das klappt hier prima; kleine Grenzüberschreitungen hie und da seien nachgesehen. Das Vergnügliche der beiden ersten Sätze steigert Koopman noch, indem er den folgenden der 98. quasi die Narrenkappe aufsetzt: Gehalten von metrischer Strenge, ergeben sich über kräftige Rhythmus-Betonungen und launige Färbungen fast theatralisch bildhafte Sentenzen von Volkstümlichkeit und zu Schabernack aufgelegtem Humor. Das wird nie krachledern, sondern ist sorgsam ziseliert: Spaß als hohe Kunst.


Leichtigkeit zeichnet in Koopmans Duktus auch das ernstere Cello-Konzert C-Dur von Haydn aus. An die Stelle des Humors tritt Zärtlichkeit, Vergnügen weicht der Melancholie. Stimmungen, die beim Solisten Steven Isserlis fabelhaft aufgehoben sind, einem Mann, der sich als Interpret, Förderer, Entdecker zeitgenössischer wie historischer Musik verdient gemacht hat. Sein Spiel trumpft nicht mit schäumender Emphase auf, sondern sucht den beseelten Ausdruck in der feinen Differenzierung einer unaufdringlichen, aber intensiven Klangpoetik.


Es folgen Haydns Notturno Nr. 8 und zum Abschluss dann in großer Besetzung Schuberts h-Moll-Sinfonie. Man mag sich täuschen, aber war Koopman bei Haydn sichtlich vom Enthusiasmus des Liebhabers erfüllt, so scheint es bei Schubert nur mehr professionelle Pflicht zu sein. Der kommen er und das Orchester sehr ordentlich nach; sauber, durchhörbar, auch beherzt sind die Wesenszüge der „Unvollendeten“ herausgearbeitet. Und doch fehlt dem Schubert-Vortrag das i-Tüpfelchen der Hingabe. Ein schöner Konzertabend dennoch – wohltuend gerade in schwieriger Zeit.                   Andreas Pecht 

(Erstabdruck am 2. Dezember 2008)

 
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