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2008-10-05 Schauspielkritik:

Schillers "Don Karlos" in Bonn: Auf Schauspieler-Kunst konzentrierte Umsetzung mit großen Momenten

 
Am Scheideweg der Epochen
 
ape.  Liebe als ungestümer Faktor, der Revolution wie Staatsräson stört und zivile Konvention unterminiert. Liebe aber ebenso als Instrument auf dem Spielfeld der Macht. Dies ist das ambivalente Thema eines der längsten Versdramen im Theater: Friedrich Schillers „Don Karlos – Infant von Spanien“. Das Schauspiel Bonn brachte den Klassiker jetzt auf die Bühne. So nah am Text, wie Stefan Heiseke inszeniert hat, musste es ein langer Abend werden: dreidreiviertel Stunden.

Von denen vergehen zwei Drittel wie im Fluge, obwohl, oder gerade weil die Regie völlig auf Action-Theater verzichtet. Stückgeist sowie der Menschen Trachten, Sinnen, Grämen sind ganz in die Hände zurückhaltend agierender Mimen gelegt. Besser: in ihre Haltungen, Gesichtsausdrücke, Sprechbetonungen – eingebettet in ein sinnfälliges Bühnenbild (Ariane Salzbrunn), das große neutrale Raumelemente mal zu  Sälen öffnet, mal zu Labyrinthen oder engen Kammern verdichtet. Auf kleine Ausdrucksform konzentriert, erwachsen dem Abend intensivste Passagen und wahrlich große Momente.

Die größten gestalten Bernd Braun als alter König Philipp von Spanien und Birte Schrein in der Rolle seiner jungen Gemahlin Elisabeth. Da heißt es genau hinschauen und –hören. Dann ist im maskenhaften Totengesicht des Königs und seinem knöchern-versteiften Leib der stählerne Herrscher zu erkennen. Jede vertrauliche Berührung verschmäht er brüsk, selbst wo  Sohn Don Carlos um Vaterliebe bettelt. Und doch hacken bald Angst um die Macht und von Ranküne angestachelte Angst um die Treue seines Weibes Löcher in die kalte Herrlichkeit des Despoten.

Fast schöner noch, packender, Mitleid erregender ist die Zerrissenheit der Königin: In die Ketten eines reaktionären Hofreglements gelegt, umspielen winzige Fingerzeige auf inneres Sehnen nach Menschlichkeit, Fraulichkeit, Freiheit die Strenge ihrer Erscheinung. Birte Schreins Spiel gibt  ein personifiziertes Sinnbild ab für den heranreifenden Epochenwechsel: Hinter der noch fesselnden Fassade des Absolutismus wächst allmählich, aber unaufhaltsam der Drang nach Freiheit der Völker und der Individuen heran.

Mit solcher Allmählich mag sich Don Karlos nicht gedulden. Die Sympathien des Prinzen gelten dem Freiheitsstreben der Niederlande. Als Individuum rennt er gegen die überkommenen Mauern auch familiärer Norm und Pflicht an: Er liebt die Königin, seine Stiefmutter; den Vater bekämpft er und buhlt doch zugleich um dessen Anerkennung. In Arne Lenks Darstellung vermischt sich diese Widersetzlichkeit zu nervös brennendem Wahn. Unrasiert und ungekämmt, die Kleidung derangiert, allweil grenzenlos schwärmend oder maßlos zürnend,  wird er zwangsläufig zum Opfer seiner selbst und zum Spielball politischer Intrige.

Seltsam kommt einem im Bonn der Marquis von Posa vor. Er, der selbstbewusste wie selbstlose Vertreter einer neuen Zeit, färbt sich bei Volker Muthmann zum schlaksigen Jüngling. In herausfordernder Konfrontation mit den Granden, weiß er nicht, wohin mit Armen und Beinen. Die Schlüsselrolle  grundstürtzender Weltveränderung  fällt hier einem Buben zu. Kein Wunder, dass diesem Posa die Pferde durchgehen und er, anders als bei Schiller, Hofdame Eboli (Nicole Kersten) hinterrücks erschießt.

Zum Ende hin schwächelt die Inszenierung, wie viele Einrichtungen des Stückes zuvor: Die fast krimimäßige finale Bündelung diverser Intrigen bleibt ein Problem. Dennoch hat Bonn einen hinreißenden „Don Carlos“.                              Andreas Pecht


Infos: www.theater-bonn.de

(Erstabdruck am 28. Oktober 2008)


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