Thema Kultur
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2008-10-27 Musikleben:

Klassik-Konzerte im multimedialen Zeitalter gefragt – Beispiel Rheinische Philharmonie Koblenz

Totgesagte leben länger:
Orchester mit Zukunft
 
ape.  Blick ins Jahr 2003: Jürgen Zöllner, damals Kulturminister des Landes Rheinland-Pfalz, klingeln die Ohren. Er steht im Zentrum eines Proteststurmes – als Buhmann, der die Spar-Axt an die Klassikorchester in Koblenz und Mainz legt. Dagegen gehen beiderorts scharenweise Menschen auf die Barrikaden, denen die Kulturtechnik des Protestierens bis dahin eher fremd war: Orchestermusiker, Klassikfreunde, Bildungsbürger. Eines der auf den ersten Blick eigentümlichsten Phänomene in jenen Wochen  bürgerlichen Widerstandes ist, dass auch Leute ihn unterstützen, die niemals zuvor ein Klassikkonzert besucht haben.

Dieses Phänomen erklärt sich auf den zweiten Blick so: Auch wer nicht ins Konzert geht, kann doch von Herzen überzeugt sein, dass für eine deutsche Großstadt ein großes Klassikorchester ebenso unverzichtbar ist, wie es Theater, Museen, Bibliotheken, Kino sind. Denn wo diese Elemente fehlen, könnte von Urbanität keine Rede mehr sein, müsste die Heimatstadt sich dumpfbackene Provinz schimpfen lassen. Dieser Zusammenhang ist offenbar im kollektiven Unterbewusstsein tiefer verankert als angenommen – und er kam in dem Moment auf breiter Front zur bewussten Erkenntnis, da der Bestand der Orchester in Koblenz und Mainz konkret gefährdet schien.

Zurück ins Jahr 2008: Hatte die damalige Bewusstwerdung von der Wichtigkeit des Orchesters fürs städtische Gemeinwesen nachhaltige Folgewirkungen für das Musikleben in Koblenz und Umgebung? „Eindeutig ja, wenn auch leider nicht in dem Umfang, den wir erwartet oder erhofft hatten“, erklärt Frauke Bernds, Orchesterdirektorin beim Staatsorchester Rheinische Philharmonie (SRP) im Gespräch. Handfesteste und erfreuliche Folge jener Protestwochen war die Gründung der Stiftung Rheinische Philharmonie. Allerdings bestätigt deren Entwicklung zum Leidwesen ihres Vorsitzenden Herbert Grohe zugleich, dass aus temporären Demonstranten für den Erhalt des Orchesters nicht automatisch engagierte Dauerunterstützer werden: Vom ursprünglichen ersten Etappenziel, ein Stiftungskapital von einer Million Euro zusammen zu bekommen, ist die Stiftung noch immer himmelweit entfernt.

Ebenso wenig wurde aus den Zehntausenden Unterzeichnern der seinerzeitigen Protestlisten eine Flut neuer Konzertbesucher. „So direkt und einfach funktioniert das nicht“, meint Bernds. „Was wir jedoch spüren, ist, dass die Hemmschwellen gesunken sind. Viele Leute gehen unverkrampfter, selbstverständlicher mit uns um, seit sie damals mit Musikern sprachen oder eines der Konzerte auf der Straße miterlebten, das oft ihr erstes Klassikkonzert überhaupt war.“ Der Schritt, mal ins Konzert zu gehen, ist kleiner geworden – Besucherzahlen und Publikumszusammensetzung zeigen es; nicht massenhaft, aber doch spürbar.

Hinzu kommen zwei Trends, die nicht nur das Koblenzer Orchester betreffen, sondern in der gesamten Klassiklandschaft wirken. Erstens: Die multimediale Voll- und Dauerversorgung der heimischen Wohnstuben mit Information, Unterhaltung und Kultur  per Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet, CD, DVD führt bei Teilen der Bevölkerung, als Gegengewicht, zu einem stärkeren Bedürfnis nach öffentlichem, gemeinschaftlichem Live-Erlebnis. Noch vor zehn Jahren wurde befürchtet, dass das Publikum für Klassikkonzerte mit den beiden ältesten der jetzt lebenden Generationen buchstäblich aussterben würde. Davon kann keine Rede mehr sein: Die Musikfestivals boomen, und auch traditionelle Konzertreihen können „nachwachsendes“ Publikum verzeichnen – sofern sie etwas tun und nicht selbstzufrieden ihre Chancen verdämmern.

Der zweite Trend betrifft das Agieren der Orchester selbst: Sie öffnen sich, steigen herunter vom Elitepodest, kommen heraus aus den elfenbeinernen Kunsttempeln, gehen auch auf  solche Menschen zu, die nicht sowieso regelmäßig mit der Kunst zu Bette liegen. Die klassische Musik hat etwas länger gebraucht als andere Künste, zu begreifen, dass die meisten Menschen nicht zur Kunst kommen, wenn die Kunst nicht auch zu den Menschen geht. Nun, da dies verstanden ist, setzen sich die Musiker mit Verve an die Spitze der Bewegung. Ihr Mut und Einfallsreichtum, ihre Begeisterung beim Öffnen der eigenen Klausen und beim Vordringen in diverse öffentliche Räume lassen inzwischen den anderen Sparten oft die Augen übergehen.

Besonders deutlich wird das an der anhaltenden Offensive vieler Orchester in Sachen Kinder- und Jugendarbeit. Ob Berliner Philharmoniker oder Rheinische Philharmonie Koblenz: Berührungsängste mit Kinderhorden, Schulklassen, Lehrlingen, arbeitslosen Jugendlichen oder jungen Migranten sind Schnee von gestern. Was eben noch als Wesensfremdheit betrachtet wurde – klassische Orchestermusik und heutige Jugend -, hat mit einem Mal Spaß aneinander. Zwar müssen da beidseits manche Voreingenommenheiten, Gewohnheiten und Rituale überwunden werden. Aber das geht in praxi meist problemloser als befürchtet.

Frauke Bernds zählt die aktuell festen Bestandteile der Kinder- und Jugendarbeit im Arbeitsplan ihres Orchesters auf: die fast immer bestens besuchten Kinderkonzerte; das Besuchsprogramm „SRP mittendrin“, das bei Orchesterproben Kinder zwischen die Musiker setzt; die neue Patenschaft mit einer Grundschule in Vallendar; das „Musikalische Klassenzimmer“, das zu einer regelrechten Bewegung geworden ist, die derzeit fünf Ensembles aus dem Orchester zu speziellen Musikstunden in die Schulen der Region bringt. Die Zahl der Schüler, die solche Stunden begeistert miterlebt haben, liegt mittlerweile im Zehntausender-Bereich. „An Nachfrage herrscht kein Mangel, das ist ein Selbstläufer“, freut sich Bernds.

Der Schwerpunkt liegt auf Kindern im Grundschulalter. „Die Saat muss möglichst früh ausgebracht werden, wenn eine wirksame Verbindung der Kinder mit der Klassik gelingen soll“, weiß die Orchesterdirektorin. Lässt sich denn schon etwas über die Erfolgsquote solcher Bemühungen im Hinblick auf den Publikumsnachwuchs im regulären Konzertbetrieb sagen? „Dazu ist es noch zu früh“, meint Bernds, „die Kinderkonzerte jedenfalls brummen richtig.“ Zugleich unterstreicht sie, man dürfe die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht als bloßes Publikumsmarketing missverstehen. Dieser Aspekt spiele natürlich eine Rolle. Aber wichtiger sei der humane Wert an sich, der aus Begegnung mit musikalischer Kunst für die Entwicklung der jungen Individuen erwächst.

Zum Programm für Kinder kommen Projekte mit älteren Jugendlichen. Etwa jüngst gemeinsam mit dem Koblenzer Musikinstitut und Gymnasien gestartete Jugend-Workshops. Oder das mit zwei bejubelten Aufführungen abgeschlossene Tanzprojekt „(e)motion“, bei dem arbeitslose Jugendliche unter dem gemeinsamen Dach von Orchester, Handwerkskammer und Arge eine Choreografie zur Symphonie Fantastique von Hector Berlioz erarbeiteten. Beide Initiativen werden fortgesetzt, 2009 vielleicht in etwas bescheidenerem Umfang – schließlich will übrige Pensum ebenfalls bewältigt sein: Als Koblenzer Opernorchester hat das SRP zahlreiche Dienste im Theatergraben zu absolvieren, als Landesorchester soll es gut vier Dutzend Konzerte vor allem im nördlichen Landesteil, aber auch auswärts und im Ausland  geben. Und weil die Auftritte ordentlich was hermachen sollen, wollen sie gut vorbereitet sein. Was heißt: Proben, üben, üben, proben…

Wenn am Ende das gelegentliche Hören klassischer Musik und der gelegentliche Besuch klassischer Konzerte bei wieder wachsenden Teilen der Gesellschaft als Gewinn an echter Lebensqualität empfunden werden, dann lohnen sich all die Mühen.                                                                                            Andreas Pecht

Infos: www.rheinische-philharmonie.de


(Erstabdruck Woche 44 Okt./Nov. 2008


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