Thema Politik
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2008-10-21 Kommentar:

Plädoyer für den Rückzug deutscher Truppen
aus Afghanistan

 
Wir stehen in einem verlorenen Krieg
 
ape.  Wenn Staatsräson und Volksmeinung bei einer grundsätzlichen Frage  dauerhaft auseinander liegen, hat die Republik ein Problem. Das ist beim  Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr der Fall: Die Bundesregierung hält daran fest, die Mehrheit der Deutschen ist dagegen. Nach den jüngsten Todesopfern wird der Ruf nach Rückzug der Truppen lauter.

Einerseits stehen die Regierungsparteien unverbrüchlich zu Peter Strucks Dogma: „Deutschlands Freiheit wird am Hindukusch verteidigt.“ Andererseits offenbart jede Meinungsumfrage erneut, dass die meisten Deutschen diesem Gedanken nicht folgen und den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan für falsch halten.

Dieser Dissens ist nicht irgendeiner unter anderen. Es geht um Krieg und Frieden, also auf Leben und Tod. Die beiden jetzt gefallenen Bundeswehrsoldaten erinnern schmerzlich daran, dass alles Gerede von zivilem Aufbau und humanitärer Hilfe bestenfalls die halbe Wahrheit ist. Die ganze Wahrheit auszusprechen, davor drückt sich die Regierung. Sie lautet:  Deutschlands Einsatz in Afghanistan ist ein Kriegseinsatz; Deutschland befindet sich de facto im Krieg.

Sinn des Einsatzes?

Gegen wen? Warum? Wofür? Händeringend verlangen die deutschen Kommandeure und Mannschaften an der afghanischen Front nach Erklärung zum Sinn des Einsatzes, zum Kriegsziel. Was von der Politik kommt, ist allenfalls vage: Strucks Dogma; dazu die Rede vom Aufbau eines demokratischen Afghanistans, das Al Kaida nicht mehr als Basis  dienen könne. Hatten diese Erklärungen je einmal Überzeugungskraft, so schwindet sie angesichts der tatsächlichen Lage schnell. 4500 deutsche Soldaten stehen im Feld – und zusehends auf verlorenem Posten.

Statt Herstellung von Sicherheit und Aufbauhilfe konzentrieren sich die Kräfte inzwischen auf „Eigensicherung“. Die Kontakte mit der  Zivilbevölkerung gehen Tag für Tag zurück, die Truppe hat mit dem eigenen Überleben alle Hände voll zu tun. Eingraben, Stellung halten – die Soldaten wissen nicht, was sie hier sollen, und wollen bloß noch heil nach Hause. So sieht ein verlorener Krieg aus, kurz bevor das finale Chaos ausbricht.

Afghanistan als Ganzes betrachtet, stehen dort 50 000 Mann ausländischer  Land- und Luftstreitkräfte 10 000 einheimischen Taliban-Freischärlern gegenüber. Davon gehören nach UN-Schätzungen 3000 zum festen Kern, während 7000 Gelegenheitskämpfer sind. Das Heft des Handelns haben dennoch die Taliban in der Hand. Sie bestimmen, wann, wo und wie  sie angreifen. Das unwegsame Land ist ihr Terrain. Ebenso kommt ihnen die für Außenstehende unüberschaubare Gesellschaftsstruktur in einem Raum zustatten, den wir naiv mit dem nichts sagenden Begriff Afghanistan belegen: Clan- und Stammesgebiete mit ihren Fürsten, Einflussbereiche von Kriegsherren und Protegés aus früheren Stellvertreterkriegen, von Mohnmogulen oder Schmugglerkönigen; dazu die großteils korrupten Gliederungen der Karsai-Regierung.

Auch ungeliebte Verwandte sind Verwandte

Wir erleben in Afghanistan einen jener Kriege, den die ausländische Kriegspartei gar nicht gewinnen kann. Nicht, dass die Taliban vom Gros der afghanischen Bevölkerung geschätzt oder unterstützt würden. Aber es reicht, wenn ein signifikanter Teil der Einheimischen sie duldet und erduldet, die Augen zumacht oder bisweilen sogar ein Geschäft mit ihnen. Die Gotteskämpfer mögen verhasst sein, doch oft sind es Verwandte, Bekannte, Leute aus dem eigenen Dorf, vom eigenen Stamm – eigene Leute eben. Und nicht Fremde aus einer fremden Kultur, die ihre Interessen verfolgen, irgendwann wieder abziehen und bis dahin ein zusätzliches Sicherheitsrisiko darstellen.

Der heutige westliche Blick auf Afghanistan wiederholt die Fehler und Anmaßungen der kolonialen und imperialen Zeitalter: Die entwickelten Mächte glauben – oder behaupten, sie brächten der Welt Ordnung und vermeintlich rückständigen Völkern die Segnungen von Kultur, Zivilisation, Fortschritt und nun auch Demokratie. Wir mögen das begreifen oder  nicht: Die andere Seite reagiert in der Regel auf derartige Beglückung bestenfalls skeptisch, vielfach widerwillig oder eben feindselig. Zumal, wenn der Segen per Bombenflugzeug und Maschinengewehr daher kommt.

Taliban sind nicht Al Kaida

Der westliche Blick ist zu eng. Die Taliban sind nicht Al Kaida, auch wenn es am Ort gelegentliche Berührungen geben mag. Ihr Streben richtet sich auf Afghanistan. Sie führen nach ihrer eigenen Logik Krieg gegen fremde Besatzer, und nicht wie Al Kaida einen Terror-Krieg gegen die gesamte „ungläubige“ Welt. Es ist zu befürchten, dass das westliche Militärengagement in Afghanistan die dortige Lage auf Sicht mehr destabilisiert als stabilisiert. Und Al Kaida braucht zum Gedeihen möglichst instabile Verhältnisse – wie sie im Irak mit dem Sturz von Saddam Husseins Regime durch die US-Streitkräfte eingetreten sind.

Nein, Deutschlands Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Deutsches Militär hat am Hindukusch nichts verloren. Holt unsere Soldaten weg von da!
                                                                           Andreas Pecht


(Erstabdruck am 22. Oktober 2008)


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