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2008-09-03 Romankritik:

Ingo Schulze hat mit leichter Feder ein sensibles
Ost-Psychogramm 1989 geschrieben

 
Eva will in den Westen, Adam nicht
 
ape. "Dass ich mich wohl fühle bei der Arbeit und dass man mich zufrieden lässt, verschont von allem Gerenne und Getöse." So beantwortet der junge Henry die Frage, was er vom Berufsleben erwarte. Damit lehnt er das Angebot seines Onkels ab, ihm einen besseren Job zu verschaffen. Die Szene stammt aus dem Roman „Fundbüro“ (2003) von Siegfried Lenz. Sie charakterisiert einen Menschenschlag, der betuliches Beisichsein fulminanten Veränderungen der Lebensumstände vorzieht. Diesem Typus ist auch der Adam in Ingo Schulzes neuem Roman „Adam und Evelyn“ zuzurechnen.
 
Wider den Zeitgeist ist Lenz’ Figur immun gegen Karrieregeilheit und glücklich als Verlustsachen-Verwalter in einem Fundbüro der Deutschen Bahn. Schulzes Held ist zufrieden mit seinem Dasein als freischaffender Damenschneider in der DDR. Henrys Existenz wird durch die Verwandlung der Bahn in einen „Dienstleistungskonzern“ zum Anachronismus. Ähnlich ergeht es Adam, als er im August 1989 den Drang seiner DDR-Mitbürger zur Massenflucht `gen Westen weder versteht noch teilt, obwohl er kein Freund des Stasi-Staates ist.

Was willst du im Westen? So Adam zu Katja, die er im Spätsommer des Wendejahres unterwegs nach Ungarn zufällig aufliest. Leben, sagt die. Worauf er fragt, ob sie denn bisher nicht gelebt habe. Was soll ich im Westen?, hält Adam später seiner Evelyn entgegen, der er nach einem Streit an den Plattensee nachfährt, um sie wieder für sich zu gewinnen. Dort, am Ort früherer glücklicher Urlaube, begreift er erst, dass auch die Frau seines Lebens  nach Ungarn fuhr, um „rüber zu machen“. Um zu fliehen aus der Tristesse der DDR, vor einem drögen Kellnerinnen-Job. Wohl ebenso, um einem Mann zu entkommen, dessen Ehrgeiz sich in der meisterlichen Verschönerung verblühender Frauen erschöpft – anderweitige Leibesbeglückung gelegentlich inklusive.

Adam geht bei Öffnung der Grenze und am Ende des Buches mit Evelyn, mit seinem ollen Wartburg 311 und der Hausschildkröte doch in den Westen - wider Willen, nur der Liebe wegen. Und er wird todunglücklich; er, der vordem von DDR-Damen umschwärmte Maßschneider, den im kapitalistischen Warenparadies keiner braucht, weil dort die Klamotten fertig gekauft werden.

„Adam und Evelyn“ verbindet auf leichte Art Liebes- und Zeitgeschichte zu einem sensiblen Ost-Psychogramm jener Tage. Häufig werden Bezüge zur biblischen Saga von Adam und Eva hergestellt: Verbot und Versuchung, Verlust des Paradieses und die Suche danach – die uralten Motive spiegeln sich im Spannungsgefüge zwischen Mann und Frau, Ost und West, Bleiben und Aufbrechen. Mit DDR-Nostalgie hat das bei Schulze wenig zu tun. Eher, wie bei Lenz, mit Grundfragen nach individueller Beheimatung und deren Verlust.      

Schulzes Buch ist bis in den Sprachduktus unverkünstelt, bewusst schlicht und fast etwas behäbig gehalten. Obwohl „Adam und Evelyn“ mit seiner durchgehenden Unterwegs-Motivik und Dialog-Lastigkeit wie das  Drehbuch für ein Roadmovie wirkt, verweigert der Roman Tempo und Turbulenz. Mochte die Welt in jenen 1989er-Tagen noch so aufgeregt sein: Hinter den großen Umwälzungen wirkt doch das kleine Sehnen nach persönlichem Beisichsein fort. Daran hat der Mauerfall nichts geändert, daran ändert die nachherige Turbo-Geschäftigkeit nichts. Daran erinnert der lesenswerte Roman von Ingo Schulze.         Andreas Pecht

Ingo Schulze: Adam und Evelyn. Berlin Verlag, 314 S., 18 Euro.       


 
 
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